Für ihre Anhänger war es ein Schock. Am vergangenen Freitag gab Sahra Wagenknecht bekannt, im Herbst nicht für den Vorsitz der Linksfraktion im Bundestag zu kandidieren. Es ist ein Amt, auf dass ihr schon lange Ambitionen nachgesagt werden – schließlich verzichtete Wagenknecht erst im vergangenen Jahr auf das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden, um sich ganz auf ihre Arbeit in der Fraktion zu konzentrieren. Auch ihre Anhänger hatten immer gehofft, dass Wagenknecht lieber früher als später den Spitzenposten übernimmt. Dass sie es nun vorerst nicht tut, ist für viele enttäuschend. Und schwer nachvollziehbar.
Vor allem der Grund für ihren Verzicht auf einen Kandidatur erschließt sich vielen Genossen nicht. Dass die Linksfraktion durch ihre Zustimmung zur Verlängerung des Griechenlandpakets um vier Monate ihre „europapolitische Positionierung zumindest in Frage gestellt“ habe, wird von kaum einem anderen Genossen in der Fraktion geteilt. Da sind sie sich ausnahmsweise sogar strömungsübergreifend einig. „Eine Abkehr von unserer bisherigen Europapolitik gibt es nicht“, so etwa Wolfgang Gehrcke, ein profilierter Vertreter des linken Flügels. Zustimmung bekommt er von Stefan Liebich vom Reformerflügel. „Inhaltlich hat sich gar nichts geändert“, sagt er.
Trotzdem war die Zustimmung zum Griechenlandpaket in der Fraktion umstritten. Mehrere Stunden hatten die Abgeordneten bereits in der regulären Fraktionssitzung am Dienstag vor der Abstimmung über ihren Kurs diskutiert. Die Auseinandersetzung wurde hart geführt, aber „für unsere Verhältnisse akzeptabel, also ohne schlimme Beleidigungen“, wird ein Genosse zitiert. Einige Redner hatten Bedenken, dass die Linke durch ein Ja die Sparpolitik der Bundesregierung unterstützen würde, gegen die die Partei bislang immer angekämpft hatte. Der Großteil der Abgeordneten ließ sich jedoch vom griechischen Ministerpräsident Alexis Tsipras überzeugen. Der hatte für eine Zustimmung geworben, damit seine Regierung genügend Zeit habe, um eigene Reformen durchzuführen.
Bei einer Probeabstimmung gab es dann auch eine Mehrheit für das Paket. Trotzdem wollten die Abgeordneten sich am Freitag, dem Abstimmungstag, erneut treffen, noch einmal kurz beraten und einen Entschließungsantrag verabschieden, der die Position der Linksfraktion deutlich macht. Doch in dieser Sitzung lief einiges durcheinander. Die Genossen hatten kaum eine Stunde Zeit für ihr Programm. Zu wenig, um alle, die sprechen wollten, auch zu Wort kommen zu lassen. Und auch der Entschließungsantrag wurde mehr zwischen Tür und Angel zusammengezimmert als ordentlich beraten. Größere Änderungen wurden an dem von Wolfgang Gehrcke stammenden Entwurf allerdings nicht vorgenommen, eine große Mehrheit stimmte für ihn. Doch das Durcheinander und der hektische Zeitplan hatten einen Nebeneffekt: Am Ende der Sitzung hatte Sahra Wagenknecht trotz einer Wortmeldung nicht gesprochen. Ein Versehen, da sind sich fast alle sicher. Allerdings: Hätte sie auf den Tisch gehauen, hätte sie selbstverständlich noch sprechen dürfen und auch jede Änderung im Entschließungsantrag verhindern können, sind sich ihre Genossen sicher. Stattdessen saß sie still da. Im Plenum enthielt sie sich dann wie angekündigt der Stimme, während der Großteil der Linksfraktion zustimmte. Eine Woche später erklärte sie ihren Verzicht.
Damit beginnt für die Linkspartei eine Phase der Ungewissheit. Zuletzt war immer öfter zu hören, dass Gregor Gysi den Fraktionsvorsitz im Herbst aufgeben werde – auch wenn er das öffentlich stets dementiert. Trotzdem galt seine Nachfolge als geregelt: Wagenknecht würde gemeinsam mit Dietmar Bartsch eine Doppelspitze bilden – so pfiffen es die Spatzen von den Dächern, auch wenn es nie eine Bestätigung gab. Nach vielen Streitereien in der Vergangenheit, hatten sich die beiden miteinander arrangiert. Warum nun also Wagenknechts Verzicht? In ihrer Erklärung schreibt sie, dass sie politisch mehr bewegen könne, wenn sie sich auf das konzentriere, „was ich am besten kann“. Vielleicht gehört Fraktionsvorsitzende sein einfach nicht dazu? Den Verdacht befeuert zumindest Gregor Gysi: „Entscheidend ist, wie sie erklärt, dass ihr die spezifische Leitungstätigkeit nicht liegt“, heißt es in seiner Erklärung zu Wagenknechts Verzicht. Eine ziemliche Gemeinheit. Was jedoch stimmt: Wagenknecht gilt als brillante Rednerin und scharfe Analytikerin, allerdings nicht als jemand, der gern Kompromisse in der Fraktion aushandelt. Dass ihre Positionen nicht immer mehrheitsfähig sind, zeigte ihr spätestens jetzt die Griechenlandabstimmung. Mit Wagenknecht enthielten sich nur neun andere Linken-Abgeordnete. 41 stimmten hingegen zu – auch viele vom linken Flügel. Als Bruch zwischen Wagenknecht und ihren Unterstützern wollen letztere das jedoch nicht verstanden wissen. „Wir machen weiter Radikalopposition gegen Schäubles Bankenmachtbedienerei“, so der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, Diether Dehm, „Unsere Angriffslust und Kraft wäre noch mehr, wenn sich Sahra das noch mal überlegt.“
Wie nun die künftige Spitze der Linksfraktion aussehen wird, ist derweil noch völlig unklar. Die verschiedenen Lager beraten bereits. Am Ende könnte vorerst alles so bleiben, wie es ist. Aber auch eine ganz große Rochade ist denkbar, die Auswirkungen auf den Parteivorsitz haben könnte. Sahra Wagenknecht will vorerst auf ihrem Posten als Erste Stellvertretende Fraktionsvorsitzende bleiben. Abschreiben sollte sie niemand. In zwei Jahren wird schließlich wieder eine neue Fraktionsspitze gewählt. Und viele ihrer Anhänger hoffen jetzt schon, dass sie es spätestens dann doch noch auf den Chefsessel schafft.
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