Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft, Superreiche, die mit ihrem ererbten Vermögen mehr Geld verdienen als die meisten von uns in ihrem ganzen Leben mit Arbeit, kriminelle Strukturen bei Banken, die Agenda 2010 – Sahra Wagenknecht ist eine zuverlässige Garantin dafür, dass die SPD weiterhin an die Politik erinnert wird, die unser Land in eine soziale Schieflage gebracht hat.
Couragiert gegen den Strom heißt der Band, der laut Titel Erkenntnisse „über Goethe, die Macht und die Zukunft“ liefert. Wagenknecht sagt, Faust („ein hochpolitisches Werk“) sei der Auslöser gewesen, dass sie ernsthaft begonnen habe, über gesellschaftliche Fragen nachzudenken. „Warum haben sich die Menschen bestimmte Institutionen gegeben, die doch für viele nachteilig sind? Was kann man ändern und wie?“ Die Dualität des optimistischen Faust und des pessimistischen Mephisto sei eine Sache dabei, die optimistische Botschaft am Ende von Faust II dann wunderbar. „Und das, obwohl Goethe der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und dem damit aufziehenden kulturellen Banausentum mit großer Sorge entgegensah.“ Stinkende Industrie, Zerstörung der Natur, ausbeuterische Tendenzen der neuen Wirtschaftsordnung – heute werde, wer sich dagegen einsetze, als „Gutmensch“ abqualifiziert. Eine interessengeleitete Presse stütze dieses System.
Der Hass auf sie ist enorm
So weit, so gut. Schon einige Jahre treibt Wagenknecht die Goethe-These um und sie hat sie auch immer wieder in Vorträgen und Texten zum Thema gemacht. Eines Tages wolle sie darüber ein Buch schreiben, in Couragiert gegen den Strom bleibt es jedoch vorerst bei einigen wenigen Ideen. Ansonsten werden wir in dem Gespräch mit dem Telepolis-Autor Florian Rötzer mitgenommen in Wagenknechts Jugend auf dem Dorf bei Jena und in die Berliner Wohnung, in der sie so viel las.
Wir erfahren, dass die Wagenknecht gerne Schach spielte, die Naturwissenschaften als besondere Bereicherung ihres Schullebens empfand und sich ansonsten gerne den Gemeinschaften entzog, wie auch in der Politik Netzwerken ihre größte Schwäche sei. In Brüssel musste sie mitansehen, wie Lobbyisten die Politiker zu teuren Essen ausführen und wie sie vor leeren Reihen sprechen. Das ist aufschlussreich und bringt mehr Licht in die Europaskepsis der Linken.
Das Internet betrachtet Wagenknecht als Möglichkeit, mit den Freunden Kontakt zu halten, und kritisiert gleichzeitig den Verfall der Buchkultur. Eine Politikerrede auf Youtube ermögliche neue Zugänge, „weil das Medium einfach lebendiger ist“, man könne sich jedoch nicht die großen Kulturen der Welt über Youtube erschließen. Noch vor 100 Jahren hätten Arbeiter Schiller und Fontane gelesen. Das vergleichsweise gute Bildungssystem, auch vorangebracht von den Arbeiterbildungsvereinen, sicherte damals Aufstiegschancen. Jetzt werde die Zeit wieder zurückgedreht. Den Hass im Netz, den die SPD mit ihrem Netzwerkdurchsetzungsgesetz ausblenden will, sieht Wagenknecht als Zeichen für eine ungerechte, kriegerische Welt, das ernst genommen werden muss.
Neben dem Interview mit Rötzer finden sich in dem Buch eine Parteitagsrede und drei Plenarprotokolle. Während sie mit einer Rede über eine Privatisierung der Autobahnen vor allem die SPD-Politiker Oppermann, Schneider und Kahrs wütend macht – am Ende dieser Rede ruft Kahrs fortwährend dazwischen –, provoziert sie in der Haushaltsdebatte vor allem welche von der Union. Der Hass, der Wagenknecht entgegenschlägt, ist enorm. Man kann sagen, sie ist für den Bundestag wie ein Troll: Sie als Person eignet sich hervorragend als Projektionsfläche und Zielscheibe für die Mainstream-Politiker, solche, die nach ihrer Beurteilung eben „mit dem Strom schwimmen“. Dazu tragen die vorgetragenen Inhalte, aber auch ihre rational-rechnende Persönlichkeit bei, die sich in keine Schublade pressen lässt.
Die Philosophin Wagenknecht, die 2012 in Ökonomie über das Sparverhalten von Reichen und Armen promovierte, wurde einst von Frank Schirrmacher hofiert. Dem Buch hätte es besser getan, wenn er noch leben würde und die Fragen gestellt hätte. Florian Rötzer von Telepolis verkommt zum Stichwortgeber. Es bleibt dann eben nur der Zweifel, wie es denn mit den in dem Buch vorgebrachten Fakten wirklich steht. Man wird praktisch in eine Google-Recherche getrieben und muss erkennen, dass die Springer-Presse darüber berichtet hat, dass Wagenknecht, die laut gegen Kinderarmut redet, ihren Exmann dabei unterstützt haben soll, sich Unterhaltszahlungen nachhaltig zu entziehen. Fake News? Oder doch Ausdruck von Lebensverhältnissen, derentwegen man nach einem starken Staat ruft? Wie die Grünen, die den Flugverkehr kritisieren, weil sie selbst eben nicht im Harz wandern oder eine Radtour machen, sondern zum Backpacken nach Thailand jetten. Solche Fragen muss der Leser stellen. Und das würde Sahra Wagenknecht bestimmt gefallen: Wenn die Leute anfangen zu lesen und nachzudenken.
Info
Couragiert gegen den Strom. Über Goethe, die Macht und die Zukunft Sahra Wagenknecht Westend 2017, 224 S., 18 €
Die Bilder des Spezials
Die geschälte Banale, das sind absurde Kurzgeschichten der Berliner Illustratorin Jill Senft. „Warum einfach nur die Wirklichkeit wiedergeben?“, fragt Senft. „Illustration erlaubt es mir, mir alles vorzustellen.“ Die geschälte Banale ist eine Kombination aus dem, was sie sieht und erlebt. Bei Senft verrutschen die Größenverhältnisse, winzig klein, riesig groß, korrekte Perspektiven werden gebrochen. Senft arbeitet zuerst im Skizzenbuch mit Acrylfarben. Das lässt ihr die Freiheit, unverfänglich auszuprobieren, und fühlt sich weniger endgültig an. Danach werden die Entwürfe auf Papier oder Pappe überarbeitet.
Entstanden ist die Reihe Die geschälte Banale als Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Acryl auf Pappe und Papier, 2017
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