Depressionen in Öl

Bohrprojekt Das Leck im Golf von Mexiko ist noch längst nicht zu. Schon plant BP eine noch aberwitzigere Offshore-Förderanlage

Prudhoe Bay, Alaska, im Juni. Eigentlich ist Chris ein ganz netter Kerl. Zumindest klingt es einigermaßen überzeugend, wenn er Dinge sagt wie „Das verraten uns die Bohrarbeiter nicht“, oder „Die Ölfirmen hier vertrauen niemandem außer ihren eigenen Leuten“. Schade nur, dass „diese Leute“ ausgerechnet Chris dazu bestimmt haben, Touristen auf ihrem Ölbohrgelände herumzufahren. So kutschiert der Mitarbeiter des örtlichen Sicherheitsdienstes einen Bus voller Besucher zwischen abgewrackten Bohrtürmen und Parkplätzen voll absurd dimensionierter Schneemobile hin und her und plaudert dabei über Vögel und Karibus sowie die Tatsache, dass er gerne in Hawaii wohnen würde.

Prudhoe Bay an der Nordküste von Alaska ist kein Ort in dem Sinn, dass sich Menschen hier jemals freiwillig dauerhaft angesiedelt hätten. Der Name bezeichnet das größte Ölfeld Nordamerikas, in den sechziger Jahren wurden hier Vorkommen von rund 25 Milliarden Barrel entdeckt. Davon sind mittlerweile noch zwei Milliarden übrig. Die letzte US-Volkszählung im Jahr 2000 ergab eine Einwohnerzahl von fünf Personen je 1.000 Quadratkilometer. Es gibt nur wenige Gründe, sich von der nächsten Stadt Fairbanks auf den Weg über die 800 Kilometer lange Schotterstraße nach Prudhoe Bay zu machen, wenn man nicht zu den gut 3.000 Angestellten zählt, die im zwei-Wochen-Rhythmus ihre Schichten auf dem Ölfeld schieben: Entweder, man möchte unbedingt seine Zehen ins Nordpolarmeer halten – oder man interessiert sich für die Ölexploration in der Arktis, insbesondere womöglich für den Hauptbetreiber des Prudhoe-Ölfelds: BP.

Das jüngste Bohrprojekt des Energiekonzerns kann man vom Festland aus nicht sehen: Die Anlage liegt knapp fünf Kilometer vor der Küste, auf einer künstlich aufgeschütteten Schotterinsel. Im Herbst will BP hier das Liberty-Ölvorkommen anzapfen, das mehr als drei Kilometer unter der Meeresoberfläche liegt und schätzungsweise rund 100 Millionen Barrel Erdöl umfasst. Mittels einer Technik namens „ultra-extend­ed reach“ soll erst rund drei Kilometer senkrecht nach unten und von dort aus neun bis 13 Kilometer horizontal zur Seite gebohrt werden – laut BPs eigenem Werbematerial ein Prozess „über die Grenzen des bisher technisch Möglichen hinaus“.

Glanzstücke der Ingenieure

Die Tour startet im Arctic Caribou Inn, einem Hotel mit dem Charme eines U-Boots, das im wesentlichen aus aneinandergereihten Containern besteht. Ein Kollege von Chris kontrolliert Ausweise und scheucht die rund 50 Touristen in einen fensterlosen Raum, der vollständig mit türkis-beige gemustertem Teppich tapeziert ist. Das Licht geht aus, zu Indiana-Jones-Fanfaren startet ein sogenanntes Informationsvideo.

Das Publikum besteht fast ausnahmslos aus übergewichtigen Rentnern, die das Prudhoe-Bay-Ausflugs-Paket zusätzlich zu einer großen Alaska-Kreuzfahrt gebucht haben. Die Männer tragen New-Balance-Turnschuhe, schlecht sitzende Baseballkappen und digitale Spiegelreflexkameras, die Frauen Beton-Frisuren und Einkaufstaschen. Als eine weibliche Stimme im Video erklärt, dass „es für uns schon immer am wichtigsten war, die Umwelt zu verstehen“, ertönen im abgedunkelten Raum erste Schnarchgeräusche.

Vielleicht, weil die Regisseure das vorausgesehen haben, wechselt die Hintergrundmusik bald zu einem flotten Country-Rhythmus. Der Videokommentar verkündet, dass die 1977 fertig gestellte Trans-Alaska-Pipeline zu den ingenieurstechnischen Glanzstücken dieser Erde gehört, und dass Erdöl wichtig für unseren Lebensstandard ist. Die gezeigten Jahreszahlen lassen darauf schließen, dass BP den Film vor mindestens zehn Jahren hat produzieren lassen. Zum Ende hin ertönen liebliche Chorgesänge. Aha: Die Tierwelt sei richtig aufgeblüht, seit die Ölexploration begonnen hat. Das Finale: „Wir von BP können in Alaska gleichzeitig Energie gewinnen und die Umwelt schützen.“ Etwas verschreckt von den aufflackernden Neonleuchten reihen sich die Kreuzfahrer auf, um den Tourbus zu besteigen.

2006 musste der BP-Konzern seinen Anlagen für die Ölförderung in Prudhoe mehrere Monate lang schließen, nachdem rund eine Million Liter Öl aus einer korrodierten Rohrleitung ausgelaufen waren. Nach Abschluss einer offiziellen Untersuchung tauschte das Unternehmen 35 Kilometer der maroden Leitungen aus. BP äußerte sich erstaunt über den schlechten Zustand der eigenen Pipelines, die Firmenangaben zufolge seit 14 Jahren nicht mehr inspiziert worden waren. Warum nicht? Man habe befürchtet, dass das Befahren mit entsprechenden Robotern die Rohre beschädigen könne, hieß es. BP bezahlte für den Vorfall eine Strafe von 20 Millionen Dollar.

„Sicherheit“, betont Tourguide Chris, „ist unser höchstes Gut. Bitte seien sie vorsichtig, wenn wir am arktischen Ozean anhalten. Die Wege sind rutschig und das Wasser ist sehr seicht.“ Der Bus passiert einen BP-Sicherheitscheckpoint und folgt über matschige Straßen kryptischen Wegweisern nach WOA oder GL4. In der nebeligen Suppe lassen sich ab und zu aufgestapelte Container-Wohnquartiere erkennen. Manchmal auch ein Stahlungetüm von Förderturm. „Ich weiß nicht, welche Förderanlagen hier im Moment wirklich aktiv sind“, gibt Chris zu und hält an, damit alle ein Foto von einer Armada geparkter Eis-Trucks machen können. Jeder davon hat zehn knautschige, rund eineinhalb Meter breite Reifen, besser gesagt Walzen, auf ihnen fahren die Bohrarbeiter im Winter über die verschneite Tundra und das zugefrorene Meer. Die Saison dafür ist in den vergangenen Jahren wegen des Klimawandels immer kürzer geworden. Auf Druck der Explorationsunternehmen lockerte die Regierung von Alaska deshalb vor einiger Zeit die entsprechenden Vorschriften.

Es fängt an zu nieseln. „Ich fühle mich wie in Blade Runner“, sagt ein Tourist, es klingt nicht besonders glücklich. „Nebel und Matsch, so ist es hier nun mal“, antwortet Chris und steuert den Bus zwischen Lagerhallen hindurch. Exxon, Halliburton, Schlumberger. Zu sehen ist keine Menschenseele, ein paar Karibus grasen unter den Rohrleitungen. Die neuen Förderanlagen sind ganz woanders, lässt Chris sich entlocken. North Star, Endicott, Liberty – alle im Westteil des über 1.000 Quadratkilometer großen Areals. Die Tour führt nur durch Prudhoe-Ost.

Nur zwei kleine Flugplätze

Im Gegensatz zu allen anderen neuen Bohrprojekten vor der Küste Alaskas sind BPs Liberty-Pläne von US-Präsident Obamas Offshore-Moratorium nicht betroffen. Weil sich die Bohranlagen auf dem künstlich angelegten, mit dem Festland verbundenen Schotterhaufen befinden, gilt das Liberty-Projekt als „onshore“, also landgebunden. Die vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsprüfungen hat BP bereits durchlaufen, unter Umständen, die die New York Times als „bizarr“ bezeichnete. Der Fall eines Öllecks wurde dabei als „sehr unwahrscheinlich“ beurteilt (siehe Kasten). Die noch ausstehende endgültige Bohrerlaubnis sieht der Ölkonzern als Formalität an. BP rechnet damit, dass ab 2011 Öl aus dem Liberty-Feld sprudelt.

Noch nie hat jemand so weit horizontal gebohrt, bei etwas mehr als acht Kilometern war Schluss. Aufgrund der Länge der Strecke und des Bohrwinkels werden die Maschinen bisher nicht dagewesenen Belastungen ausgesetzt sein. Die Drehkraft des eingesetzten Antriebskopfes ist zweieinhalb mal so groß wie die einer durchschnittlichen Anlage in Prudhoe Bay. Wissenschaftler kritisieren an dem Projekt aber nicht nur die Verwendung von bisher kaum erprobten Techniken, sondern auch, dass diese Bohrung ausgerechnet an einem so unwirtlichen Ort wie der Arktis stattfinden soll. Anders als im Golf von Mexiko stehen Ausrüstung und entsprechend erfahrene Experten für den Fall einer Ölpest nur begrenzt zur Verfügung. Das nächste größere Lager für Ölsperren ist in Seattle – mehr als 4.000 Kilometer entfernt. Prudhoe und Umgebung verfügen nur über zwei kleine Flugplätze und keine geeigneten Häfen, an denen eingeflogenes Equipment zu Wasser gelassen werden könnte. Davon abgesehen ist der Ozean ohnehin die Hälfte des Jahres zugefroren. Für die Bekämpfung einer Ölpest in einem vereisten Meeresabschnitt oder gar unter einer geschlossenen Eisdecke existieren überhaupt keine erprobten Strategien. Ausströmendes Öl könnte sich unter dem Eis im gesamten Polargebiet verbreiten – bis nach Grönland, Russland und Skandinavien.

Chris glaubt, dass die BP-Arbeiter wegen der Sache im Golf von Mexiko schon ziemlich geknickt sind. „Aber die sagen nichts zu mir, ich mache hier sonst nur Verkehrskontrollen.“ Dann spricht er über die Dunkelheit und die Temperaturen im Winter. Die Tour erreicht ihren Höhepunkt: Strand-Stopp am Nordpolarmeer. Die Kreuzfahrt-Gruppe läuft durch eisigen Wind dem Meer entgegen, in der Ferne treiben Eisschollen. Bleiche, dicke Beine werden entblößt und Füße ins Wasser gehalten, schnell, für das obligatorische Foto. Ein junger Mann zieht sich aus und springt nackt ins Wasser. Nach einer Schrecksekunde macht der größere Teil der Rentnertruppe kehrt und eilt zum Bus zurück. „Die Kälte und der Wind sind ja schon schlimm“, sagt eine Grauhaarige in knallroter Windjacke zu ihrem Mann. „Aber nackt vor all den fremden Leuten!“ Aus ihrer Stofftragetasche ragt ein Gartenzwerg.

Julia Groß ist Biochemikerin und Wissenschaftsjournalistin. Im Juni nahm sie an einem Klimaforschungscamp in Alaska teil

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