Integriert ins Unwohl

Migrationserfahrung Im Film „Exil“ passt sich Xhafer den Deutschen an und wird zum mickrigen Dreckskerl
Ausgabe 34/2020

Es ist Sommer, die Hitze schwül und drückend. Die Gärten stehen in saftigem Grün in einem namenlosen Vorort irgendwo in Deutschland. Xhafer (Miŝel Matičević) schwitzt. Immer liegt ein feiner Schweißfilm auf seinem Gesicht. Er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut.

Von seinem Unwohlsein handelt Exil. Xhafer, Vater dreier Kinder, Projektleiter in einem Pharmaunternehmen, Bewohner eines Einfamilienhauses zwischen anderen Einfamilienhäusern, ist als gebürtiger Kosovo-Albaner mustergültig integriert in Deutschland. Doch dann geschehen Dinge, die zeigen, wie brüchig die Existenz ist, die er sich hier aufgebaut hat, wie verletzlich sein Zugehörigkeitsgefühl.

Eine tote Laborratte, die am Gartentor baumelt, würde wohl die meisten Menschen erschaudern lassen. Für Xhafer ist klar: Jemand wollte ihn bis ins Mark treffen. Denn Xhafer hat eine Rattenphobie. Da in den Laboren der Pharmafirma mit Ratten geforscht wird, muss es einer seiner Kollegen sein, der es auf ihn abgesehen hat. Jemand will ihn fertigmachen.

Selten sehen wir Xhafers Gesicht direkt von vorne. Oft von hinten oder im Profil. Oder als Silhouette im Halbdunkel. Überhaupt spielt ein großer Teil der Handlung von Exil in dunklen Räumen – in den schlecht beleuchteten Fluren des Büros, im abendlichen Halbdunkel des Hauses. Vieles bleibt im Ungefähren, und wie Xhafer ist man in dem Schummerlicht besonders aufmerksam und sucht nach Zeichen. Und diese mehren sich. Die zweite Gruppen-E-Mail wegen des verschobenen Meetings, die er nicht bekommen hat. So etwas kann mal passieren. Aber warum passiert es ihm? Warum häufen sich solche „Zufälle“? Und warum richten sich die Aggressionen des Kollegen ausgerechnet gegen ihn? Außer Xhafer scheint es niemand zu bemerken. Selbst als ein Kinderwagen im Garten in Flammen aufgeht, weigern sich nicht nur die Polizisten, sondern auch seine Frau, den Angriff auf seine Existenz ernst zu nehmen.

Er wollte dazugehören

Exil könnte man als Psychogramm eines Menschen beschreiben, der über lange Zeit mit aller Kraft versucht hat, sich anzupassen. Und obwohl ihm das nach äußerlich messbaren Ergebnissen gelungen ist, ist er zum Scheitern verurteilt. Denn wer immer alles richtig machen wollte, der wird unweigerlich sensibel für jede Transgression, für jede Ungleichbehandlung. Zugleich ist Exil, und wird es im Laufe des Films immer mehr, das Porträt einer Gesellschaft, die oft widersprüchlich auf Xhafers Fremdsein reagiert, und ihm letztlich das Gefühl verweigert, dazuzugehören. Beide Ebenen sind nicht voneinander zu trennen – gezeigt wird ihre Wechselwirkung.

Diese wird besonders deutlich in den sparsamen Dialogen. In ihnen gelingt es dem Film zu erzählen, warum Xhafer, der integrierte Ausländer, nicht anders kann, als jedes Fehlverhalten auf seine Fremdheit zu beziehen. Der Tonfall ist meist höflich, fast immer verhalten, nie emotional. In dieser Hinsicht zeichnet der Film die deutsche Gesellschaft beinahe als Karikatur. Bloß keine Gefühle zeigen! Xhafer selbst hält sich mit eiserner Disziplin an diesen Tonfall – worin sich vielleicht am besten sein Wille zur Anpassung zeigt. Stößt man ihn vor den Kopf, fragt er ruhig nach. Wer ist dabei bei dem geplanten Ausflug, zu dem er nicht eingeladen ist? Warum hat man ihm die Daten für das Projekt nicht rechtzeitig übermittelt? Und warum war zu Hause die Klobrille hochgeklappt? Xhafer erlaubt sich keinen Wutausbruch. Nicht einmal, wenn der gehässige Kollege ihm unverfroren die Zuarbeit verweigert. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er im Arbeitskontext nie albanisch sprechen will, und lieber auf Deutsch antwortet. Wenn er seine Muttersprache spricht, klingt das viel emotionaler. Es ist, als komme kurz ein unterdrückter Aspekt seine Persönlichkeit zum Vorschein.

Auch Xhafers Frau will das, was ihm widerfährt, relativieren. Doch ihre Versuche, ihn abzubringen von seiner Deutung der Vorfälle, machen es nur noch schlimmer. Er wird blind für ihre Bedürfnisse, und unerträglich. Auch als Zuschauer*in fühlt man sich erdrückt von der Ausweglosigkeit dieser Gefühlslage. Ob er schon mal darüber nachgedacht habe, dass es gar nicht daran liege, dass er Ausländer sei, sondern daran, dass er selbst ein Arschloch sei, fragt seine Frau irgendwann.

Das Drehbuch hat es in sich; es ist voller kunstvoller Twists und kleiner, aber bedeutsamer Details, die alle dazu beitragen, dass sich der Film einfachen kausalen Erklärungen verweigert. Ein Handlungsstrang, der zunächst beiläufig eingeflochten ist, offenbart seine wahre Bedeutung erst später, und spricht dabei soziale Fragen an. Denn Xhafer ist nicht der einzige, der im Exil lebt. Andere haben es nicht so weit gebracht wie er. Die Frau, mit der er heimlich auf der Toilette Sex hat, spricht seine Muttersprache und arbeitet als Reinigungskraft. Dass er mit ihr auf gar keinen Fall im Gespräch gesehen werden will oder auch nur dabei, wie er am Telefon albanisch spricht, hat einen doppelten Boden – es liegt nicht nur daran, dass er seine Affäre verheimlichen muss. Es schwingt dabei auch die Scham über seine Herkunft mit, die Angst, in derselben Kategorie verortet zu werden wie sie. Ihr gegenüber verhält Xhafer sich tatsächlich wie ein mickriges Arschloch. Dass diese Mickrigkeit durch seine übergroße Anstrengung der Integration geformt wurde, liegt als Interpretation nahe.

Info

Exil Visar Morina Deutschland, Belgien, Kosovo 2020, 121 Min.

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