Kabinettsumbildung, Erika Steinbach, Steuerstreit – die Bundesregierung hat noch nicht einmal die ersten hundert Tage überstanden, da wachsen die Probleme schon turmhoch in den Himmel. Doch während die Opposition im Bundestag unangenehme Fragen stellt, die Umfragewerte fallen und sich sogar CDU-Ministerpräsidenten gegen die Pläne des Kabinetts stellen, kommt aus einer Ecke nur lautes Schweigen. Die FDP ist wie vom Erdboden verschwunden.
Seit Wochen ist das Thomas-Dehler-Haus, die Parteizentrale der Liberalen, in der Führungsebene so gut wie entvölkert. Der Große Vorsitzende Guido Westerwelle jettet in seiner neuen Rolle aus Außenminister um die Welt, sein bisheriger Generalsekretär Dirk Niebel arbeitet sich derweil in die Details der Entwicklungspolitik ein. Zwei der drei stellvertretenden Vorsitzenden der Partei, Rainer Brüderle und Cornelia Pieper, sind mit Westerwelle in die Regierung eingezogen – Brüderle als Wirtschaftsminister, Pieper als Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Der dritte im Bunde, NRWs Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart, bereitet sich derweil auf die Landtagswahl im kommenden Mai vor.
Nicht einmal die zweite Reihe der Partei ist noch vollständig besetzt. Hans-Jürgen Beerfeltz, bisher Bundesgeschäftsführer der FDP, wechselte mittlerweile als Staatssekretär ins Entwicklungshilfeministerium, ein Nachfolger ist noch nicht benannt.
In der kommenden Woche soll zumindest eine Lücke geschlossen werden. Am Montag will Parteichef Westerwelle dem Präsidium einen neuen Generalsekretär vorschlagen. Das ist auch bitter nötig. Denn die Partei wirkt derzeit geradezu verunsichert.
Partei in der Defensive
Als Arbeitsminister Franz Josef Jung wegen des Angriffs auf einen Tanklaster in Afghanistan gehen musste, war aus der FDP nichts zu hören. Zwar bügelte Westerwelle eine Frage des Grünen-Abgeordneten Volker Beck zum Thema im Bundestag rüde ab. Dabei wirkte der Außenminister aber geradezu defensiv – eine Attribut, das man ihm in seiner alten Rolle als Fraktionsvorsitzender eigentlich nicht angeheftet hätte.
Auch im Steuerstreit hört man wenig von der Steuersenkungspartei FDP. Als Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) seine Kollegen im Bundesrat dazu aufrief, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der Bundesregierung zu blockieren, melde sich aus dem Dehler-Haus niemand zu Wort.
Und auch als Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU), immerhin Vorsteher einer schwarz-gelben Landesregierung, Widerstand gegen das Gesetz ankündigte, kam der Protest aus den anderen Bundesländern und nicht aus Berlin. „Ich habe absolut kein Verständnis, wenn ein Bundesland versucht, Sondervorteile zu Lasten aller zu erpressen", sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, Gerhard Papke. Vehementer wurde der Widerstand kaum.
Baustelle Generalsekretär
Es gibt also viel zu tun für einen neuen Generalsekretär. Auch mögliche Kandidaten werden bereits gehandelt. Vor allem zwei Namen tauchen in der Diskussion immer wieder auf: Christian Lindner und Patrick Döring.
Am Wochenende riefen einige Medien Lindner bereits zum neuen Generalsekretär aus. Eine Bestätigung aus der Parteizentrale gibt es dafür allerdings nicht. Sicher ist, dass Lindner den Job ausfüllen könnte. Der 30-Jährige zog im September erstmals in den Bundestag ein. Zuvor war er neun Jahre Abgeordneter im Düsseldorfer Landtag und in den letzten fünf Jahren auch Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen. Zuletzt gab er mit Neu-Gesundheitsminister Philipp Rösler eine Textsammlung heraus, in der er sich mit den unterschiedlichen Aspekten des Liberalismus auseinandersetzte.
Solche Projekte sind von Patrick Döring nicht überliefert. Der 36-Jährige sitzt seit 2005 im Bundestag, ist Mitglied des Verkehrsausschusses. Schlagzeilen machte er unter anderem als er vor einigen Jahren die Abschaffung der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) für Autofahrer forderte – gemeinhin „Idiotentest“ genannt.
Nicht nur deshalb gilt Döring gemeinhin nicht als Feingeist, sondern eher als Widergänger des bisherigen Lautsprechers Dirk Niebel. Auch wenn derzeit alles auf Lindner hindeutet, sollte man Döring nicht unterschätzen – der Länderproporz spricht für ihn. Lindner ist, wie Westerwelle und Pinkwart, Mitglied des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Döring hingegen gehört der niedersächsischen FDP an, die in der Partei noch kein Spitzenamt für sich beansprucht.
Verunsicherte Fraktion
In dieser Situation könnte die Bundestagsfraktion der FDP sich als eigenständiges Machtzentrum etablieren – doch die neue Fraktionschefin Birgit Homburger hat es noch nicht geschafft, ihre Abgeordneten auf Linie zu halten. Die Fraktion ist unruhig.
Auch hier ist einiges an Spitzenpersonal abgewandert. Besonders das Fehlen eines Fraktionssprechers macht sich bemerkbar, seit der bisherige Kommunikationschef Christoph Steegmanns als stellvertretender Regierungssprecher ins Presse- und Informationsamt der Bundesregierung wechselte.
Diese Lücken im Personal sind das Ergebnis der Strategie, mit der Westewelle die Partei in den letzten Jahren führte. Nach den Erfahrungen des Wahlkampfs von 2002 als Westerwelle sich ständig mit den Alleingängen Jürgen Möllemanns herumschlagen musste, hat der Vorsitzende die Partei ganz auf sich zugeschnitten. Potentielle Nebenmachtzentren, wie seinen Vorgänger als Parteichef, der langjährige Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt, drängte Westerwelle gezielt ins Abseits.
Für den Parteichef war diese Strategie erfolgreich. Sein Machtanspruch ist ungebrochen. Ob sie für das Wohl der Partei auch langfristig die richtige war, muss sich jetzt zeigen.
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