In der Glaubwürdigkeitsfalle

Skandal Sebastian Edathy hat sich dem Untersuchungsausschuss und der Öffentlichkeit gestellt. Doch beendet ist die Affäre damit noch lange nicht
Sebastian Edathy auf der Pressekonferenz vor der Sitzung des Untersuchungsausschusses
Sebastian Edathy auf der Pressekonferenz vor der Sitzung des Untersuchungsausschusses

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Wer auf ein vorweihnachtliches Erkenntniswunder gehofft hatte, der wurde enttäuscht. Als die Vorsitzende Eva Högl (SPD) in den frühen Morgenstunden nach gut zwölfeinhalb Stunden die gestrige Sitzung des Edathy-Untersuchungsausschusses beendete, waren längst nicht alle Fragen beantwortet. Stattdessen stehen jetzt zwei sich fundamental widersprechende Versionen im Raum, was zwischen Sebastian Edathy und seinem Parteifreund Michael Hartmann im vergangenen Herbst und Winter abgelaufen ist.

Edathy bleibt bei seiner Darstellung, Hartmann, damals innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, habe ihn regelmäßig über den Stand der Ermittlungen wegen Edathys Bestellungen bei dem kanadischen Anbieter Azov-Films auf dem Laufenden gehalten, über den auch kinderpornografisches Material zu beziehen war. Der damalige BKA-Präsident Jörg Ziercke soll Hartmann auf dem Laufenden gehalten haben. Ziercke, ebenfalls SPD-Mitglied, habe so Schaden von der Partei abwenden wollen. So zumindest stellt es Edathy dar.

Gedächtnislücken

Hartmann widersprach vehement. Er habe gar keine Informationen weitergeben können, da er keine hatte – schon gar nicht von Ziercke. Um Edathy habe er sich in dieser Zeit nur so intensiv gekümmert, da er um seine psychische und körperliche Verfassung besorgt war. Edathy sei alkoholkrank gewesen und habe sich immer mehr in Verfolgungsszenarien hineingesteigert. Mit anderen Parteimitgliedern habe Hartmann nie über Edathys Situation gesprochen. Nur einmal wandte er sich an den späteren Fraktionschef Thomas Oppermann. Der habe ihn jedoch brüsk zurückgewiesen. Über Kinderpornografie hätten die beiden nicht gesprochen, sondern nur allgemein über Edathys Verfassung. Diese Aussagen lassen sich nicht zusammen bringen. Einer lügt also. Mindestens.

Denn sonderlich glaubwürdig sind bei näherer Hinsicht beide Versionen nicht. Warum sollte Ziercke, eher passives SPD-Mitglied und kein Freund Edathys, diesen über Hartmann minutiös über das Verfahren informiert halten und sich dabei nebenbei strafbar machen und seine Pension riskieren? Dass aus Edathy in der Politik nichts mehr werden würde, muss Ziercke spätestens nach dem Anruf Oppermanns im Herbst klar gewesen sein, bei dem nach Darstellung der beiden Oppermann ja nichts gefragt und Ziercke nichts gesagt haben soll. Ein ähnliches Gespräch wollen ja nun auch Hartmann und Oppermann miteinander geführt haben. Keiner fragt nach, keiner sagt etwas – obwohl Sebastian Edathy vor aller Augen immer weiter abbaute.

Auch warum Hartmann sich nicht schon im Frühjahr zu Wort meldete, als die Frage der Informationsweitergabe an Edathy erstmals öffentlich diskutiert wurde – und bekanntlich den Rücktritt von Hans-Peter Friedrich (CSU) nach sich zog – konnte Hartmann nicht glaubwürdig erklären.

Persönliche Vendetta

Eine sonderlich gute Figur machte er jedenfalls nicht vor dem Untersuchungsausschuss. Ob der SMS-Verkehr, den Edathy dem Ausschuss vorgelegt habe, authentisch sei? Schon möglich, sagte Harteman. Das könne er aber nicht nachvollziehen, da er seine SMS regelmäßig lösche. Das Kryptohandy, über das er mit Edathy neben seinem Arbeitshandy kommunizierte? Habe er im März verloren. Dazu kamen zahlreiche Gedächtnislücken. Zugegeben: Hartmann hatte nur ein paar Tage Zeit, um sich auf seine Aussage vorzubereiten, während Edathy seit Monaten wusste, dass er vorgeladen würde. Trotzdem: Der Gesamteindruck von Hartmanns Aussage war nicht restlos überzeugend.

Edathy seinerseits nutzte den Tag in Berlin für seine ganz persönliche Vendetta gegen die SPD-Spitze. Im Ausschuss wurde die Stimmung regelmäßig giftig, wenn Sozialdemokraten das Wort an ihn richteten. Besonders mit Eva Högl, mit der er im NSU-Untersuchungsausschuss eng zusammen gearbeitet hatte, lieferte er sich immer wieder lange Scharmützel. Edathy ist Veteran von fünf Untersuchungsausschüssen. Er weiß, wie er eine Befragung in die Länge ziehen kann. Högl griff seine Glaubwürdigkeit an, der revanchierte sich mit minutenlangen und verästelten Ausführungen und plauderte aus dem Nähkästchen der Fraktionsarbeit – etwa, dass er und Högl vor der Regierungsbildung abgesprochen hätten, sich gegenseitig zu unterstützen. Rache, beteuerte er, spiele in seiner Aussage keine Rolle. Doch wer ihm zuhörte, kam gar nicht umhin, das anders zu sehen.

Auch ist Edathys Glaubwürdigkeit alles andere als unerschüttert. Mehrfach wurde er von Högl dabei erwischt, Fakten in ein für sich positiveres Licht gesetzt zu haben. Edathy behauptete etwa, vom Stern für seine Veröffentlichung kein Geld bekommen zu haben, musste aber später einräumen, dass er mit der Zeitschrift über ein Buchprojekt verhandelt. Auch bei seiner Aussage, das Landgericht Verden habe eine Einstellung seines Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße angeboten, verschwieg er zunächst, dass die Initiative für dieses Angebot von seinem Verteidiger ausging. Das sind natürlich keine klassischen Lügen, aber die ganze Wahrheit ist es eben auch nicht.

Für die SPD ist die Affäre damit noch lange nicht vorbei. Edathy wird noch einmal vor dem Ausschuss aussagen, auch Oppermann und Ziercke haben im Januar ihren Auftritt. Oppermann gibt sich schonmal kämpferisch. Er werde auch noch in einem Jahr Fraktionsvorsitzender sein, teilte er mit. Und dann kommt natürlich noch Edathys Prozess wegen des mutmaßlichen Bezugs von Kinderpornografie. Dazu wollte der ehemalige Bundestagsabgeordnete sich gestern vor dem Ausschuss dann auch nicht äußern. Wie vor der Bundespressekonferenz am Vormittag bügelte er alle Fragen zu diesem Komplex mit dem Verweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht ab. Auch, ob er etwa Beweismittel vernichtet habe, beantwortete er nicht. Er fand zudem keine Worte für die Kinder, die in dem von ihm bei Azov-Films bestellten, wohl nicht strafbaren Material vor der Kamera zu sehen waren. Zwar sei es ein Fehler gewesen, die Filme zu bestellen, sagte er vor der Bundespressekonferenz, „aber es war legal“.

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