Mehr als zwei Jahre hat er geschwiegen. Seit seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten hat Christian Wulff sich nicht mehr öffentlich zu Wort gemeldet. Die Deutung über seine Amtszeit als Bundespräsident und über seinen Rücktritt haben in dieser Zeit andere übernommen. Jetzt möchte er zumindest einen Teil der Deutungshoheit über seine Geschichte zurückgewinnen. Dafür hat er ein Buch geschrieben, „Ganz oben, ganz unten“. Am vergangenen Dienstag stellte er es in Berlin vor. Wulff will aufräumen mit den Bildern, die über ihn im Umlauf sind. Dem des Schnäppchenjägers, des Sesselklebers – und dem des Mannes, der mit der Bild-Zeitung im Aufzug nach oben und auch wieder nach unten gefahren ist.
In der Tat war sein Aufstieg zum ersten Mann im Staate keiner auf der Überholspur. Wulff arbeitete sich hoch, in der Partei und im Land. Schüler Union, Junge Union, schließlich Führungsmitglied in der niedersächsischen CDU. Als die Partei ihn 1994 zum Vorsitzenden wählte, hatte er dem Landesvorstand bereits zehn Jahre angehört. Es sollte noch einmal neun Jahre dauern, bis es Wulff auch zum Ministerpräsidenten gebracht hatte. Als Regierungschef in Hannover wurde er schließlich auch bundesweit bekannt. Zeitweise sahen Umfragen ihn als den beliebtesten Politiker der Republik. Er wurde sogar als möglicher Nachfolger von Angela Merkel gehandelt. Doch nach sieben Jahren im Wartestand dürfte Wulff gemerkt haben, dass seine Chance nicht mehr kommen würde. Da bot es sich an, dass die Union nach dem plötzlichen Rücktritt von Horst Köhler händeringend auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger für das Amt des Bundespräsidenten war. Es hätte die Krönung einer langen politischen Laufbahn werden sollen. Christian Wulff war wirklich, wie es im Buchtitel heißt, ganz oben.
Medien, Justiz, politische Weggefährten
Lange hielt er sich bekanntlich nicht. 598 Tage nach seiner Wahl musste Wulff das Schloss Bellevue schon wieder verlassen. Die wochenlangen Diskussionen über die Finanzierung seines Eigenheims, über seine Urlaube und schließlich über das Bobbycar seines Sohnes hatten den Bundespräsidenten zum Prügelknaben der Republik gemacht. Bislang, so Wulff, hätte er sich gegen die Vorwürfe nicht wehren können – als Präsident und später als Angeklagter seien ihm die Hände gebunden gewesen. Doch seit seinem Freispruch sieht er sich nicht mehr in dieser Zwangslage. Jetzt teilt er aus.
Neben den Medien und politischen Weggefährten wie seinem Nachfolger David McAllister und Niedersachsens Ex-Justizminister Bernd Busemann, zielt er vor allem auf die Staatsanwaltschaft Hannover: Es bleibt „ein rechtspolitisch hochproblematischer Vorgang, dass eine Staatsanwaltschaft mit leeren Händen“ den Rücktritt des Präsidenten erzwingen könne, beschwerte sich Wulff. Doch damit hat er nur teilweise recht. Jetzt, in der Rückschau, da Wulff juristisch von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, vergisst man leicht das tiefe und auch berechtigte Misstrauen, das dem damaligen Staatsoberhaupt vor zwei Jahren entgegengebracht wurde. Einige der Vorwürfe mögen überzogen gewesen sein, doch die Art und Weise, wie das Bundespräsidialamt auf legitime Recherchefragen wie die Finanzierung des Wulffschen Eigenheims in Großburgwedel reagierte, machte es nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft in der Frage der Vorteilsnahme noch einmal etwas genauer hinschaute. Dass sie sich im Zuge der Ermittlungen schließlich verrannte und einen Prozess anstrengte, den sie nur verlieren konnte, stimmt allerdings auch.
Fehlendes politisches Gespür
Auch was die Medien angeht, ist das Bild nicht ganz so schwarz-weiß, wie Wulff es in seinem Buch zeichnet. Er schildert ausführlich, wie die Distanz zwischen ihm und dem Springer-Verlag immer weiter wuchs. Dessen Vorstandschef Matthias Döpfner und Bild-Chefredakteur Kai Diekmann hätten ihn weg haben wollen. Sein Satz, dass der Islam jetzt auch zu Deutschland gehöre, sei im Springer-Hochhaus nicht gerade auf Begeisterung gestoßen. Auch dass er der Bild keinen privilegierten Zugang gewähren wollte, habe man ihm dort übel genommen. Aus all diesen Gründen habe das Blatt die Hetzjagd auf ihn eröffnet, an der die meisten anderen Medien nur zu gerne teilgenommen hätten.
Mit seinem Buch wolle er jetzt seine Sicht der Dinge darlegen, so Wulff, denn „der juristische Freispruch wiegt die mediale Vorverurteilung leider nicht auf“. Dass es angesichts seiner übergroßen Nähe zu Wirtschaftsgrößen gute Gründe für so manche Recherche in seinem Umfeld gab, räumt er bei Buchvorstellung erst auf Nachfrage ein. Sein Auftritt zeigt jedoch auch, wie tief verletzt dieser Mann auch heute noch über das ist, was über ihn vor zwei Jahren hereingebrochen ist. Aus diesem Gefühl scheint in ihm ein unglaublicher Trotz erwachsen zu sein, den er nun gegen seine Kritiker wendet. Sein Rücktritt sei falsch gewesen, teilt er der versammelten Hauptstadtpresse mit. Die Staatsanwaltschaft habe ihn erzwungen. „Ich wäre auch heute der Richtige im Amt.“ Die politische Dimension der Affäre erkennt er bis heute nicht an.
Das wird es Wulff auch in Zukunft schwer machen, seiner Stimme so Gehör zu verschaffen, wie er es sich als ehemaliger Präsident vorstellt. Nach dem Prozess sei er „frei in jeder Hinsicht“, um sich wieder zu Wort zu melden – etwa zum Thema deutsch-türkischen Beziehungen, um die er zweifelsohne große Verdienste hat. Doch als Elder Statesman fällt er aus, nicht nur weil er mit 54 Jahren noch längst nicht das Alter für einen ehemaligen Spitzenpolitiker erreicht hat. Christian Wulff konnte nicht angemessen zwischen privaten und politischen Freunden unterscheiden. Das wird sein Ansehen auch künftig belasten.
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