Prunkvoll und billig

Film „Zeit der Kannibalen“ führt mit Devid Striesow, Sebastian Blomberg und Katharina Schüttler als aalglatte Consulter das messianische Versprechen des Kapitalismus vor
Ausgabe 21/2014
Prunkvoll und billig

Bild: Pascal Schmit / Farbfilmverleih

Bertold Brecht sagte einst über seine Dreigroschenoper, sie solle so prunkvoll sein, wie nur Bettler sie erträumen könnten, und so billig, dass auch Bettler sie bezahlen könnten. Dahinter steht die sozialromantische Vorstellung, dass große Volkskunst auch für nur „drei Groschen“ zu ergattern sei. Aus der kunstsozialistischen Perspektive soll Kunst keine Sache nur für eine privilegierte Gesellschaftselite sein, sondern vermittelbar für jedermann.

Auch für Johannes Naber gilt dieses Credo: Sein Kammerspiel Zeit der Kannibalen, das nun in die Kinos kommt, ist eine reine Studioproduktion, die in den Räumen einer Hotelkette in verschiedenen Hotels rund um den Globus spielt. Die drei Protagonisten sind die Unternehmensberater Frank Öllers (Devid Striesow), Kai Niederländer (Sebastian Blomberg) und Bianca März (Katharina Schüttler), aalglatte Kapitalisten in Nadelstreifen, die auf Firmenreise in den Entwicklungsländern unterwegs sind, um den freien Wettbewerb zu predigen und die Unternehmen auf Konkurrenzkampf zu drillen.

Die Szenerie wird von der unheimlichen Diskrepanz geprägt, dass eine zivilisatorische Grenze zwischen den Hotelräumlichkeiten als Synonym für westliche Standards und jener davon entfremdeten Dritten Welt zu verlaufen scheint, die für den Zuschauer eben nur als schemenhafte Kulisse eines Großstadtpanoramas durch die Hotelfenster vage erkennbar ist. Ganze Hochhäuserblöcke erscheinen hier als konturlose, glatte Fassaden in der Außenwelt.

Die Arroganz des Westens

Maschinengewehrschüsse lassen sich in der Geräuschkulisse von draußen wahrnehmen, können Öllers und Niederländer aber kaum mehr als ein müdes Lächeln abringen oder reichen gerade für einen lakonischen Kommentar, dass irgendein „Kopftuchmädchen“ ihren „Jungfrauentest“ wohl gerade nicht bestanden habe, was wohl zu einer Massenvergewaltigung geführt habe. Der Staftatbestand einer Massenvergewaltigung wiederum muss dann wohl eine Massenerschießung ausgelöst haben.

Man erinnert unweigerlich, dass in bestimmten Ländern auf Vergewaltigung sehr harte staatliche Vergeltungsmaßnahmen erfolgen, beispielsweise in Indien. Es ist ein traditionelles Dilemma, dass Traditionen und Sitten in anderen Kulturen oftmals mit einem Hohn der Befremdlichkeit vom Westen belächelt werden. Da hier jedoch auch die Toleranz ein zentraler Wert ist, stellt sich immer die Frage, woher der Westen nun die Arroganz nimmt, die eigenen Vorstellungen über jene Kulturen zu stellen? Die Unternehmensberater Öllers und Niederländer liefern ein mustergültiges Beispiel für jene Art der Arroganz.

Einer der Hauptdarsteller von Zeit der Kannibalen ist Sebastian Blomberg, der den Unternehmensberater Kai Niederländer spielt. In einer besonders prägnanten Szene lässt er ein ganzes Hotelzimmer vom Hotelpersonal nach einem Insekt absuchen, das ihn gebissen haben soll; einschließlich einer sogenannten Kopfgeldprämie für jenen, der ihm das Insekt fangen und bringen würde, damit er es für eine Untersuchung auf etwaige Krankheitserreger ins Labor schicken könne. Eine Szene, die zwischen Slapstick und psychopathologischem Autismus zu schwanken scheint und Blombergs schauspielerische Bandbreite zum Ausdruck bringt. Man denkt dabei unweigerlich an jenen von Christian Bale verkörperten Investmentbanker Patrick Bateman in dem Psychothriller American Psycho aus dem Jahr 2000.

Ebenso wie Niederländer verkörperte Bateman den scheinbar zivilisierten Büromenschen, der jedoch von niederen Instinkten getrieben wird. Bei Niederländer reicht es für einen unterschwelligen Rassismus und eine herablassende Art gegenüber dem einheimischen Hotelpersonal. Der Geschmack des servierten Kaffees wird ebenso erratisch moniert und mit Beschimpfungen begleitet wie die Aufräumdienste des Hotelzimmers. Immer an der Grenze zur emotionalen Entgleisung, bis Niederländer einer Servicekraft schlussendlich prophezeiht, diese würde so oder so auf lange Sicht durch Maschinen ersetzt werden, was den kalten Blickwinkel des Kapitalismus offenbart. Dass der Mensch in der modernen Arbeitswelt am besten wie eine Maschine zu funktionieren habe oder andernfalls durch eine solche zu ersetzen sei.

Blomberg, geboren 1972 in Bergisch Gladbach, hat im Lauf seiner Karriere bereits in diversen Filmproduktionen und Theaterstücken mitgewirkt. Einem breiteren Publikum wurde er durch den Film Anatomie aus dem Jahr 2000 bekannt, der alleine in Deutschland mehr als zwei Millionen Besucher in die Kinosäle lockte und beim Deutschen Filmpreis zum besten Kinofilm desselben Jahres gekürt wurde. Im Jahr 2008 erhielt Sebastian Blomberg einen Grimme-Preis für seine Darstellung des Haupt- und Realschullehrers Michael Grothe in dem Film Guten Morgen, Herr Grothe.

Fadenscheinige Charaktere

Doch auch abseits der Filmproduktionen ist Blomberg ein gefragter Theaterschauspieler, der unter anderem in Wien, Zürich, Hamburg oder Berlin in verschiedenen Stücken mitgewirkt hat. So spielt er beispielsweise im Residenztheater in München unter der Regie von Herbert Fritsch die Rolle des Chlestakow in dem Stück Der Revisor von Nikolai Gogol.

Seit seinen jungen Jahren, als Blomberg bereits zu Schulzeiten in einem Internat am Bodensee auf der Theaterbühne stand, hat er seinen adligen „von“-Titel abgelegt. Möglicherweise will er sich dadurch den Spielraum bewahren, eine bewusst prononcierende Sprache als Schauspieler zu verwenden, ohne dabei gleich als „Adliger“ abgestempelt zu werden. Damals spielte er als Schüler den Mackie Messer in Bertold Brechts Dreigroschenoper. Im Unterschied zu Kollegen wie Til Schweiger, Benno Fürmann oder Moritz Bleibtreu scheint Blomberg jedoch weniger massentauglich zu sein. Er wirkt wie für die zwielichtigeren Rollenbesetzungen abonniert, ebenso wie für fadenscheinige Charaktere am Rande ihrer eigenen Glaubwürdigkeit.

Es mutet daher als politisches Statement an, dass Blomberg nun in Zeit der Kannibalen als Unternehmensberater die Methoden des Raubtierkapitalismus in bitterböser Manier parodiert. Dessen Zähne, sofern sie als kulturelle Missionarstätigkeit verschleiert werden, erst dann handhabbar zu werden scheinen, sofern sie auch tatsächlich zugebissen und die kulturelle Anpassung an den Westen erzwungen haben. Der globale Wettbewerb um die günstigsten Produktionskosten und das höchste Renditeversprechen des eingesetzten Kapitals hat jene Metapher von den Kapitalisten als Heuschrecken geprägt, die ganze Regionen abgrasen und dann weiterziehen würden.

Auch in der Kunst, die für Bettler erschwinglich sein will, wie es Brecht einst formuliert hat, stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln ein Theaterstück oder ein Film produziert wird, um so prunkvoll zu sein, dass man den Theater- oder Kinosaal aufsuchen will, und so erschwinglich zu sein, dass es für jedermann sehenswert erscheint. Regisseure wie Lars von Trier und Johannes Naber zeigen mustergültige Beispiele dafür: Eine „Arte Povera“ des Films mit einfachen Mitteln, die ihr Publikum an sich zu binden scheinen.

Zeit der Kannibalen Johannes Naber Deutschland 2014, 96 Minuten

Julian Augstein, geboren 1973, lebt als Künstler in Hamburg

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