Supergähn!

Medien „Supernova“ will uns die schönen Seiten des lin­ken Lebens näher bringen. Stattdessen suhlt sich das „Neue Deutschland“-Projekt in fresher Irrelevanz
Ausgabe 37/2018
Wohin fliegt Phoenix mit seiner Supernova, wenn er sich aus der kapitalistischen Scheiße erhebt?
Wohin fliegt Phoenix mit seiner Supernova, wenn er sich aus der kapitalistischen Scheiße erhebt?

Foto: N. Smith/UC Berkeley/CXC/NASA/Getty Images

Bei der Suche nach dem guten linken Leben grabe ich in meinem Komposthaufen. Viele verschiedene Lebensformen leben in dem dunklen nassen Kasten friedlich zusammen. Letztens habe ich noch einen Ameisenverein eingebürgert, der sich hoffentlich gut mit den Regenwürmern, den Bakterien und dem Engerling vertragen wird, und habe Pferdescheiße als Katalysator hinzugefügt. Aggressive Störer wie Ratten und Hunde bleiben draußen.

Damit ich nicht länger in der Scheiße wühlen muss, gibt es jetzt Supernova, das Lifestyle-Magazin des nd. Die Welt im Kapitalismus sei „scheiße“, so Supernova, und die Verhältnisse „beschissen“. Das stimmt, vor allem auf globaler Ebene. Das Neue Deutschland, kurz eben nd, hat eine überalterte Leserschaft und will nun sehen, dass ihm von der jüngeren Generation was bleibt. Supernova will uns die schönen Seiten des linken Lebens näherbringen. Doch wohin fliegt Phoenix, wenn er sich aus der kapitalistischen Scheiße erhebt?

Nachfrage bei Facebook (auf E-Mails wird im Jahr 2018 anscheinend nicht mehr reagiert). Ich frage zuerst nach Pressematerial und plaudere dann mal so drauflos und sage: „Ja, was ist mit Drogen und wieso wird so viel über Scheiße geredet, na ja, man könnte da was mit Schernikau machen.“ Darüber, „wie die Scheiße in die Köpfe kommt“ (Schernikau), will Supernova dann mit mir nicht scherzen, sondern es folgt eine Nachfrage, „in welcher Form Supernova in meinem Beitrag“ vorkomme.

Superdanke, Supernova. Die schön-schaurigen Seiten des linken Lebens sind damit schon mal angeschnitten. Alles wird kontrolliert, ständig muss man sich erklären. Wir müssen alle Bionade trinken und selbst gemachtes veganes Mett essen. Ich fühle mich schlagartig zurückversetzt an jenen Tag, als ich mit der U8 fuhr und wegen Witzen über eine Werbung im Berliner Fenster ungefragt von einer Aktivistin zurechtgewiesen wurde. Traurige Erkenntnis: Wer den ganzen Tag nur auf Diskriminierungen schaut, scheint dabei ein ordentliches Maß an Misstrauenskultur zu entwickeln.

Darauf ein schönes linkes Leben zu bauen, scheint kompliziert. Wie das aussehen soll, gehört durchdacht, nach Möglichkeit über studentische Realitäten hinaus. Bislang findet sich auf Supernova neben „Kommunismus 4.0“ und einer Reportage über eine DJane of Color eben auch ein Text Armutsgedanken. Jemand hat in der Mitte des Monats kein Geld mehr für Shampoo und schämt sich dessen, wenn der Freund den Einkauf bezahlt. Das Ganze sei vor drei Jahren gewesen, heute sei die damalige Jungakademikerin in einer tarifgebundenen Festanstellung.

Mir fällt dieser eine Winter ein, als sich in C.s Bekanntenkreis 14 AktivistInnen umgebracht haben. „Man wird nicht jünger, alle so ab Mitte 30, und dann fängt das Amt an, Probleme zu machen“, kommentierte L. damals lapidar. Sich für das richtige Leben, für das Leben im linken Aktivismus, zu entscheiden, birgt Schönes, ist aber eben auch nicht so leicht. Der Arbeitgeber mag die Followerschaft bei Twitter nicht, das Amt mag Aktivismus nicht und die Familie stört sich vielleicht auch noch an was. Armut wegen des Linksseins hat viele Gesichter. Unangepasstheit schätzt beileibe nicht jeder Arbeitgeber, trotz aller Bekundungen, dass demnächst das Jahrzehnt der kreativen Querköpfe eingeläutet wird. Dagegen muten die vergangenen Shampooprobleme einer Studentin doch eher irrelevant an.

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Geschrieben von

Julia Seeliger

schreibt alle vier wochen das "medientagebuch"

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