Festivalbericht Vom frühen Stummfilm bis zur aktuellen Solidarität mit den Frauen im Iran: Das IFFF macht sich die größere Sichtbarkeit von Frauen seit jeher zur Aufgabe
Laura Poitras erzählt die Geschichte der Fotografin Nan Goldin (im Bild)
Foto: Courtesy of Nan Goldin
Als ihr Mann sich zum Angeln davon stiehlt, ist die Hausherrin außer sich. Sie lässt ihre Wut an allen aus, die ihr in die Quere kommen – und das mit unwahrscheinlichen Kräften. Mit einem Montage-Trick staucht sie einen empörten Herrn kurzerhand in einen Gulli, so dass nur noch seine Füße herausschauen. Die Hausangestellte kennt die menstruationsbedingten Stürme bereits und grinst komplizenhaft in die Kamera.
Sechs Minuten nur dauert La Fureur de Mme Plumette, ein Stummfilm von 1912. Der Spaß am Slapstick, an der Übertreibung, die überbordende Spielfreude und die Anarchie hat der Kurzfilm mit vielen anderen Stummfilmen jener Zeit gemeinsam. In dieser frühen Phase waren Frauen rege an der Filmproduktion beteiligt, nicht nur als Sch
, nicht nur als Schauspielerinnen. Die Rollen waren weniger klar verteilt, es gab noch keine Hierarchien zwischen den Gewerken, und Frauen eroberten sich einen Platz in dem neuen, noch unbesetzten Raum.Der Erste Weltkrieg bildete dann eine Zäsur, Produktionsmittel wurden knapp, Distributionsketten zerstört. Danach kam Hollywood, und auch in Weimar wurde professionalisiert. Frauen wurden an ihren Platz vor der Kamera verwiesen. Anders, im Übrigen, als im arabischen Kino, wo Frauen ebenfalls früh eine große, sogar tragende Rolle spielten. Hier gelang es ihnen, ihre Machtposition zu halten, häufig als Produzentinnen und Studiobetreiberinnen. Hier wie dort ging Vieles verloren, an Filmen, an Informationen, an Geschichte. Die frühen Schätze zugänglich zu machen für die Öffentlichkeit, aber auch als Inspiration für heutige Filmemacher*innen, das versteht das Internationale Frauenfilmfest in Dortmund (IFFF) als Teil seiner Aufgabe. In der diesjährigen 40. Ausgabe tat es dies mit dem Fokus-Programm Kompliz*innen – Kompliz*innenschaft verstanden als Solidarität über Generationen, über Kulturen, aber auch über fließende Geschlechtergrenzen hinweg.„Als Bürgerin bin ich Feministin, als Filmemacherin mache ich jeden Unsinn mit“Viele dieser Filme sind erst in den 60er Jahren wiederentdeckt worden. Helke Sander und die wenigen anderen Frauen im deutschen Kino damals mögen einige davon gekannt haben. In jedem Fall meint man in ihren Filmen etwas von der ungezähmten Energie ihrer Vorgängerinnen zu spüren. Kunst und Aktivismus sind dabei oft eng verschränkt. In Claudia Richarz’ Porträt Helke Sander: Aufräumen sieht man Sander als junge Frau am Mikrofon vor dem Sozialistischen Studentenbund. Selbstbewusst stellt sie ihre Forderung: Wenn die Männer nicht bereit seien, sich zu solidarisieren, müsse es zu einem Machtkampf kommen. Die Männer waren es nicht.Wenig später bildeten sich überall in Deutschland Frauengruppen. 1974 gründete Sander die Zeitschrift Frauen und Film, um der Frage auf den Grund zu gehen, warum sie als Regisseurin mit ihren Themen kein Geld für ihre Filme bekam. Die Zeitschrift war das Vorbild für die Gründung der Vorläuferfestivals des IFFF – die Feminale in Köln und die Femme Totale in Dortmund. „Als Bürgerin bin ich Feministin, als Filmemacherin mache ich jeden Unsinn mit,“ sagt Sander im Film. Das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Aktivismus zieht sich ´genau wie das Thema Mutter bis heute durch das Festivalprogramm.Keine Angst vor FehlernEine Verwandtschaft zwischen Sanders Filmen und Monika Treuts Jungfrauenmaschine (1988) etwa ist unübersehbar. Ihre Freude am Spielen, die forsche Neugier ihrer Protagonistinnen, ihr Humor, ihre Suche nach Räumen und Stadtlandschaften, die zu Sinnbildern werden, ihr Interesse für Randgebiete, die Orte für Kunst oder Aktivismus werden. Vor allem verbindet sie – und das ist vielleicht der markanteste Unterschied zu einem Großteil des zeitgenössischen deutschen Kinos – dass ihnen die Angst, alles richtig machen zu wollen, völlig abgeht.Während Sander sich über die Protagonistinnen mit der eigenen Position als Frau und Mutter auseinandersetzt, bezieht sich Treuts Heldin Dorothee auf ihre eigene Mutter: Diese sei an der romantischen Liebe gescheitert – jetzt will sie diesem Gespinst auf den Grund gehen. Biologische Erklärungsmuster genügen ihr nicht. Warum werden die meisten Frauen von einer Sehnsucht umgetrieben, die stets unerfüllt bleibt? Als heilsam entpuppt sich die Begegnung mit der heißen Ramona in einem Strip Club in San Francisco, wo Dorothee auf eine experimentierlustigere Einstellung zum Sex trifft. Doch nach der gemeinsamen Liebesnacht serviert ihr die Geliebte die Rechnung, was Dorothee, sich noch in den Laken räkelnd, in schallendes Gelächter ausbrechen lässt.Auch Laura Poitras nähert sich in The Beauty and the Bloodshed einer Künstlerin und hat mit der Fotografin Nan Goldin jemand gewählt, die ästhetische Radikalität und Aktivismus vereint. Goldin engagiert sich gegen die Sackler-Familie, die mit dem Pharmaunternehmen Purdue die Opioidkrise in den USA wissentlich in Kauf genommen hat. Die Tragödie mit über einer halben Million Todesopfern ist zu groß, um in diesem Film aufgearbeitet zu werden. Die Faszination für Nan Goldins Fotografie, aus deren Slideshows Poitras zahlreiche Ausschnitte mit Goldins Reflektionen über ihren Weg als Künstlerin und Mensch verflochten hat, vermittelt sich hingegen eindrücklich. Goldin betont die Bedeutung ihrer Wahlfamilie, doch sie bezieht sich auch auf ihre ältere Schwester, die als Teenagerin Suizid beging.Sie war ihr Vorbild in der Rebellion gegen das dysfunktionale Elternhaus. Auch in dieser Lebensgeschichte tritt am Ende eine Mutter hervor – eine Mutter, deren Tochter an ihrem Unvermögen, sich die eigenen psychischen Leiden einzugestehen, zerbrach.Im Wettbewerb war die Mutterschaft gar titelgebend beim Gewinnerfilm La Maternal von Pilar Palomero: Der erzählt die Geschichte der 14-jährigen Carla, die ihre Schwangerschaft und Geburt in einer Einrichtung für minderjährige Schwangere verbringt – ein Film, der sensibel beobachtet, und durch seine Arbeit mit den jugendlichen Laien beeindruckt. Er erzählt aber auch davon, wie Verhaltensmuster von einer Frauengeneration zur nächsten weitergegeben werden. Un petit frère von Léonor Sérraille zeichnet ein vielschichtiges Bild von einer Mutter unter Druck. Die innere Zerrissenheit der Protagonistin Rose, die 1989 mit ihren beiden kleinen Söhnen von der Elfenbeinküste nach Frankreich einwandert, entblättert sich mit wechselndem Fokus auf den drei Figuren. Rose will das Beste für ihre Söhne, sie hat aber auch eine große Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben. Dieses ist ein ermüdender Balanceakt zwischen Arbeit, Liebe, Fürsorge und der Erziehung von zwei jungen Männern, die – ebenso wie sie selbst – immer wieder Erfahrungen des Ausgegrenztwerdens machen.Zum Tode verurteilt wegen NotwehrIn der Panorama-Sektion lief die deutsche Dokumentarfilmproduktion Sieben Winter in Teheran, die bereits auf der Berlinale gezeigt wurde. Der Film ist durch eine Kollaboration zwischen der Regisseurin Steffi Niederzoll und der Familie aus dem Iran entstanden. Er erzählt die Geschichte der jungen Reyhaneh, die 2006 in Teheran zum Tode verurteilt wurde, weil sie ihren Vergewaltiger in Notwehr tödlich verletzte. Der Film ist gezwungen, ästhetisch neue Wege zu gehen, denn die Ereignisse, die er erzählt, waren großenteils unfilmbar. Von Reyhaneh, die vor ihrer Hinrichtung sieben Jahre lang inhaftiert war, gibt es aus dieser Zeit ausschließlich Ton-Dokumente. An ihrer Stelle wird ihre Mutter Shole Pakravan, die nach und nach zur Aktivistin im Namen ihrer Tochter wird, zur Protagonistin des Films. Steffi Niederzoll arbeitete mit Material, das heimlich aus dem Land geschmuggelt wurde und deren oft flüchtige und wackelige Eindrücke um so mehr eine suggestive Kraft entwickeln. Die Geschichte hat eine Dringlichkeit, die die Anlässe für die hiesigen feministischen Kämpfe fast verblassen lässt.Die Gesprächsrunde am letzten Festivaltag über 50 Jahre feministische Filmarbeit drehte sich um Fragen der Repräsentation, um eine geschlechtergerechte Verteilung von Ressourcen, und um die Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Filmarbeit. Wie eine Solidarisierung mit Frauen aussehen könnte, die wie im Iran, an ganz anderen Fronten kämpfen, blieb hier offen.