Der nächste Versuch

Afghanistan Die Bundesregierung stellt ihre neue Afghanistanpolitik vor und verschiebt dabei den deutschen Schwerpunkt

Es war keine schonungslose Offenheit, die Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag an den Tag legte, doch von der Rhetorik vergangener Tage hatte sie sich doch weit entfernt. Die Bilanz des Einsatzes in Afghanistan sei, so die Regierungschefin, „gemischt“. Es habe zwar Fortschritte gegeben, aber auch „viel zu viel Rückschläge“. Damit präsentiere sie dem Parlament die neue Afghanistanstrategie der Bundesregierung.

Viele Überraschungen gab dann allerdings nicht mehr. Die wichtigsten Punkte waren schließlich schon am Vortag durchgesickert. Kern der Strategie ist die Umstrukturierung der Bundeswehr vor Ort. Die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte soll künftig im Mittelpunkt des Einsatzes stehen. Deshalb soll die Zahl der militärischen Ausbilder von derzeit 280 auf 1400 erhöht werden. Zu diesem Zweck sollen auch zusätzliche Truppen nach Afghanistan geschickt werden: 500 Soldaten dauerhaft, zudem 350 Männer und Frauen, die als kurzfristige Verstärkung bei „besonderen Anlässen“ zur Verfügung stehen. Hinzu kommt noch eine Erhöhung der Polizeiausbilder von derzeit 123 auf 200.

Ziel dieses Ansatzes ist es, die Verantwortung für die Sicherheit der Provinzen im Norden Afghanistans möglichst bald an afghanische Sicherheitskräfte übergeben zu können. Damit soll noch dieses Jahr begonnen werden. Die Bundesregierung hofft, bereits 2011 die deutschen Truppen am Hindukusch reduzieren zu können. Ein endgültiges Abzugsdatum nennt die Regierung allerdings nicht.

Neben der militärischen Verstärkung soll auch der zivile Aufbau verstärkt werden. Hierfür plant die Bundesregierung die zivile Aufbauhilfe für Afghanistan fast zu verdoppeln – von derzeit 220 Millionen Euro jährlich auf 430 Millionen Euro. So soll die Infrastruktur im Norden stabilisiert werden. Hinzu kommen zehn Millionen Euro jährlich für fünf Jahre, die die Bundesregierung in einen „Reintegrationsfonds“ einzahlen will. Dieser Fonds soll von der internationalen Gemeinschaft mit insgesamt 500 Millionen Dollar ausgestattet werden. Sein Ziel: Durch finanzielle Anreize Aufständische zum Niederlegen der Waffen zu bewegen.

Für diese Idee musste die Regierung viel Häme einstecken. Manche Medien nannten sie ein „Aussteigerprogramm für Taliban“, andere wiesen auf die chronische Korruption in Afghanistan hin. Wie solle unter diesen Bedingungen dafür gesorgt werden, dass das Geld auch wirklich sinnvoll eingesetzt wird?

Zynisch oder sinnvoll

Dass letzterer Einwand als gerechtfertigt angesehen wird, zeigt die Konstruktion des Fonds. Die afghanische Regierung kann nicht allein entscheiden, wie das Geld verwendet wird, sondern muss sich mit der internationalen Gemeinschaft abstimmen. Ein Zeichen, dass die Teilnehmer der Konferenz von London ihrem Gegenüber in Kabul noch nicht über den Weg trauen.

Die übertriebene Kritik an der Maßnahme ist trotzdem nicht gerechtfertigt. Sicher, es wird hier versucht, Teile des bisherigen Gegners zu kaufen. Zwar legt die Bundesregierung Wert darauf, dass die Mittel einzelnen Taliban zu gute kommen sollen, sondern ganzen Dorfgemeinschaften.Trotzdem bleibt das Prinzip: Es fließt Geld für Waffenruhe. Das mag nicht unbedingt dem Ideal vom gerechten Frieden entsprechen. Wenn das Programm jedoch Erfolg haben sollte, heiligt der Zweck in diesem Fall die Mittel. Zehn Millionen Euro dafür, dass afghanische Zivilisten und internationale Soldaten sicherer leben können – das wäre gut angelegtes Geld. Man kann die Idee für zynisch halten, aber sie ist auch pragmatisch.

Darüber hinaus ist die Strategie ein wichtiger Schritt, weil sie in enger Abstimmung mit der afghanischen Regierung erarbeitet wurde, wie auch Präsident Hamid Karzai am Mittwochmmorgen bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt bestätigte. Sie orientiert sich an der Selbstverpflichtung, die Karzai bei seiner zweiten Amtseinführung abgegeben hat.

Vor allem wegen des erklärten Ziels, mehr Gewicht auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte zu legen, steht die Opposition mit Ausnahme der Linken dem Vorschlag der Regierung nicht so kritisch gegenüber, wie man hätte erwarten können. SPD-Chef Sigmar Gabriel zog im Bundestag zwar gewohnt süffisant über die Koalition im allgemeinen und Verteidigungsminister zu Guttenberg im Besonderen her. Den Vorschlag selbst attackierte er hingegen höchst vorsichtig. Man werde die Beratungen im Bundestag abwarten, so Gabriel, auch wenn er die Entsendung zusätzlicher Truppen kritisch sehe.

Die neue Afghanistanstrategie der Bundesregierung hat damit gute Chancen umgesetzt und von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen zu werden. Ob es allerdings die einzige Initiative in der Afghanistanpolitik in diesem Jahr bleiben wird, ist unsicher. Nach London wird bereits die nächste Konferenz vorbereitet. Sie soll Ende März oder Anfang April stattfinden – dann in Kabul.

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