Ein Fleck aus Lichtern liegt in der Karibischen See, südlich von Kuba. Darüber steht der volle Mond. Ich verrenke mich in meinem Sitz, Reihe F, der kleinen Maschine der Cayman Airways und erkenne eine glitzernde geschwungene Linie im Meer. Das muss der sieben Meilen lange Sandstrand sein, gesäumt von Bars und Hotels. Das Geld hat sich tatsächlich einen wunderschönen Ort erkoren: ein paar idylische Landkrümel im Karibischen Meer. Bis in die 60er Jahre lebten hier nur einige Fischer. Es gab eine geteerte Straße, kein Telefon und keinen Flughafen; dafür lästige Mückenschwärme, die den Sümpfen entstiegen.
1967 verabschiedete das Inselparlament ein Gesetz, das die Gründung von Briefkastenfirmen erleichterte. Kurz darauf entschied man, das Bankgeheimnis zu stählen und jeden, der Finanzdaten an Dritte weiterreicht, mit Gefängnis zu strafen. Und man beschloss, weder das Einkommen noch das Vermögen, weder den Gewinn noch das Erbe zu besteuern. Heute ist das Inselgrüppchen der fünftgrößte Finanzplatz der Welt. Eigentlich Teil einer gut verborgenen Welt, haben die Panama Papers die Inselkrümel jetzt ans Licht gezerrt.
Babyblaue Fische
Eine Buchrecherche hat mich hierher getrieben. Ich bin mit einem Deutschen verabredet, der seinen Hedge Fonds auf den Kaimaninseln gemeldet hat. Ein bis zwei Mal pro Jahr kommt er her. „Und wer ist sonst in dem Büro?“, frage ich ihn. „Sitzen da Verwalter oder ist es leer?“ Er antwortet ausweichend: „Also, da würde ich jetzt ungern zu detailliert in unsere Firmenstruktur eintauchen, aber, ja, wir haben eine physikalische Präsenz, die über ein sogenanntes Briefkasten-Label hinausgeht.“ Diese Einsilbigkeit wird mir hier noch öfter begegnen, immer wenn es um Geld geht.
Am Tag war ich tauchen. Schwamm vorbei an babyblauen Fischen und silbrig glitzernden Kalmaren. Ich fuhr über die Insel und sah, dass die Sümpfe längst trockengelegt sind. Die Strände erschlossen. Die Straßen asphaltiert. Die Starbucks-Läden eröffnet. Die Kaimaninseln haben das höchste Pro-Kopf-Einkommen aller Karibikstaaten. Während die Weltöffentlichkeit sich jetzt wieder einmal über das Offshore-Prinzip empört, sagen viele hier: „Was soll die Wut?“ Die meisten Staaten würden versuchen, dem Geld die besten Bedingungen zu bieten. Und die Kaimaninseln gehörten in diesem Wettstreit einfach zu den besten.
„Cheers“, sagt John. „Cheers“, sagt auch Catherine. Wir sitzen in einer der Bars, in denen sich Zugezogene treffen. Es ist Abend, noch immer über 20 Grad. Die beiden sind Briten, jung, smart, und sie leben – natürlich – gerne hier. Das Wetter sei immer gut, das Meer und die Strände atemberaubend. „Wir arbeiten viel weniger als zu Hause“, sagt Catherine. Um fünf Uhr sei Schluss, die Wochenenden blieben frei. „Da geh ich dann tauchen“, sagt John. Catherine nimmt Johns Hand und erklärt, ihr John sei ein diamond, ein Edelstein. Er tüftelt Versicherungsmodelle aus, die sich captive insurances nennen: Unternehmen sichern ihre Risiken bei einer konzerneigenen Tochterfirma ab, die in einer Steueroase angesiedelt ist. Das hat meist nur einen Zweck: Steueroptimierung – wie es in der Branche heißt. Steuervermeidung wäre die neutrale Umschreibung. Steuerdiebstahl ist die Formulierung, die die Kritiker jenes Systems verwenden. „Es ist ein guter Job“, sagt John. Die Kritik sei aufgebauscht, findet das Paar. So wie ein weiterer deutscher Geschäftsmann, dem ich später begegne: Dann zöge Deutschland eben weniger Steuergelder ab, meint er, in einem „Na und?“-Tonfall. Dort jammere man doch sowieso auf höchstem Niveau!
Keine Briefkästen
„Das Denken (dieser) Menschen entspricht dem der Abgänger elitärer Privatschulen“, schrieb Nicholas Shaxson, Investigativ-Journalist aus London, einmal. Er hat etliche Steueroasen besucht, neben den Kaimaninseln und den Bahamas auch Jersey im Ärmelkanal. Shaxson glaubt: Wer auf einem kleinen Eiland lebe, sei darauf angewiesen, sich denen anzupassen, die da seien, einfach mitzuschwimmen. Auch darum würden sich die Inselgesellschaften für die dubiosen Geschäfte gut eignen: Der Geist der Insel Jersey etwa lasse sich in drei Sprichwörtern zusammenfassen. Erstens: „Hänge deine schmutzige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit auf!“ Zweitens: „Wirble keinen Staub auf!“ Drittens: „Wenn es dir nicht passt, nimm das nächste Schiff!“
Wieder und wieder lese ich die Kennzahlen der Kaimanninseln. Nur 50.000 Menschen leben hier. Aber es gibt 90.000 Firmen. Fast jeder zweite Hedgefonds der Welt ist hier registriert. Mehr als zwei Billionen Dollar sollen Banken, Kanzleien und Investmentfirmen hier lagern. Das kann eigentlich nicht sein, denke ich, als ich das Zentrum der Hauptstadt George Town zu Fuß durchquere. Es gibt eine Post, drei Banken, ein paar Souvenir-Shops, ein Café.
Dann stehe ich vor dem Ugland House. Rund 20.000 exempted companies, steuerbefreite Unternehmen, sollen auf den vier Etagen untergebracht sein. „Entweder ist das das größte Gebäude der Welt oder der größte Steuerbetrug“, sagte Barack Obama, als er noch Senator war. Ich betrete das bis auf zwei Ledersessel leere Foyer. Nicht einmal Briefkästen finde ich. Als der US-Senat eine Untersuchungskommission durch das Ugland House schickte, erging es den Ermittlern ähnlich. Am Ende entdeckten sie aber 18.857 gemeldete Unternehmen: in Form von Aktenordnern in Büroschränken. Im Ugland House arbeiten vor allem Anwälte, die Urkunden, Bankkonten und Adressen organisieren, bei Bedarf auch Personen für den Aufsichtsrat einer konstruierten Firma. „Kreative Buchführung“ nennt man das. Und fast alles, was im Ugland House geschieht, ist legal. Am Ende meines Besuchs stelle ich ein Gedankenspiel an: Was passiert, wenn von 50 Steueroasen 40 das Geschäft doch aus Gewissengründen aufgeben? Richtig: Der Gewinn der verbliebenen zehn würde explodieren.
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