Kaffeefahrt für Finanzwelpen

Motivation Reich werden kann jeder, Risiken gibt’s nicht: Der ganz reale „Wolf of Wall Street“ spricht in Berlin-Neukölln zu seinen Jüngern
Ausgabe 07/2015
Obszönität ist für ihn kein Fremdwort: Jordan Belfort, Anlagebetrüger
Obszönität ist für ihn kein Fremdwort: Jordan Belfort, Anlagebetrüger

Foto: Hollandse Hoogte/Imago

Eigentlich hätte man ein kräftiges Knurren erwartet, wie von einem Rudel in der Ranzzeit. Stattdessen ist es still im großen Saal. Aber es ist ja auch noch früh. Freitag, kurz nach neun Uhr. Gleich wird Jordan Belfort auf die Bühne kommen. Der Jordan Belfort. Der „Wolf of Wall Street“. Der Mann, der es mit Aktiendeals zu geradezu obszöne Reichtum und 22 Monaten im Gefängnis gebracht hat. Dessen Leben 2013 von Überregisseur Martin Scorsese verfilmt wurde, mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle. Spätestens seitdem steht Jordan Belforts Name für Geld, Erfolg, Exzess. Für schnelle Autos, große Häuser, Koks und Nutten. Kein Wunder, dass rund 1.000 Männer und Frauen ihn hören wollen.

Obwohl: Es sind doch überwiegend Männer, die meisten nicht mehr ganz jung, viele in glänzenden Deichmann Schuhen und mit genug Wetgel im Haar, um ein ganzes Wolfsrudel darin zu ertränken. Andere tragen Glatzen, humorlos blankpoliert. Sie kamen wegen eines Versprechens. Wenn Jordan Belfort, der Sohn eines New Yorker Buchhalters, es in die finanzielle Stratosphäre schaffen kann, weit über das gewöhnliche Level hinaus – warum soll es dann nicht auch jeder andere schaffen können? Diese Hoffnung lässt sich das Publikum etwas kosten. Zwischen 99 und 499 Euro kosten die Tickets für den großen Saal im Berliner Hotel Estrel. Dass hier vor zwölf Jahren ein SPD-Bundesparteitag die Hartz-Reformen abnickte, gehört zu den kleinen Ironien dieses Tages.

Man nascht Schlümpfe …

Hämmernder Eurotrash kündigt Belforts ersten Auftritt an. Zuvor ist ein mittelalter Mann im Zweiteiler minutenlang zu dem Lied You Get What You Give der völlig zu Recht vergessenen Band New Radicals auf- und nieder gehüpft, um die träge Masse der Zuhörer wenigstens ein bisschen in Wallung zu bringen. Viel Erfolg hatte er nicht. Ein bisschen gequält erhoben sich die Zuhörer von ihren nach den Kategorien „Gold“ und „VIP“ aufgeteilten Stühlen und klatschten müde mit.

Aber dann: Belforts Auftritt wirkt wie eine veritable Adrenalinspritze. Der Applaus hält lange an, vereinzelte Pfiffe sausen durch den Raum. Verglichen mit dem testosteronsatten Gejohle, mit dem die Händler seiner Firma Stratton Oakmont Belfort im Film empfingen, ist das hier allerdings ein Kindergeburtstag. Im Estrel ist auch kein Platz für Schimpansen auf Rollschuhen, und niemand hier würde auf die Idee kommen, spärlich bekleidete Kleinwüchsige auf große Zielscheiben zu werfen. Dafür holt ein Mann um die 30 nach einer halben Stunde Vortrag eine Tüte Gummischlümpfe aus seiner Tasche und nascht davon.

Jordan Belfort überrascht das nicht. Das Publikum bei seinen Veranstaltungen sei eben völlig anders als seine realen ehemaligen Untergebenen, erzählt er nach seinem Auftritt, im spärlich eingerichteten green room hinter der Bühne. Auf einem Tisch altert Sushi vor sich hin, es riecht nach Sojasauce und Red Bull. Zwei Assistenten schwirren beständig um Belfort herum. Neben einer Ledercouch liegt eine Schiffsladung von Belforts Autobiografie, fertig aufgeschlagen zum Signieren. Belfort hat nur Gutes über seine Jünger zu erzählen. Sie seien alle „Unternehmer“ – oder besser: „Unternehmer der Zukunft“. Bislang fehlten ihnen eben nur noch das Selbstvertrauen und die entscheidenden Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein. Er helfe da gern.

… und denkt an den „success“

Während dieses Gesprächs im Backstagebereich erklärt vorn auf der Bühne einer von Jordans very close friends, wie man auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt reich werden kann. Ganz einfach und ohne Risiko: Follow the rules and you’ll be fine. Seine Firma helfe da gern. Details könne man demnächst bei einem anderen Seminar lernen, Kostenpunkt: 3.000 Euro.

Überhaupt: Das Versprechen vom anstrengungsfreien Wohlstand zieht sich beharrlich durch diesen Tag. Nachdem Belfort dem Saal gehörig eingeheizt hat – You are all capable of getting rich! – erklärt ein weiterer very close friend, wie man mit Währungsspekulationen obscene money verdienen kann. Natürlich auch das wieder: ganz einfach und ohne Risiko. So etwas hört man draußen, außerhalb dieser Veranstaltung, ja doch eher selten. Das Spekulieren auf Währungen gilt als eine der aggressivsten Formen der Finanzwetten überhaupt. Uli Hoeneß zockte hier eifrig mit. Trotzdem verspricht der very close friend monatliche Renditen von 11 bis 20 Prozent – wenn man sich an seine Methode halte. Selbstverständlich könne man die lernen: Indem man ein passendes Softwareprogramm kaufe. Normalerweise sei das sehr teuer, aber für 50 Leute hier im Publikum wolle er mal nicht so sein und biete darum ein Sonderangebot an. Kostenpunkt: 3.000 Euro. Sofort rennen ein paar Hundert Zuhörer an die Tische. Einer hält dem Ansturm nicht stand, er bricht zusammen. Wenigstens ein bisschen Exzess.

Kurz darauf steht Belfort selbst wieder auf der Bühne. Sein Thema jetzt: Wie wird man ein großer Verkäufer? Sein Rezept: Zeig Mitgefühl! Stell Fragen! Gib „aktives Feedback“! Die Buzzwords fliegen nur so durch den Raum. Opportunity, potential, strategies. So ähnlich muss es bei Aufreißerseminaren zugehen. Doch das wichtigste Wort in Belforts Vokabular ist und bleibt der Erfolg. Success! Es ist die Beschwörungsformel, die Tausende zu solchen Kaffeefahrten für Möchtegernmanager lockt. Was versteht er denn persönlich darunter, unter success? „Für mich ist Erfolg, das Leben führen zu können, das ich führen will“, sagt er hinter der Bühne. Geld spiele dabei nun mal eine wichtige Rolle. „That’s okay – solange man mit seinem Geld auch das Leben anderer Menschen besser macht.“

Geld verdienen muss der Mann in der Tat. Nicht zum Spaß oder für seinen Lebenswandel. Wegen seiner Anlagebetrügereien mit Stratton Oakmont hat er rund 110 Millionen Dollar in einen Opferfonds zu zahlen, laut Staatsanwaltschaft seien bisher nur etwa zehn Prozent davon geflossen. Ein paar Hundert Shows stehen Jordan Belfort also noch bevor.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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