Das machen wir alle mal durch

Robert Habeck Mit seiner Selbstlöschung hat der Ex-Draußenminister leider die Netztrolle gefüttert. Unsere Kolumnistin kann davon ein Lied singen
Ausgabe 02/2019
Kann er die Welt auch ohne Twitter retten?
Kann er die Welt auch ohne Twitter retten?

Foto: Stefan Zeitz/Imago

Finden Sie zurück zur inneren Harmonie, justieren Sie Ihre Mitte neu, lassen Sie Ihr „Nein“ zur Trump’schen Twitter-Politikzersetzung sanft ausklingen und finden Sie – die Stille.

Guter Vorsatz zum neuen Jahr: einfach mal offline gehen. Nun hat sich Robert Habeck die digitale Kugel gegeben. Nachdem er zum wiederholten Mal ein deutsches Bundesland versehentlich als nicht demokratisch beleidigt hatte, war der Shitstorm unausweichlich. Er muss sich wie ein Hassregen aus glühendem Blei, der mit rostigen Nägeln und Metallsplittern kontaminiert ist, angefühlt haben. Dem knuffigen Ex-Draußenminister war das nach den Leaks aus seinem Freundes- und Familienkreis zu viel „außen“. Nun soll wirklich Schluss sein. Habeck schenkt keinen Champagner mehr nach, er beendet die Party: Am Montag löschte er seine Accounts bei Facebook und Twitter.

Das machen wir alle mal durch. Mit seiner Selbstlöschung hat Habeck auf jeden Fall den Leakern gegeben, was sie wollen: Mett, Schmerz, Sensationen. Wir, die Zuschauer in diesem Drama, wissen jetzt, dass da jemand ausfindig gemacht wurde, der kein sicheres Hinterland mehr sieht.

Ich habe viele Jahre Trollforschung betrieben und in diesem Rahmen auch versucht, die These „Don’t feed the troll“ zu erweitern oder zu widerlegen. Ich habe versucht, die Trolle zu füttern, Versuche unternommen, sie zurückzutrollen. In einer Welt mit Mitleid und Vernunft könnte es möglich sein, mit Trollen ins Gespräch zu kommen.

Dummerweise sind Trolle in einer solchen Welt nicht anzutreffen. Also gilt weiterhin: im Netz nicht das Gesicht verlieren, keine Penisbilder verschicken, Accounts nicht öffentlichkeitswirksam löschen, schlechte Nacktfotos am besten gar nicht machen und im ärgerlichen Fall des Entstehens sofort vernichten. Der letzte Ratschlag gilt nicht für von Patreon und Amazon-Wishlists lebende Queerfeminist-*innen, die sich gegen Lookismus und Bodyshaming einsetzen – übrigens eine der Lieblings-Zielgruppen der oftmals ehelos lebenden Cyberkrieger.

Wer Spaß an Cyber und an Krieg hat, ist bei den Trollen richtig. In ihrer Welt regiert das Recht des Stärkeren, der sich einen Spaß daraus macht, andere zu schubsen, zu triggern, ja, sie aus dem Takt zu bringen. Wenn ein Spieler dabei das Gleichgewicht verliert und über keine eigenen Ressourcen mehr verfügt, sein sicheres Hinterland aufgibt, dann hat er verloren.

Tränenreiche Rückzüge aus Social Media gehören zu den Standardzielen einer ordentlichen Trollattacke. Irgendeine Aufmerksamkeitshure hat was falsch gemacht und gibt die Schuld dafür jemand anderem, dann wird erst mal reflektiert, gebloggt und der Account gelöscht, um dann ein halbes Jahr später wieder aufzutauchen. Kennen wir schon, ist immer wieder schön, besonders, wenn das Drama von einem Parteivorsitzenden einer sich im Höhenflug befindlichen deutschen Partei aufgeführt wird.

Da war wohl ordentlich was los bei den Grünen. Bildschirme, Excel-Tabellen, rauchende Köpfe ... die Analyseabteilung der Trollstation hat den Vorgang natürlich genau beobachtet. Die Genossen klopfen sich auf die Schulter, ein Schnaps wird heruntergestürzt, und dann verlassen auch schon die ersten den Chatraum. Die einen, um nach der Schicht nach Hause zu fliegen, die anderen absolvieren jetzt den ersten Außeneinsatz ihres vermutlich sehr lang werdenden Troll-Tages.

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Geschrieben von

Julia Seeliger

schreibt alle vier wochen das "medientagebuch"

Julia Seeliger

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