„Willst du heute hier sterben?“, fragt Sharif (Burak Yiğit, links) Momo (Xidir aka Alian Koder)
Foto: ARD Degeto/Pantaleon Films/Simon Dat Vu (Repro)
Die jüngste Gangsterserie der ARD spielt, natürlich, in Berlin, zwischen Kreuzberg, Neukölln und der JVA Moabit. Die Serie Asbest gibt sich als lose Adaption eines Buchs, in dem ein Fußballtrainer seine Erfahrungen mit einer Gefängnismannschaft aufschrieb. Klingt nach gutem Stoff. Doch auch wenn Momo, die Hauptfigur, gerade auf dem Sprung zu einer Karriere als Profifußballer ist, als die Serie einsetzt, spielt der Fußball eine untergeordnete Rolle. Denn dann wird Momo wegen Raubüberfalls und versuchten Totschlags verurteilt, womit sein Fußball-Traum jäh endet und er stattdessen in eine Karriere als Gangster gezwungen wird.
Klingt nicht originell, muss es auch nicht. Gangsterserien dürfen sich an bekannten Motiven abarbeiten – und
beiten – und können der Realität dennoch nahekommen. Daran haben sich in den vergangenen Jahren einige deutsche Genre-Produktionen versucht: Den Anfang machte Dominik Graf mit Im Angesicht des Verbrechens. Es folgten mehrere Serien, die mittels eines Gangsterplots von der Schwierigkeit erzählen, in einem migrantischen Milieu jenseits der Kriminalität Fuß zu fassen. 4 Blocks, die Serie, mit der Kida Khodr Ramadan, der Regisseur von Asbest, als Darsteller bekannt wurde, bekam wohl die meiste Aufmerksamkeit.Der Kitzel der Mafia-FiktionIn 4 Blocks ging es um einen libanesischen Clan, der in Neukölln ansässig ist. Clan-Chef Toni (Ramadan) wartete seit vielen Jahren auf seine Aufenthaltserlaubnis und träumte von einem spießbürgerlichen Leben. Von der inneren Zerrissenheit dieser Hauptfigur, die ganz offensichtlich von Tony Soprano inspiriert ist, lebte die Serie. Die Parallelen zu Asbest, wo Momos aus dem Libanon emigrierte Familie ebenfalls in kriminelle Geschäfte verstrickt ist, sind offensichtlich. Dass an Brutalität nicht gespart wird, macht die Serie bereits im Teaser klar, in dem ein junger Mann bei einem Überfall auf einen Club brutal und scheinbar grundlos niedergestochen wird. Die Gewalt setzt sich fort, als Momo, auf seiner Unschuld beharrend, ins Gefängnis stolpert und brutal misshandelt wird. Sie wird nicht nachlassen, bis Momo sich fügt und die Drogengeschäfte – nicht seines Onkels, sondern von dessen Konkurrenten – vom Knast aus weiterführt.Dass ausgerechnet die ARD eine Serie produziert, die so viel explizite Gewalt zeigt, erstaunt ein wenig. Offenbar wollte man an den Erfolg von 4 Blocks anknüpfen. Doch was macht – von Gewalt und Männlichkeitsfantasien einmal abgesehen – den Appeal der deutschen Gangsterserie aus, die im Milieu von migrantischen Clans spielt? Ein gewisser Reiz liegt darin, den Kitzel der Mafia-Erzählungen näher in die bekannte Umgebung zu holen. Damit wird die unglamouröse Realität von Stadtvierteln, in denen Armut und Elend sichtbar präsent sind, mit Erzählungen aufgeladen, bei denen es zugleich um mehr als banale Kriminalität geht: um Zusammenhalt, um Familie, um Ethos und um Identität.4 Blocks wurde gefeiert für seine authentische Darstellung eines Stadtteils. Es lag an den Figuren und dem Setting, dass man glaubte – oder gern glauben wollte –, man bekäme Einblicke in ein Milieu, das für Außenstehende sonst undurchdringlich schien. Asbest ist dagegen ästhetisch weit weniger auf Authentizitätsmarker bedacht. Das hat die Serie auch gar nicht nötig, denn Glaubwürdigkeit wird ihr vom verantwortlichen Regisseur verliehen, der nach eigener Aussage nicht selten auf der Straße als Toni angesprochen wird. Bei 4 Blocks soll es Ramadan gewesen sein, der den Drehbuchautoren für die Recherche Zugang zu echten Clan-Kontakten verschafft hat, so lautete eine Begleit-Erzählung. Diese Credibility hat Ramadan nun auch in die Produktion von Asbest eingebracht. Sie ist vermutlich einer der Faktoren, die der Serie gleich am ersten Wochenende drei Millionen Abrufe beschert haben.Ramadan ist wohl auch für die Besetzung mit einer ganzen Riege namhafter Schauspieler verantwortlich. Sie alle kannte er persönlich, betont Ramadan in einem Interview, manche von ihnen tauchten auch schon in der Vorgänger-Serie auf. Und so ist Asbest zugleich eine Parade (vorwiegend) männlicher Schauspiel-Prominenz, die ihre Künste bei der Darstellung von Männlichkeit präsentieren darf.Das gelingt ihnen durchaus. Dass sich jede einzelne dieser Figuren in ihrem Machogehabe geradezu überschlägt, wird jedoch zum Problem – in ihren übertriebenen Manierismen gleichen sich alle Figuren wieder. Die Darstellung von Momo durch den Rapper Xidir aka Alian Koder hebt sich als wohltuend zurückhaltend ab. Doch auch seine Entwicklung vom braven Fußballer zum knallharten Gangster wird nicht wirklich nachvollzogen. Und genau da liegt das Hauptproblem der Serie. Sie interessiert sich zu wenig für ihre Figuren, es kommen im Laufe der Serie kaum Nuancen hinzu, die neues Interesse wecken würden.Das unausgeschöpfte Potenzial der Serie wird deutlich im Vergleich etwa mit der US-Serie Mo, deren Hauptfigur wie Momo Mohammed heißt und als Kind mit der Familie aus Palästina in die USA geflüchtet ist. Auch in Mo geht es um Identität, Familie und Herkunft, um die Schwierigkeit, als Migrant ein normales Leben zu führen, ohne in die Kriminalität auszuweichen. Und auch in Mo wird kaum ein Klischee ausgelassen: Mos Mutter will unbedingt, dass ihr Sohn eine Palästinenserin heiratet. Die mexikanischstämmige Katholikin Maria mit ihrem üppigen Busen und den selbstbewusst ausgeschnittenen Tops kommt nicht in Frage. Mo versteht es, aus diesen Klischees spielerisch viel Humor zu generieren. Und ganz abgesehen davon, ob die Frauenfiguren muslimisch, katholisch oder jüdisch sind, sind es interessante und stark agierende Figuren. Das kann man von den ohnehin wenigen Frauenfiguren in Asbest leider nicht sagen.Für große, spannende Unterhaltung ist Asbest nicht nah genug an den Figuren. Für eine Analyse à la The Wire haftet die Serie zu sehr an der Oberfläche der Ereignisse. Wie man es von einer ARD-Serie erwartet, wird die zentrale Aussage dann wieder zu deutlich ausgebreitet: Momo wird zum Gangster, weil alle ihn so haben wollen. Alle, das ist sein Clan, repräsentiert durch den Onkel, der ihn unter Druck setzt. Es sind aber auch das System, das seine Verurteilung ermöglicht, und eine toxische Gesellschaft, repräsentiert unter anderem von der farblosen, schablonenhaften Figur des Vaters von Momos Freundin Daniela. Es gelingt der Serie aber nicht, die Strukturen zu analysieren, die sie anprangern will.
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