Das Don-Camillo-Prinzip

Volksentscheid Schlimmer als jeder Wahlkampf: Die Art der Auseinandersetzung um den Berliner Religionsunterricht ist des Themas unwürdig

Gesa Ederberg wirkt nicht wie ein unangenehmer Mensch. Trotzdem hat ihr kürzlich eine Bekannte die Freundschaft gekündigt. Der Grund: Ederberg, Rabbinerin in der jüdischen Gemeine Berlin, engagiert sich für die Initiative „Pro Reli“, die den Religionsunterricht in der Hauptstadt aufwerten will. Es habe schon weh getan, so Ederberg, doch sie sieht auch die gute Seite: „Es ist erfreulich, dass über Religion diskutiert wird“, sagt sie. Dass dabei die Emotionen auch mal hoch- und gelegentlich sogar überkochten, sei nicht schlimm. „Streit ist immer gut“, sagt die Rabbinerin.

Streit gibt es in Berlin derzeit wahrlich genug: Vor dem Volksentscheid am Sonntag ist die Stimmung zwischen den Kampagnen „Pro Ethik“ und „Pro Reli“ vergiftet. Vertreter der beiden Organisationen beharken sich, wo sie nur können. Bisheriger Höhepunkt: Vor einigen Wochen wurde der Presse die Stasiakte des Vorsitzenden des Berliner Zweigs des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD) zugespielt. Der HVD ist einer der Träger der Initiative „Pro Ethik“. In der Akte fanden sich dann angeblich Hinweise, der Funktionär sei in den siebziger und achtziger Jahren Mitglied der „Gruppe Ralf Forster“ gewesen – einer von der Nationalen Volksarmee (NVA) ausgerüsteten linke Guerillatruppe, die in der alten Bundesrepublik der DKP nahe stand.

Zwar gab der Beschuldigte, heute SPD-Mitglied, sofort eine eidesstattliche Versicherung ab, in der er erklärte, die Vorwürfe seien falsch. Doch der Schaden war angerichtet. Genüsslich weideten sich Kommentatoren der „Pro Reli“-nahestehenden Zeitungen aus dem Hause Springer an den Vorwürfen und warfen mit Begriffen wie „Terrorcamps“ um sich. Der HVD kündigte schließlich an, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die die Vorwürfe prüft. Noch in dieser Woche soll sie ihre Arbeit aufnehmen.

Streit um das "Wie"

Der Berliner CDU, Unterstützerin von „Pro Reli“ geht das nicht weit genug. Ihr Vorsitzender Frank Henkel forderte bereits, den HVD vom Lebenskundeunterricht zu befreien, so lange die Vorwürfe nicht ausgeräumt seien. Lebenskunde ist ein freiwilliges Wahlfach, das an Berliner Grundschulen angeboten wird. Rund 50 000 Kinder besuchen den Unterricht. Die Organisation übernimmt der HVD. Dafür bekommt er vom Berliner Senat jährlich rund zwölf Millionen Euro. Beim Verband spricht man dann auch von einer „Rufmordkampagne“, die auch auf die Initiative „Pro Ethik“ abfärbe.

Die Heftigkeit mit der die Auseinandersetzung geführt wird, ist absurd. Beiden Initiativen geht es eigentlich um das gleiche: Die Erziehung von Kindern zu ethisch gebildeten Erwachsenen. Doch während „Pro Ethik“ die Evolution der Moral konfessionsunabhängig vermitteln und sich nur bei Bedarf bei allen Religionen bedienen will, fordert „Pro Reli“ einen Unterricht, der sich auf die Dogmen und theologischen Grundlagen der jeweiligen Glaubensrichtungen der Schüler bezieht. So soll nebeneinander gleichberechtigt evangelische und katholische Religion gelehrt werden – aber auch Judentum und Islam. Daneben soll es, für die zunehmend gottlose Jugend der Hauptstadt, auch die Wahlmöglichkeit für einen konfessionsunabhänigen Ethikunterricht geben. „Pro Ethik“ hingegen will einen verpflichtenden Ethikurs für alle Schüler – egal welcher Konfession sie angehören. Es ist wie bei Don Camillo und Peppone: Der Pfarrer und der kommunistische Bürgermeister wollen nur das Beste für die Stadt, doch über das „Wie“ prügeln sie sich auf dem Marktplatz.

Der ursprüngliche Streit war ausgebrochen, als das Abgeordnetenhaus 2006 mit Stimmen von SPD, Linke und Grünen beschloss, einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schüler einzuführen. Vorher war Ethik, genau wie Religion, nur Wahlfach und nicht versetzungsrelevant. Als immer mehr Schüler an keinem der Kurse mehr teilnahmen, sah der Senat Handlungsbedarf. Ethik wurde zum Pflichtfach, Religion blieb jedoch freiwilliges Wahlfach. Eine Klage gegen die Regelung scheiterte 2007 vor dem Bundesverfassungsgericht. Seitdem arbeitet die Initiative „Pro Reli“ auf den Volksentscheid am Sonntag hin.

Doch so nüchtern sieht die Abstimmung kaum noch jemand in der Stadt. Der Volksentscheid wurde von beiden Seiten hoch politisiert – zeitweise sprach man gar vom „Kulturkampf“ in Anlehnung an die Verfolgung der Katholiken im Kaiserreich unter Bismarck.

Die Gründe dafür sind schnell benannt: Volksentscheide geben der Berliner Opposition eine Möglichkeit, sich gegen den populären Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zu profilieren. Gerade die berüchtigte Chaostruppe von der Berliner CDU sucht jede Chance, um sich gegen die SPD zu positionieren. Der Streit zwischen „Pro Reli“ und „Pro Ethik“ ist nur das jüngste Beispiel. Als im letzten Jahr über die Zukunft des Flughafens Tempelhof abgestimmt wurde, lieferten sich Regierung und Opposition ebenfalls eine heftige PR-Schlacht. Die Stadt war gepflastert mit Plakaten – besonders denen der Befürworter des Flughafens, zu denen auch die CDU zählte. Schützenhilfe gaben die Zeitungen des Springer-Konzern mit einer ausgiebigen Kampagne pro Tempelhof.

Genützt hat es alles nichts. Der Volksentscheid scheiterte, der Flughafen wurde geschlossen. Wie es am Sonntag ausgeht, ist noch völlig offen. Die letzten Umfragen sehen „Pro Reli“ äußerst knapp vorn. Doch auch wenn das Ergebnis offiziell verkündet und Berlin zur Tagesordnung zurückgekehrt ist – der liebe Frieden dürfte nicht lange halten. Beim Landeswahlleiter wartet schon das nächste Volksbegehren darauf, auf die Hauptstadt losgelassen zu werden. Auch diesmal ist das Thema wieder kontrovers: Es geht um das Rauchverbot in Kneipen.

Zumindest darüber hätten Don Camillo und Peppone sich nie gestritten.

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