Die Bilderbuchfrau

Ska Keller soll die Grünen als Spitzenkandidatin ins Europaparlament führen. In Deutschland muss sie aber noch kämpfen
Ausgabe 06/2014
Die Bilderbuchfrau

Foto: Presse

Es war ein gewagtes Experiment: Im vergangenen Herbst kündigten die europäischen Grünen an, die Spitzenkandidaten für die diesjährige Europawahl in einer offenen Vorwahl zu bestimmen, der sogenannten Green Primary. Es war ein Versprechen für mehr Basisbeteiligung, ein offenes Forum und eine andere politische Kultur. Jeder wahlberechtigte Europäer konnte daran teilnehmen, rund 400 Millionen Menschen. Mit etwa 100.000 Teilnehmern rechnete Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Europäischen Grünen.

Nun liegen die Ergebnisse vor und gemessen an den Erwartungen sind sie eine riesige Enttäuschung. Nur rund 22.000 Menschen haben sich an der Abstimmung beteiligt – in ganz Europa wohlgemerkt. Zum Vergleich: Die europäischen Grünen haben 140.000 Mitglieder. Die Green Primary schüttelte das Gefüge der Partei allerdings mächtig durcheinander: Die Wahl gewann Ska Keller, eine junge Europaabgeordnete aus Brandenburg. Die eigentliche Favoritin, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, landete nur auf dem dritten Platz. Am kommenden Wochenende treten die beiden Politikerinnen wieder gegeneinander an – wenn es auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Dresden um Platz eins auf der deutschen Liste der Grünen geht. Denn trotz der europa-weiten Urabstimmung stellen die nationalen Parteien weiter ihre eigenen Listen auf.

Der nächste Karriereschritt

„Ich rechne mir durchaus Chancen aus“, sagt Keller mit Blick auf die Kampfabstimmung am Wochenende. „Die Green Primary stärkt mir den Rücken, denn ich habe gezeigt, dass ich Menschen mobilisieren kann. Ich spüre starken Rückhalt. Viele haben mir geraten, zu kandidieren.“ Dennoch ist ihre Wahl kein Selbstläufer. Ihre Konkurrentin Harms ist die Kandidatin des grünen Establishments. Die Bundespartei nominierte sie bereits auf der Bundesdelegiertenkonferenz im vergangenen Herbst für den Listenplatz eins. Sie sitzt seit zehn Jahren im Europaparlament, führte vorher die Landtagsfraktion in Niedersachsen. Harms ist in der Partei bestens vernetzt.

Ska Keller, eigentlich Franziska, ist erst 32 Jahre alt, trotzdem kann sie auf fast zwei Jahrzehnte politischer Arbeit zurückblicken. Im Alter von 13 Jahren engagierte sie sich für Tierschutz und im antirassistischen Jugendverein im heimatlichen Guben. 2001 kam sie dann zur Grünen Jugend und machte in der Mutterpartei Karriere. 2007 übernahm sie den Landesvorsitz der Grünen in Brandenburg, zwei Jahre später wurde sie ins Europaparlament gewählt. Dort ist sie Mitglied im Handels- und im Innenausschuss und kümmert sich vor allem um Migrations- und Entwicklungspolitik. Die Spitzenkandidatur der Europäischen Grünen, die sie gemeinsam mit dem französischen Bauernführer José Bové übernimmt, ist ihr nächster großer Karriereschritt.

Keller kann sich auf die Unterstützung der Europäischen Grünen Jugend verlassen. „Ich bringe einen anderen Erfahrungshorizont als Rebecca mit. Ich bin Teil einer Generation, die mit Europa aufgewachsen ist“, sagt Keller. Tatsächlich liest sich ihre Biografie, als wäre sie von einer Brüsseler PR-Abteilung geschrieben worden. Keller studierte Islamwissenschaft, Turkologie und Judaistik in Berlin und Istanbul. Sie spricht fünf Fremdsprachen und ist mit einem Finnen verheiratet. Sie ist eine der Mitgründerinnen der European Green Party und leitete zwei Jahre lang die Föderation der Europäischen Grünen Jugend – bis heute ist das ihre Machtbasis.

Die deutschen Grünen stehen nun vor einem Dilemma: Wählen sie Keller auf den Spitzenplatz, demütigen sie Harms, eine verdiente Politikerin und ein langjähriges Aushängeschild. Es wäre ein weiterer Bruch mit der Generation, die die Grünen von einer reinen Oppositionskraft zur Regierungspartei geformt hat. Schließlich servierten Partei und Fraktion nach dem enttäuschenden Bundestagswahlergebnis bereits Jürgen Trittin, Claudia Roth und Renate Künast ab.

Teil des Generationenumbruchs?

Nominiert die Delegiertenkonferenz allerdings Harms, dann müssen die Grünen mit dem Vorwurf leben, es mit der Basisbeteiligung doch nicht so ernst zu nehmen. Auch Parteichef Bütikofer, wegen der geringen Teilnahme an der Green Primary sowieso schon in der Kritik, würde weiter an Glaubwürdigkeit verlieren. Zudem hätte er den zweiten Listenplatz, für den er kandidieren will, im Falle einer Harms-Nominierung nicht mehr sicher. Der Europaabgeordnete und Attac-Deutschland-Gründer Sven Giegold hat bereits angekündigt, in diesem Fall gegen ihn anzutreten. „Wir brauchen eine Verjüngung und personelle Alternativen“, erklärte Giegold.

Als Teil eines größeren Generationenumbruchs bei den Grünen will Ska Keller ihre Kandidatur nicht verstanden wissen. Öffentlich bemüht sie sich um ein gutes Verhältnis zu Harms. Im ersten Tweet, den sie nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Vorwahl absetzte, dankte sie ihrer Konkurrentin und lobte sie. Auch inhaltlich trennt die beiden nicht viel. Keller sagt, sie trete an für mehr Klimaschutz, mehr soziale Gerechtigkeit, einen verstärkten Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa und eine humane Flüchtlingspolitik. Das wird Harms wohl unterschreiben können.

Offiziell ist Keller durch ihren Erfolg bei der Vorwahl auch Kandidatin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin, ein vollkommen unrealistisches Ziel. Die deutsche Spitzenkandidatur hingegen könnte ihr die Chance geben, Harms auch als Vorsitzende der Grünen-Fraktion im EU-Parlament zu beerben. Keller möchte sich dazu nicht äußern: „Zunächst einmal mache ich Wahlkampf und hoffe auf eine starke grüne Fraktion. Personalentscheidungen trifft die Fraktion, wenn sie sich nach der Wahl zusammenfindet“, sagt sie. Ein hartes Dementi klingt anders.

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