Krankenhausserien im Vergleich: Deutsche Produktionen gaukeln heile Welt vor
Fernsehen Britische und US-amerikanische Krankenhausserien wie „This is Going to Hurt“ und „Code Black“ zeigen die Missstände der Gesundheitssysteme. Ganz anders sieht die deutsche Krankenhausfiktion aus – Warum?
Klar, die Assistenzärztin Viktoria Stadler „stürzt sich wieder emotional tief in den Fall“, was dem Oberarzt Dr. Matteo Moreau „überhaupt nicht gefällt“: Folge 323 von „In aller Freundschaft“
Foto: Jens-Ulrich Koch/ARD
Krankenhausserien sind aus dem Fernsehen fast ebenso wenig wegzudenken wie der TV-Krimi. Dabei ist das Genre noch gar nicht so lange etabliert. Als das Hafenkrankenhaus 1968 im NDR startete, fühlte man sich genötigt, dem Publikum im Vorspann erst einmal zu erklären, was daran interessant sein soll: „… hilflos sind wir, voll Angst und Hoffnung, und angewiesen auf Menschen, von deren Hilfsbereitschaft unser Leben abhängen kann“, sagt der Erzähler aus dem Off.
1980 wurde dann Das Krankenhaus am Rande der Stadt ausgestrahlt, eine Produktion aus der sozialistischen Tschechoslowakei, die sowohl in der DDR als auch in der BRD in unterschiedlichen Fassungen erfolgreich war. Mitte der 1980er folgte Die Schwarzwaldklinik, damit war das Genre im deutschen Fer
damit war das Genre im deutschen Fernsehen etabliert, ein Ende ist nicht in Sicht. Eigentlich kein Wunder: Was könnte emotionaler sein als ein Setting, in dem es täglich um Leben und Tod geht? Die US-Serien der 1990er- und 2000er-Jahre, von Emergency Room über Grey’s Anatomy bis Dr. House zeigten dann, wie es spannender geht – scheinbar ohne auf die deutschen Produktionen abzufärben.Man sollte meinen, dass uns diese Serien etwas darüber erzählen, wie wir als Gesellschaft mit Krankheit, Geburt und Tod umgehen. Folglich müssten sich fast drei Jahre Pandemie und ihre Auswirkungen auf ebendieses Verhältnis darin widerspiegeln. Und zwar nicht in erster Linie dadurch, dass im Krankenhaus jetzt alle Masken tragen. Ich meine vielmehr einen veränderten Blick auf die Strukturen, in denen Kranke versorgt und Kinder geboren werden.Überlastete NotaufnahmenWie unterschiedlich dieser Blick sein kann, wird augenscheinlich im Vergleich. Auffällig ist beispielsweise, dass die meisten US-Serien in der Notaufnahme spielen. Entsprechend dramatisch sind die medizinischen Fälle. Bei Serien wie Night Shift oder Code Black spritzt das Blut literweise, und so manche Einstellung zeigt explizit, wie es aussehen könnte, wenn eines der inneren Organe aufgeschlitzt oder ein Knochen abgesägt wird. Die Regel in US-Serien ist, dass das Leben nicht nur eines Patienten am seidenen Faden hängt, und häufig stirbt jemand. Sieht man sich im Anschluss eine Folge von In aller Freundschaft oder Bettys Diagnose an, wirken die Krankheitsfälle geradezu belanglos. Ein amputierter Arm? Stell dich nicht so an.Die Wahl des Settings hängt sicherlich auch damit zusammen, dass in den USA etwa 30 Millionen Menschen keine Krankenversicherung haben und viele Versicherungen nur einen begrenzten Schutz bieten. In der Notaufnahme müssen per Gesetz alle Notfallpatient*innen behandelt werden, unabhängig von ihrer Zahlungsfähigkeit. Arztbesuche werden aus Angst vor hohen Rechnungen aufgeschoben, und so landen viele am Ende hier. Logisch, dass die Notaufnahme der ideale Ort ist, um amerikanische Dramen zu erzählen.Ob in Emergency Room, Grey’s Anatomy oder in aktuellen Serien wie New Amsterdam, Night Shift, Chicago Meds oder The Resident, die Ärzt*innen müssen sich in Extremsituationen beweisen. Der Serientitel Code Black bezeichnet einen Ausnahmezustand, der eintritt, wenn die Notaufnahme überlastet ist und nicht mehr alle Patient*innen versorgt werden können. Der Vorspann der Pilotfolge klärt darüber auf, dass dies in einem durchschnittlichen Krankenhaus in den USA fünfmal im Jahr eintritt. Im Angels Memorial Hospital, in dem die Serie spielt, geschieht es 300 Mal im Jahr. Ähnlich wie in Night Shift und Chicago Meds erinnert die Szenerie in Code Black an ein Schlachtfeld, eine Art Wilder Westen, in dem es keine geordnete Vorgehensweise mehr gibt und nur noch individuelle Heldentaten Rettung versprechen.In Night Shift wird die Kriegsmetapher explizit – mehrere Ärzt*innen der Nachtschicht sind ehemalige Soldat*innen, harte Kerle und Frauen, die schon alles gesehen haben. Ihre Traumata, aber auch ihre medizinischen Erfahrungen aus Afghanistan oder Syrien im Gepäck, tun sie alles, um Menschenleben zu retten. Thema ist aber auch, dass das Krankenhaus aus wirtschaftlichen Gründen kurz vor der Schließung steht. Das Dilemma, das sich für die Ärzt*innen daraus ergibt, zieht sich als roter Faden durch die Serie: Behandeln sie Patient*innen, die nicht versichert sind, retten sie zwar Menschenleben, gefährden aber die Existenz des ohnehin überlasteten Krankenhauses und damit die medizinische Versorgung einer ganzen Region. So und ähnlich exponieren die amerikanischen Serien die Missstände im Gesundheitssystem.In The Resident hören wir aus dem Mund einer Pflegerin die Behauptung, dass Behandlungsfehler die dritthäufigste Todesursache seien. Klar ist jeweils, dass nur die selbstaufopfernden Heldentaten der Ärzt*innen die Situation lindern können. Jeder einzelne Erfolg macht einen Unterschied – während das System als Ganzes unveränderlich bleibt.Eingebetteter MedieninhaltÄhnlich wie im US-TV ist auch in Großbritannien die Kritik am Gesundheitssystem – hier des staatlichen National Health Service (NHS) – Teil fiktionaler Krankenhauserzählungen. Das neueste Beispiel ist This is Going to Hurt. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Buch des ehemaligen Gynäkologen Adam Kay, der seine Karriere kurz vor der Qualifikation zum „Consultant“ abbrach, um Comedy-Autor zu werden. Ärzt*innen, so erfährt man im Vorwort, werden dazu angehalten, ihre Erfahrungen im Krankenhaus schreibend zu verarbeiten. Das Buch ist ein lektorierter und selektierter Abdruck seines Tagebuchs, kurze Episoden aus dem Krankenhausalltag von absurd bis verstörend.Die Serie, deren Drehbuchautor Kay ist, arrangiert einige Anekdoten um die Geschichte von Adam (Ben Wishaw) und Shruti (Ambika Mod), Ärztin in Ausbildung, herum. Überlastet vom Krankenhausalltag, nimmt Adam die Beschwerden einer Schwangeren nicht ernst – zu Unrecht, sie leidet unter einer Präeklampsie, die unbehandelt schließlich zu einem Kaiserschnitt in der 25. Woche führt. Adam plagen Schuldgefühle. Dass die Schwester der Patientin das Krankenhaus verklagt und Adam der Rauswurf droht, macht es nicht besser.„Watch one, do one, teach one“Der Fokus der Serie liegt auf den Ärzt*innen und den Auswirkungen, die das unterfinanzierte und auf Ausbeutung basierende System auf sie hat. Zeit für Zwischenmenschliches hat Adam weder während noch zwischen den Schichten, wenn die Zeit kaum zum Schlafen reicht. Der Ton auf der Station ist so ungemütlich wie das blaue Neonlicht, das von der Decke strahlt. Der sarkastische Humor des Protagonisten, die schnellen, schnoddrigen Dialoge und deren Witz nehmen der Serie keineswegs ihre Härte, sie verstärken die Drastik noch. Adams Kollegin Shruti wird – wie alle jungen Ärzt*innen im NHS laut Kay – ins kalte Wasser geworfen. „Watch one, do one, teach one“ ist die Devise. Erst, als es zu spät ist, wird Adam klar, wie sehr Shruti unter der permanenten Überforderung leidet.This is Going to Hurt ist nicht die erste Serie, die unbeschönigt die Arbeit in einem Krankenhaus des NHS darstellt. Bodies zeigte bereits 2004 die Missstände auf einer Geburtsstation mit einem Realismus, der noch tiefer unter die Haut geht als die Überspitzung in This is Going to Hurt. Welche Schlüsse man daraus zieht und wie das System zu verbessern wäre, liegt außerhalb des Fokus beider Serien.Eingebetteter MedieninhaltDer Kontrast zur deutschen Krankenhausfiktion könnte kaum größer sein. Statt im blutbespritzten Kittel über die Flure zu hasten, spaziert Dr. Bär aus In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte durch das Johannes-Thal-Klinikum und sinniert, ob er wirklich der richtige ist, um den Jungen zu operieren, dessen Mutter er versehentlich auf dem Fahrrad angefahren hat. Vertrauen ist schließlich essenziell für eine gute Behandlung!Die deutschen Arztfiguren sind vordergründig für die medizinische Versorgung verantwortlich, ihre Rolle als Seelsorger ist aber mindestens ebenso wichtig. Im Grunde seines Herzens bleibt der deutsche Serienarzt ein Landarzt aus den 60er- Jahren. Die Serienärzt*innen haben für alle ein offenes Ohr und ein gutes Wort, das persönliche Glück der Patient*innen ist ihnen ebenso wichtig ist wie die Heilung der körperlichen Wunden.Durch die Art der zwischenmenschlichen Probleme, die verhandelt werden, sind die deutschen Krankenhaus- und Arztserien eng mit der Seifenoper verwandt. Zudem hat man bei Dr. Bär stets den Eindruck, der jeweilige Fall der Folge sei sein einziger. Dass eine Behandlung aus Kapazitäts- oder Kostengründen nicht stattfinden kann, ist nicht an der Tagesordnung. Dass viel gearbeitet wird, bleibt Behauptung, mit filmischen Mitteln sicht- oder spürbar wird es nicht.Die Krankenhäuser in deutschen Serien sind idealisierte Räume – in denen jeder die Behandlung bekommt, die nach dem Stand der modernen Medizin möglich ist. Die Ärzt*innen mögen (geringfügige) menschliche Schwächen haben, aber ihre Expertise, ihr Engagement und ihre Fähigkeiten werden nicht angezweifelt.Hört man, wie es um das Gesundheitssystem der USA steht, oder liest von den Skandalen, die in den vergangenen Jahren von Kritikern des NHS ausgeschlachtet wurden, erscheint das deutsche System tatsächlich paradiesisch: Immerhin sind auch Arbeitslose krankenversichert, die meisten Behandlungen übernimmt die gesetzliche Krankenkasse, und die Wartezeit in einer Notaufnahme liegt unter zwölf Stunden. Und doch ist die Kluft zwischen dem Krankenhaus, das wir in der ARD sehen, und der Erfahrung eines tatsächlichen Aufenthalts gewaltig. Wem sie bisher erspart blieb, dem dürfte spätestens seit der Pandemie bewusst geworden sein, dass auch in deutschen Krankenhäusern ökonomische und damit verbundene personelle Engpässe Alltag sind und eine optimale Behandlung oft nicht gewährleistet ist.Solche Probleme werden in den Serien weitgehend ausgeblendet. Während die zahlreichen Krimis im deutschen Fernsehen den Eindruck vermitteln, das Verbrechen lauere hinter jeder Ecke, gaukeln einem die Krankenhausserien eine weitgehend heile Welt vor. Warum eigentlich? Fürchten die Programmverantwortlichen zu Recht um den Einbruch ihrer Quoten? Und wenn ja, warum liebt das deutsche Fernsehpublikum seine langweiligen, tugendhaften Ärzt*innen und Hebammen so sehr? Möglicherweise ist es die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, in der Ärzt*innen noch Hausbesuche machten und das Krankenhaus kein anonymer Ort war, in dem das überarbeitete Personal nur darauf wartet, einen wieder vor die Tür zu setzen, und man zugleich fürchten muss, dass einem jemand eine unnötige Behandlung aufquatscht, damit das Krankenhaus profitabler wird? Wenn die deutschen Krankenhausserien uns etwas über unseren Umgang mit Krankheit und Tod erzählen, muss man sie wohl als Symptom einer kollektiven Verdrängung lesen.