Das Wort Flügelkampf bekommt in der SPD in diesen Tagen eine neue Bedeutung. Während es normalerweise Scharmützel zwischen Linken, Netzwerkern und parteirechten Seeheimern beschreibt, streiten sich derzeit die Parteilinken über das richtige Auftreten in der SPD. Auslöser ist ein Aufruf des stellvertretenden SPD-Chefs Ralf Stegner, der gemeinsam mit dem Sprecher der Parlamentarischen Linken, Carsten Sieling, und Jusos-Chefin Johanna Uekermann die Gründung einer neuen Plattform für die linken Kräfte in der Partei ankündigte. Mitte November wolle man sich in Magdeburg treffen, um das weitere Vorgehen zu beraten, heißt es in dem Schreiben. Angedacht ist eine Plattform, die nach dem Vorbild des legendären Frankfurter Kreises Mehrheiten für linke Anträge und Positionen organisiert und die Arbeit der linken Mitglieder in den Parteigremien koordiniert.
Damit steht die neue Plattform in direkter Konkurrenz zur bisherigen Organisation des linken Flügels, dem Forum Demokratische Linke (DL21), einem Verein, in dem eigenen Angaben zufolge rund 1000 Genossen organisiert sind. Sein Einfluss auf die Partei ist jedoch zurückgegangen. Grund genug für Stegner, Sieling und Uekermann, ihre Konkurrenzplattform an den Start zu bringen. Das Problem: DL21-Vorsitzende Hilde Mattheis wurde in die Planungen nicht einbezogen. Seitdem ist die Stimmung im linken Flügel nachhaltig gestört.
Die Selbstbeschäftigung kommt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die Genossen eigentlich an einem Strang ziehen müssten. Die Großprojekte des Koalitionsvertrags, den die SPD-Linke mit Rentenpaket und Mindestlohn noch deutlich prägen konnte, sind so gut wie abgearbeitet. Für die Regierung heißt das, dass sie künftig mehr Freiheiten bei der Auswahl ihrer Themen hat. Ob das immer zwingend die Herzensanliegen der linken Sozialdemokraten sein werden, darf zumindest bezweifelt werden. Geschlossenheit wäre hier angebracht, doch die ist dem Flügel nicht immer gegeben, zumal es wohl auch auf der persönlichen Ebene zwischen den linken Spitzengenossen nicht rundläuft.
Massenaustritte und Streit
„Die Parteilinke ist das Flaggschiff der SPD“, sagt Ralf Stegner. Inhaltliche Debatten würden überwiegend in diesem Parteiflügel geführt. Dass die Partei sich in der Diskussion um die Freihandelsabkommen CETA und TTIP so deutlich positioniert habe, sei vor allem ein Verdienst der Linken. „Sie ist inhaltlich sehr erfolgreich“, so Stegner, „aber das Erscheinungsbild nach außen ist verbesserungsfähig.“
Tatsächlich haben die DL21 erst vor einigen Wochen rund 40 Genossen verlassen, darunter prominente Mitglieder wie Arbeitsministerin Andrea Nahles, Ex-Jusos-Chef Sascha Vogt und der Leiter der Berliner Senatskanzlei, Björn Böhning. Anlass war eine Pressemitteilung von Mattheis, in der sie den Mindestlohn als „faulen Apfel“ bezeichnete. Er sei zwar „außen rot“, habe aber „viele Löcher“. Spätestens seitdem ist die DL21 bei führenden SPD-Mitgliedern unten durch. Für viele Genossen gilt es mittlerweile als Fundi-Verein, mit dem parteiinterne Absprachen nicht mehr zu machen sind. Gerade an diesem Punkt soll die neue Plattform sich unterscheiden. Die Linke solle „kompromissfähig und konsensfähig“ sein, heißt es in einer nicht unumstrittenen Passage des Aufrufs.
„Die DL21 muss sich verändern“, so der Mitunterzeichner des Gründungsaufrufs, Carsten Sieling. Sie habe ihre koordinierende Rolle für die Parteilinke mittlerweile eingebüßt. Auch vertrete sie den linken Flügel nicht in dessen Gesamtheit: „Die DL21 hat nach eignen Angaben rund 1000 Mitglieder“, so Sieling, „zur Linken in der SPD zählen sich aber sicher deutlich mehr als 100.000 Mitglieder.“ Ein anderer Spitzengenosse meint nur lakonisch: „Da brennt noch Licht, aber es ist niemand mehr zuhause.“
Ungünstiger Zeitpunkt
Das will Hilde Mattheis nicht auf sich sitzen lassen: „Wir sind ein sehr starker Mitgliederverein, der der Basis das Angebot macht, sich inhaltlich in der Partei mit einzubringen“, sagt sie. Der jetzt geplante neue Verbund dürfe keine Veranstaltung der „Mandats- und Funktionsträger“ sein. „Eine große Stärke der DL21 ist die basisdemokratische Struktur. Das haben wir eingebracht und werden dies auch weiterhin tun.“ Sie gehe zudem davon aus, dass sich der Aufruf an alle innerhalb der Parteilinken richte. Schließlich habe der Parteikonvent gezeigt, dass der Flügel nur gemeinsam erfolgreich agieren könne. „Und der bislang vereinbarte Koordinierungskreis der Linken, in dem die DL21 vertreten ist, hat die Zusammenarbeit bislang ja genau so organisiert“, so Mattheis. Am Samstag kommt die DL21 zu einer außerordentlichen Versammlung zusammen. Dort soll das weitere Vorgehen besprochen werden.
„Wir haben seit geraumer Zeit die Situation, dass die Linke zu wenig zusammenhält“, sagt Carsten Sieling. Dem Zerfall wolle man sich mit dem Aufruf zur Gründung einer neuen Plattform entgegenstellen. „Ich bekomme von der Basis nur positive Rückmeldungen“, sagt er, „wir wollen ein Dach, unter dem alle zusammenkommen können und niemanden ausgrenzen.“ Auch Hilde Mattheis hätte im Vorfeld informiert werden sollen, doch durch eine „Panne“ sei der Aufruf in der Öffentlichkeit gelandet, bevor man mit ihr gesprochen habe.
Diese Panne könnte sich noch bitter rächen. Denn wenn der linke Flügel sich weiter streitet, rückt auch die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2017 in weite Ferne – auch wenn die SPD seit ihrem Leipziger Parteitag ein solches Bündnis nicht mehr ausschließt. „Wir wollen nicht auf ewig in der Großen Koalition bleiben, sondern 2017 ein progressives Bündnis“, so Parteivize Ralf Stegner.
Doch eine solche Koalition muss inhaltlich vorbereitet werden – und da sieht es bisher mau aus. Sollte die SPD-Linke sich nicht schnell einigen, gibt es darauf kaum noch Chancen. „Ein Nebeneinander darf auf gar keinen Fall passieren“, so Mattheis. Zumindest da ist sie sich mit ihren Genossen einig.
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