Der Freitag: Herr Flassbeck, Griechenland hat einen Anteil von 2,6 Prozent am BIP der Eurozone. Warum ist es gefährlich für den Euro, wenn dieses Land zusammenbricht?
Heiner Flassbeck: Erstens bricht Griechenland nicht zusammen, und zweitens wäre das nicht gefährlich. Die ganze Panik im Moment ist doch nur ein unglaublicher Hype.
Nur ein Hype?
Natürlich. Der kommt von unserem unerschütterlichen Glauben in die Weisheit der Finanzmärkte. Man muss sich einmal vorstellen, dass die Institutionen, die in der Finanzkrise total versagt haben, Rating-Agenturen, ein Land der Euro-Zone herunterstufen und sofort alle Finanzminister ganz aufgeregt sind, anstatt zu sagen: ,Wieder so eine lächerliche Rating-Agentur! Wir nehmen das überhaupt nicht ernst‘.
Also ist die Situation in der sich Griechenland derzeit befindet für Sie kein Problem?
Doch, Griechenlands Haushaltslage ist ein Problem, aber nicht das zentrale Problem. Das eigentliche Problem sind die gewaltigen Unterschiede in den Wettbewerbsfähig‑ keiten der Eurozone, also die Differenzen bei den Lohn-Stück-Kosten und die Defizite in den Leistungsbilanzsalden.
Das müssen Sie erklären.
Die Lohn-Stück-Kosten, also die Höhe der Arbeitskosten im Verhältnis zur Arbeitsproduktivität, sind die entscheidende Messgröße für Wettbewerbsfähigkeit in einer Währungsunion, wo es ja keine Wechselkurse mehr gibt. Vergleicht man 2009 mit 1999 sieht man, dass sich Deutschland durch Lohndumping seit Jahren einen absoluten „Vorteil“ gegenüber den südeuropäischen Ländern und Frankreich geschaffen hat. Normal sollte eine Lohn-Stück-Kosten- Steigerung von zwei Prozent jährlich sein, weil es auch ein Inflationsziel von zwei Prozent gibt. In Deutschland liegt sie bei null. Das heißt, dass jedes vergleichbare Produkt in Deutschland heute 25 Prozent billiger ist als in Südeuropa. Das ist für die Währungs‑ gemeinschaft tödlich, denn kein Land kann dauerhaft damit leben, dass es ständig Marktanteile an ein anderes Land verliert.
Wie kann dieses Problem gelöst werden?
Nur auf dem Wege, dass man verhindert, dass die anderen Länder auf Dauer gegenüber Deutschland verlieren. Wenn Deutschland jetzt seine Löhne über 15 Jahre jedes Jahr um fünf Prozent steigen ließe, und in den Staaten Südeuropas bei unveränderter Produktivität im gleichen Zeitraum die Löhne um nur zwei Prozent stiegen, würde sich die Lücke schließen. Deutschland würde darunter aber nicht leiden. Es würde bis 2025 immer noch Marktanteile gewinnen. Erst wenn die Lohnentwicklung danach noch 20 Jahre so weiter verlaufen würde, verlöre Deutschland seine gewonnenen Marktanteile wieder.
Was kann Griechenland jetzt tun?
Gar nichts. Sie können sich jetzt nur weiter in die Krise wirtschaften, indem sie ihr Staatsdefizit mit Gewalt reduzieren. In einem Jahr wird man dann sehen, dass es so nicht geht, und dann bin ich gespannt, wie es politisch dort und hier weiter geht. Griechenland ist nicht bankrott. Aber den Haushalt herunterzufahren wird nicht funktionieren, weil sie mitten in der Rezession stecken. Und dann wird man in einem Jahr vor den Scherben dieser Politik stehen und sich die Frage stellen: Lässt man es jetzt auseinander brechen oder fängt man an, ernsthaft über die Probleme nachzudenken.
Was sagen Sie zu dem Vorschlag eines Eurobeistandspaktes, der Euro-Reserven für Staaten bereit hielte, die in eine Währungskrise gestürzt sind?
Das klingt für mich sehr nach einer Euroanleihe. Dafür bin ich absolut.
Wie würde das aussehen?
Eine Euroanleihe würde ausgegeben werden wie eine deutsche Staatsanleihe, nur eben zentral vom Euroraum. Ihre Zinsen wären niedrig, denn der ganze Euroraum stände hinter ihr. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, welcher Hype das Land Griechenland mit seinen 2,6 Prozent Anteil umgibt.
Wie würde das organisatorisch funktionieren?
Die Euro-Länder würden ihren Bedarf anmelden, der wird dann als Anleihe auf dem Kapitalmarkt aufgenommen und das Geld an das betreffende Land weitergereicht. Das bleibt haftbar und zuständig, die Eurozone insgesamt sichert aber ab. Damit wäre man unabhängig von den Rating-Agenturen. Das kann aber nur eine kurzfristige Lösung sein. Mittelfristig muss die Wettbewerbslücke beseitigt werden.
Und was, wenn sie nicht beseitigt wird?
Wenn die Länder Südeuropas weiter an die Wand gedrängt werden, ist es denkbar, dass die Südeuropäer aus dem Euro aussteigen und einen Südeuro gründen. Den werten sie dann schnell um 40 Prozent ab. Dann ist Deutschlands Wettbewerbs‑ fähigkeit über Nacht kaputt.
Damit würden auch die Altschulden der Staaten sprunghaft ansteigen. Die wurden ja in Euro aufgenommen.
Ach was. Wenn es soweit kommt, werden diese Länder ihre Schulden einfach nicht mehr bezahlen. Warum sollten sie auch?
Halten Sie das wirklich für ein realistisches Szenario?
Was sind denn realistische Optionen im Moment? Alles was man andenkt, klingt unrealistisch. Aber es muss weiter gehen, also muss man auch das Unrealistische für realistisch halten.
Das heißt, Sie sehen die unterschiedlichen Wett‑ bewerbsfähigkeiten als ernstzunehmendes Bedrohungspotential für den Euro?
Das ist das Bedrohungspotenzial für den Euro. Nichts anderes. Das ist es immer gewesen – nicht die Haushaltsdefizite. Die sind nur ein abgeleitetes Problem.
Was kann Deutschland tun?
Es muss dafür sorgen, dass andere Märkte nicht weiter gegen den deutschen verlieren – durch wesentlich höhere Lohnabschlüsse.
Nun sieht es in Deutschland nicht gerade nach massiven Lohnsteigerungen aus. Die IG Metall ist sogar ohne Lohnforderungen in die Tarifverhandlungen gegangen.
Das ist richtig. Die werden wohl bei null abschließen. Wenn das so bleibt, gibt es keine Lösung für das Problem. Dann bricht Europa auseinander.
Das wäre das Ende des europäischen Projekts.
Es wird alles den Bach runter gehen, wenn wir es nicht schaffen, die Eurozone am Leben zu erhalten. Wir müssen die Länder zu einem vernünftigen Miteinander untereinander bewegen, sonst hat dieses Europa keinerlei Zukunft.
Ist die derzeitige Krise nicht auch eine Chance? Der sinkende Eurokurs dürfte doch den Export ankurbeln.
Der Export wird anziehen, aber innerhalb der Eurozone hat das keine Bedeutung. Die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone bleiben ja weiter bestehen. Außerdem geht das auch nur wieder zu Lasten anderer Länder. Wir müssten in Deutschland mal begreifen, dass man sich nicht immer auf Kosten anderer sanieren kann. Man müsste sich mal einen globaleren Blick angewöhnen und sehen, dass man nicht mit Hilfe von Auf- und Abwertung, Lohndumping oder Steuersenkungen dadurch überlebt, dass man anderen Ländern Marktan‑ teile abjagt. Das funktioniert einfach nicht.
Also profitiert von der Euro-Schwäche wieder nur Deutschland und nicht die ganze Eurozone?
Der Hauptprofiteur eines niedrigen Euro ist eindeutig Deutschland. Es wird bei den Löhnen keinen Zuwachs geben, die Lohnstückkosten werden sinken und gleich‑ zeitig werden die deutschen Exporteure durch den schwachen Euro auch im Rest der Welt abräumen. Damit werden die Ungleichgewichte global und in der Eurozone noch größer, weil Deutschland einen Wettkampf der Nationen antreibt, statt sich für den Wohlstand der Nationen zu interessieren.
Das Gespräch führte Julian Heißler
Heiner Flassbeck (59) leitet den Bereich Markoökonomie und Entwicklungspolitik bei der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Unter Oskar Lafontaine war Flassbeck 1998/99 Staatssekretär im Finanzministerium mit den Schwerpunkten Internationale Finanz-, Währungs- und Europapolitik
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