„Die USA wollen die Privatsphäre abschaffen“

Im Gespräch Glenn Greenwald über Asyl für den Whistleblower Edward Snowden, abgeschlossene Schlafzimmer und die Schelte von Kollegen
Ausgabe 22/2014

Der Freitag: Herr Greenwald, vor wenigen Tagen trafen Sie das erste Mal nach einem Jahr wieder mit Edward Snowden zusammen. Wie war das Wiedersehen?

Glenn Greenwald: Wir haben natürlich das ganze Jahr Kontakt miteinander gehalten. Aber das ist ja kein Ersatz für ein persönliches Treffen. Ich fand, dass er sich in dieser Zeit kein bisschen verändert hat. Er steht nach wie vor zu der Entscheidung, den NSA-Skandal publik gemacht zu haben, er ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Und glücklich, ein freier Mensch zu sein.

Wie lange, glaubt er, wird er das noch bleiben?

Sein Asyl in Russland läuft bekanntlich im August aus, aber es gab bereits Andeutungen von offizieller Seite, dass es wahrscheinlich um mindestens ein weiteres Jahr verlängert wird. Die Chance, so schnell nicht in einem amerikanischen Gefängnis zu sitzen, ist also recht hoch.

Als Snowdens wichtigster Partner bei der Aufdeckung des Skandals: Fühlen Sie sich sicher?

Im Großen und Ganzen, ja. Ich reise in diesen Tagen durch Europa, vor einigen Wochen war ich das erste Mal wieder in den USA. Ich konnte ungehindert einreisen, und auch sonst gab es keine Probleme. Es gibt nur ein Land, in das ich nicht fahren würde: Großbritannien. Dort schätze ich das Risiko höher ein – auch mit Blick darauf, dass mein Partner dort ohne Grund elf Stunden lang am Flughafen festgehalten wurde.

Die Geheimdienste dieser Welt haben seit Ihren Enthüllungen sicher ein besonderes Auge auf Sie geworfen. Wie sehr belastet das Ihr alltägliches Leben?

Als Journalist habe ich natürlich eine besondere Verpflichtung, meine Quellen zu schützen. Deshalb muss ich dafür sorgen, dass meine Gespräche sicher sind. Das gilt auch für Unterhaltungen mit Freunden und der Familie. Also benutze ich Verschlüsselungstechnik und führe bestimmte Gespräche nicht an Orten, die leichter abgehört werden können, etwa in meinem Haus oder im Auto. Am Telefon bespreche ich sowieso kaum noch etwas.

Welche Bedeutung hat Privatsphäre aus Ihrer Sicht für eine Gesellschaft?

Ich glaube, der Mensch sehnt sich instinktiv nach einem Ort, an dem er tun und lassen kann, was er will, ohne von anderen beurteilt zu werden. Natürlich haben wir ein Bedürfnis nach sozialer Interaktion. Aber gleichzeitig brauchen wir die Möglichkeit, Dinge zu tun, ohne dass jemand zuschaut. Denn dann verhalten wir uns anders. Um ein freier Mensch zu sein, brauchen wir die Rückzugsmöglichkeit ins Private. Und deshalb versuchen Regierungen, die die Freiheit der Bevölkerung beschneiden wollen, immer zuerst die Privatsphäre abzuschaffen.

Kann dieser geschützte Raum noch bestehen, wenn ein Geheimdienst uns ständig überwacht?

Ziel der US-Regierung und ihrer Partner ist tatsächlich die Abschaffung der Privatsphäre weltweit. Sie wollen ein System schaffen, mit dem sie jede Kommunikation zwischen Menschen im Internet oder am Telefon speichern, überwachen und analysieren können. Das Leben verlagert sich nun mal immer mehr ins Internet. Man kauft online ein, bucht Hotels, entdeckt die Welt, tauscht Gedanken aus, trifft neue Freunde. Wenn das alles grenzenlos kontrolliert wird, ist das ein Eindringen in den individuellsten Bereich, wie es das nie zuvor gegeben hat.

Die Geheimdienste behaupten, das Sammeln dieser Daten sei notwendig, um den Menschen Sicherheit zu garantieren. Ist das nicht auch ein hohes Gut?

Natürlich – aber eben nicht das einzige. Ich bin sicher, dass auch die Stasi effektiv Verbrechen bekämpfen konnte. Das beantwortet aber nicht die Frage, ob wir in einer Kultur leben wollen, die so viel Überwachung will. Ich glaube, dass dieser Preis zu hoch ist – viel höher sogar als die Gefahr, die von Terrorismus ausgeht. Die Regierung will die Macht. Je mehr sie über ihre eigenen Bürger oder die aus anderen Staaten weiß, desto mächtiger ist sie. Sie kann die öffentliche Meinung besser manipulieren und sich effektiver gegen Kritiker wehren.

Geht es bei der Überwachung also gar nicht um Sicherheit?

Wir haben zumindest gezeigt, dass große Teile dieses Systems nichts mit Terrorismus oder der nationalen Sicherheit zu tun haben. Die NSA hat beispielsweise den brasilianischen Ölkonzern Petrobras ausspioniert. Auch Wirtschaftsgipfel wurden überwacht, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, UNICEF und das Mobiltelefon der Kanzlerin Angela Merkel. Dazu kommen noch die Einwohner ganzer Länder. Ich gehe davon aus, dass ein großer Teil der Überwachung aus ökonomischen Interessen stattgefunden hat. Man kann mit Wirtschaftsspionage sehr gutes Geld verdienen. Außerdem waren fehlende Informationen auch in der Vergangenheit nicht das Problem, wenn es um die Verhinderung von Terroranschlägen ging.

Wie meinen Sie das?

Die Kommission, die im Auftrag der US-Regierung die Anschläge des 11. September 2001 untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass die Sicherheitsbehörden alle wichtigen Informationen zur Planung vorliegen hatten, sie deren Bedeutung aber in der schieren Masse der gesammelten Daten nicht erkannten. Merkwürdigerweise war die Antwort der Regierung darauf, noch mehr Daten zu sammeln. Und wenn man alles überwacht – also Milliarden von E-Mails jeden Tag –, dann verhindert die schiere Masse, dass man herausfindet, wer einen Anschlag vorbereitet. Es wird unmöglich, diese Dinge zu ermitteln, weil die Sicherheitsbehörden sich nicht nur auf Terrorverdächtige konzentrieren.

Das bedeutet, nicht nur mögliche Terroristen, sondern jedermann geht in der Datenflut unter. Ist das nicht auf paradoxe Weise eine gute Nachricht?

Leider nein, denn es gibt Programme, die es den Analysten der Geheimdienste ermöglichen, über jede einzelne Person genaue Informationen abzufragen. Eines der Programme heißt „XKeyscore“. Es realisiert genau das, wovor Edward Snowden gleich zu Beginn des Skandals gewarnt hat: Mit dieser Software kann der Geheimdienst die E-Mails jeder Person auf dem Planeten lesen – einschließlich der des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Man braucht nur die Mail-Adresse der Zielperson. Aber es stimmt schon: Die riesigen Datenmengen, die die NSA sammelt, erschweren es ihr, ihre angebliche Aufgabe zu erfüllen – nämlich Terroristen aufzuspüren. Stattdessen ist es für sie sehr einfach, das System zu missbrauchen.

Was würden Sie jemandem antworten, der sagt: Ich habe nichts zu verbergen, was geht mich der NSA-Skandal an?

Niemand, der so etwas behauptet, glaubt wirklich daran. Denn natürlich haben auch diese Menschen Passwörter im Netz. Sie machen wahrscheinlich auch die Schlafzimmertür hinter sich zu. Ich sage solchen Leuten deshalb immer: Okay, schickt mir die Passwörter für eure Mail- und Social-Media-Konten, ich schaue sie dann durch und ververöffentliche, was mir interessant erscheint. Bislang hat das Angebot aber noch niemand angenommen.

Sie wurden für Ihre Enthüllungen scharf kritisiert – nicht nur von Regierungsstellen, sondern auch von anderen Journalisten. Wie erklären Sie sich das?

Ich bin ursprünglich Journalist geworden, weil ich den Eindruck hatte, dass nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon viele Medien ihre ursprüngliche Distanz zur Regierung vollkommen verloren hatten. Viele verstanden sich in erster Linie als amerikanische Patrioten, dann erst als Journalisten. Sie wurden so zu besseren Pressesprechern der US-Regierung. Medien wie die New York Times trauten sich nicht mehr, die angeblichen Fakten der Regierung infrage zu stellen. Wenn dann jemand wie ich die Staatsmacht herausfordert, zieht er automatisch den Hass dieser Leute auf sich. Uns war schon gleich zu Beginn der Affäre klar, dass wir nicht nur die NSA und die Regierung zum Gegner haben würden, sondern eben auch viele amerikanische Journalisten. Diejenigen, die uns am lautesten als Verräter oder Verbrecher beschimpft haben, waren nicht Politiker, sondern Kollegen. Natürlich haben nicht alle mitgemacht, schließlich haben wir ja auch den Pulitzer-Preis für unsere Berichterstattung gewonnen.

Dem setzen Sie jetzt Ihr eigenes Projekt entgegen. Vor wenigen Monaten haben Sie „The Intercept“ gegründet. Die publizistische Webseite wird von Pierre Omidyar finanziert, dem Gründer von Ebay. Wie sicher können Sie sein, dass er die Unabhängigkeit respektiert, auf die Sie so großen Wert legen?

Wir haben von Anfang an klargemacht, dass wir beim ersten Anzeichen versuchter Einflussnahme das Projekt verlassen würden. Wir haben immerhin den Ruf: Wenn man uns kontrollieren will, wird es unangenehm, mit uns zu arbeiten.

Haben Sie den Eindruck, dass sich die öffentliche Meinung mittlerweile zu Ihren Gunsten gedreht hat? Immerhin hat das US-Repräsentantenhaus neulich ein Gesetz verabschiedet, das die Macht der NSA zumindest ein bisschen beschneiden würde.

Das Gesetz ist nicht besonders gut, aber wenigstens wurde das erste Mal seit dem 11. September die Macht der Regierung zurückgefahren und nicht ausgebaut. Das ist ein starkes Symbol. Was die Öffentlichkeit angeht, gibt es eine interessante Umfrage: Jedes Jahr seit 2001 fragte das Institut Pew, wovor die Amerikaner mehr Angst hätten: Terrorismus oder Bedrohung der Grundrechte durch die Regierung. Jedes Jahr antworteten die Bürger, dass sie die Terrorismusgefahr als deutlich größer einschätzten. Im vergangenen Oktober – also wenige Monate nach unseren ersten Berichten – hatte sich das Verhältnis umgedreht. Das ist ein radikaler Wechsel in der öffentlichen Meinung.

Das Gespräch führte Julian Heißler

Wer ist Glenn Greenwald?

Seit Edward Snowden ihm im vergangenen Jahr zahlreiche Dokumente über die weltweite Überwachung durch die NSA übergab, gilt Glenn Greenwald als einer der wichtigsten Journalisten seiner Generation. Im Guardian veröffentlichte er die ersten Berichte über den globalen Abhörskandal und löste damit weltweite Empörung über die NSA, aber auch über den britischen Geheimdienst GCHQ aus.
Ursprünglich arbeitete Greenwald nicht als Journalist, sondern als Anwalt für Verfassungsrecht in New York. Erst 2005 gab er seine Kanzlei auf, weil er sich vom Schreiben über politische Themen einen größeren Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen erhoffte.

Greenwald arbeitete neben dem Guardian auch für andere namhafte Publikationen, etwa das Onlinemedium Salon.com.Kern seiner Arbeit war für die meiste Zeit allerdings sein persönliches Blog Unclaimed Territory, in dem er sich häufig mit Bürgerrechtsfragen in den USA im Zuge des Anti-Terror-Kampfs der Regierung beschäftigte. Zudem veröffentlichte Greenwald mehrere Bücher zu dem Thema. In seinem neusten Buch Die globale Überwachung beschreibt er die Umstände und Hintergründe der Snowden-Enthüllungen.

Im vergangenen Oktober gab Greenwald bekannt, ein neues Onlinemedium zu gründen. The Intercept ging diesen Februar online. Es wird finanziert von Pierre Omidyar, dem Gründer von Ebay. Zu den Gründungsredakteuren gehören neben Greenwald auch der Sicherheitsexperte Jeremy Scahill und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras, die gemeinsam mit Greenwald die Snowden-Affäre öffentlich machte. pjh

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