Der Einzelkämpfer

Porträt Jean-Claude Juncker geht gerne auf Distanz zu Angela Merkels Politik. Nun will er einen EU-Spitzenjob
Ausgabe 14/2014
19 Jahre lang stand er an der Spitze des Großherzogtums Luxemburg. Jetzt soll er Europas Konservative in den Wahlkampf führen – trotz des Gegenwinds aus den eigenen Reihen
19 Jahre lang stand er an der Spitze des Großherzogtums Luxemburg. Jetzt soll er Europas Konservative in den Wahlkampf führen – trotz des Gegenwinds aus den eigenen Reihen

Foto: Thierry Charlier/ AFP / Getty Images

Am Wochenende machte es Jean-Claude Juncker seinen Verbündeten von der CDU wieder einmal ein bisschen schwerer, sich ungehemmt über seine Rolle als Spitzenkandidat der konservativen Parteienfamilie EVP zu freuen. Er könne die EU von einer „Teilverantwortung“ für die Krim-Krise nicht freisprechen, so Juncker im Interview mit dem Deutschlandfunk. Dann riet er der NATO noch von zusätzlichen Truppenstationierungen im Baltikum ab, immerhin erklärtes Ziel der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, nebenbei stellvertretende CDU-Vorsitzende. Zumindest seine Eigenständigkeit hatte Juncker damit einmal mehr demonstriert.

Tatsächlich muss Juncker eigentlich niemandem mehr etwas beweisen. 19 Jahre regierte er Luxemburg, bis er im vergangenen Jahr über eine Geheimdienstaffäre stolperte. Von 2005 bis 2013 saß er zudem der Euro-Gruppe vor. Den Job des EU-Kommissionspräsidenten, für den er sich jetzt im Zuge der Europawahl bewirbt, hätte er schon vor zehn Jahren haben können. Damals entschied er sich dagegen. Doch jetzt, wo im Großherzogtum nur noch die harte Oppositionsbank wartet, erklärte er sich doch bereit, für die EVP in den Wahlkampf gegen den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), zu ziehen.

Über Kreuz mit der CDU

Junckers Kandidatur stieß nicht auf ungeteilte Begeisterung. Einige seiner ehemaligen Kollegen im Europäischen Rat können sich Schöneres vorstellen als künftig mit einem Kommissionspräsidenten Juncker verhandeln zu müssen. Dem britischen Premierminister David Cameron werden Vorbehalte genauso nachgesagt wie dem französischen Präsidenten François Hollande, dem spanischen Ministerpräsidenten Rajoy und seinem schwedischen Amtskollegen Fredrik Reinfeldt.

Auch in Deutschland sieht man Juncker skeptisch. Sein Verhältnis zur Kanzlerin gilt als schwierig, seit er auf dem Höhepunkt der Euro-Krise wiederholt die deutsch-französische Dominanz im gemeinsamen Währungsraum kritisierte. Zudem liegt er mit der CDU über Kreuz, was eines der zentralen Wahlversprechen angeht: Eurobonds. Juncker kann sich die gemeinsame Haftung für Staatsschulden unter gewissen Voraussetzungen vorstellen. Für die Christdemokraten ist das allerdings Teufelszeug: „Ich teile seine Auffassung hier nicht und finde es auch nicht hilfreich, dass er das Thema jetzt anspricht“, so Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Die Tagesordnung des CDU-Europaparteitags an diesem Samstag sieht für Juncker dann auch nur ein kurzes Grußwort vor.

Gut aufgestellte Konkurrenz

Will Juncker allerdings der nächste Präsident der EU-Kommission werden, dann wird er spätestens nach der Wahl Verbündete brauchen. Zwar wählt das Europäische Parlament den Kommissionspräsidenten, den Vorschlag macht allerdings der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs. Diese müssen dem Vertrag von Lissabon zufolge bei ihrer Kandidatenauswahl zwar die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament berücksichtigen, aber es gilt als ausgeschlossen, dass Ratspräsident Herman van Rompuy einen Kandidaten nominiert, den die Staats- und Regierungschefs nicht wollen. Es gebe keinen Automatismus, dass einer der Spitzenkandidaten am Ende die Kommission führen werde, ließ die Kanzlerin bereits mitteilen. Juncker will davon nichts hören. Sollte die EVP nach der Wahl die stärkste Fraktion im Europaparlament stellen, will er auf jeden Fall Kommissionspräsident werden. Sollte der Rat ihn dennoch ablehnen, „dann werde ich wütend“, drohte Juncker.

Ob er allerdings am Abend der Europawahl überhaupt noch als möglicher Kommissionspräsident gehandelt wird, hängt schlussendlich vom Wahlergebnis ab. Mit dem derzeitigen Parlamentspräsidenten Martin Schulz hat er einen ernst zu nehmenden Gegner. Schulz ist europaweit bekannt und in den Reihen der Sozialisten unumstritten. Nach jüngsten Prognosen liegen die Konservativen nur noch hauchdünn vor der SPE – auch wenn die Union den Sozialdemokraten in Deutschland weit enteilt ist. Trotzdem sieht die SPD die Chance, ihren Kandidaten auf den Spitzensessel zu hieven – und lässt dafür 10 Millionen Euro springen. Ein Stab von 80 Mitarbeitern unter Führung des erfahrenen Wahlstrategen Matthias Machnig soll die notwendigen Stimmen organisieren.

Von solchen Möglichkeiten kann Juncker nur träumen. „Ich habe mich um die materielle Organisation dieses Wahlkampfes nicht gekümmert“, sagte er am Wochenende, „ich habe nur den Eindruck, dass die Europäische Volkspartei über wesentlich geringere materielle Möglichkeiten verfügt, als die Sozialisten in Europa dies tun“. Tatsächlich wirkt der Wahlkampf bisher noch recht improvisiert. Juncker wurde bereits am 7. März in Dublin zum Spitzenkandidaten gekürt, sein Wahlkampfleiter trat seine Stelle allerdings erst in dieser Woche an. Die Webseite des viersprachigen Kandidaten ist bis heute nur auf Englisch verfügbar.

Herbert Reul sieht darin allerdings kein Problem: „Wahlen werden kurzfristig entschieden“, so der EU-Parlamentarier, der früher als Generalsekretär die Wahlkämpfe der NRW-CDU organisierte, „man kann das bedauerlich finden, aber die Ergebnisse hängen heutzutage fast nur noch von den Ereignissen in den letzten Tagen vor der Stimmabgabe ab. Wer da inhaltlich die Nase vorn hat, gewinnt auch die Wahl.“

Jean-Claude Juncker hat also noch alle Chancen, die EVP bei der Europawahl zur stärksten Kraft im Parlament zu machen. Ob dieser Erfolg auch für den Job des Kommissionspräsidenten reichen wird, ist eine ganz andere Frage.

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