Gipfel der Blauäugigkeit

Überwachung Die mutmaßliche Überwachung des NSA-Ausschusses ist ein Skandal. Unter diesen Bedingungen ist Aufklärung nicht möglich. Doch das eigentliche Problem ist noch größer
Ausgabe 30/2014
Alles wissen es und doch herrscht allgemeine Tatenlosigkeit. Projektion auf die US-Botschaft am Brandenburger Tor
Alles wissen es und doch herrscht allgemeine Tatenlosigkeit. Projektion auf die US-Botschaft am Brandenburger Tor

Foto: Soeren Stache/ dpa

Manche nehmen es immerhin mit Humor: „Und schöne Grüße an die NSA“, sagt Christian Flisek, Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, als er sich in der vergangenen Woche am Handy meldet. Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass auf dem Smartphone seines CDU-Kollegen Roderich Kiesewetter höchstwahrscheinlich ein Spionagetrojaner installiert wurde. Abhörsichere Kommunikation ist also selbst für die Mitglieder dieses Gremiums die Ausnahme. Nach langem Hin und Her und einigem Drängen des Ausschussvorsitzenden Patrick Sensburg (CDU) schaffte die Bundestagsverwaltung zwar mittlerweile abhörsichere Kryptohandys zumindest für die Obleute des Ausschusses an; wegen technischer Probleme sind diese aber bisher kaum zum Einsatz gekommen. „Bei mir läuft das alles immer noch über das iPhone“, so Flisek. Abhörsicher ist anders.

Dass das Parlament es offenkundig nicht schafft, die Kommunikation seiner Mitglieder vor dem Zugriff ausländischer Geheimdienste zu schützen, ist ein Skandal. Nicht erst seit den jüngsten Enthüllungen gibt es keine Entschuldigung mehr für die Zurückhaltung, die Bundestagsverwaltung und Bundesregierung bei der Verschlüsselung der Kommunikation der Abgeordneten an den Tag legen. Sie zeugt von einer schon lange nicht mehr angemessenen Blauäugigkeit.

Nur die Spitze des Eisbergs

Dabei gibt es einfache, kostengünstige Technologien, wie etwa die sogenannte PGP-Verschlüsselung, die es Außenstehenden zumindest erschwert, E-Mails einfach mitzulesen. Ihr Einsatz im Bundestag ist dennoch die Ausnahme. Wie unter diesen Umständen eine sinnvolle Aufklärung der NSA-Affäre stattfinden soll, ist völlig unklar. Schließlich müssen die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss ständig damit rechnen, dass jeder ihrer Schritte überwacht wird. Das wird das Vertrauen bei möglichen Informanten nicht gerade steigern, sich den Aufklärern zu offenbaren, da ihre Anonymität nicht garantiert werden kann. Die Versuche der Ausschussmitglieder, sich gegen eine Überwachung zu wehren, zeigen dabei die ganze Hilflosigkeit: „Wir machen vertrauliche Besprechungen jetzt ohne Handys im Raum und versuchen sehr wichtige Gespräche persönlich zu führen und nicht mehr übers Telefon“, so Grünen-Obmann Konstantin von Notz. Von der Überlegung des Ausschussvorsitzenden Sensburg, wieder vermehrt mit Schreibmaschinen zu arbeiten, hält er hingegen nichts. „Die Vorstellung ist kurios und hilft uns nicht weiter.“ Auch sein SPD-Kollege Flisek stellt klar: „Die Lösung muss digital sein.“

Dabei ist die Überwachung des Ausschusses nur die Spitze des Eisbergs. Denn wenn es der Staat nicht einmal schafft, die Kommunikation einiger Abgeordneter zu schützen, welche Chance haben dann die Bürger? Über ein Jahr nach Beginn der NSA-Affäre gibt es von Regierungsseite noch keinen Vorschlag, wie die Deutschen sich gegen das massenhafte Ausspähen ihrer Kommunikationsdaten wehren könnten.

Da hilft auch die symbolische Verärgerung über zwei mutmaßliche Spione nichts. Sie zeigt vielmehr, wo die Regierung ihre Prioritäten setzt. Wenn ihr direkter Handlungsbereich betroffen ist, handelt sie. Wenn hingegen die Grundrechte von Millionen Deutschen verletzt werden, hält sie still.


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Julian Heissler

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