Viel ist nicht nach außen gedrungen, seit Olaf Scholz bei der Wahl in Hamburg die absolute Mehrheit gewonnen hat. Wie auch? Wenn keine Koalitionsverhandlungen stattfinden, hat kaum jemand die Möglichkeit, Unterlagen oder Pläne der künftigen Regierung an die Presse durchzustechen. Und so kam es vergangene Woche dann auch zu handfesten Überraschungen: Der frisch vereidigte Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg stellte seinen neuen Senat vor – und hatte dabei auf Personal zurückgegriffen, das kaum einer auf der Rechnung hatte.
Besonders unerwartet: Jutta Blankau führt die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Dass sie in diesen Bereichen noch nie gearbeitet hat, gibt die Neusenatorin gern zu. Doch das scheint Scholz nicht zu stören.
Blankau ist eine klassische Gewerkschaftlerin. Von 2004 an führte sie als erste Frau den IG-Metall-Bezirk Küste. In dieser Funktion hat sie sich den Ruf einer knallharten Verhandlerin erworben. Als im vergangenen Jahr die Hamburger Werften unter großen wirtschaftlichen Druck gerieten, kämpfte sie um jeden Arbeitsplatz. Die deutschen Reeder rief sie dazu auf, aus „patriotischem Gefühl“ Schiffbauaufträge an deutsche Werften zu vergeben.
Als SPD-Politikerin ist sie hingegen kaum in Erscheinung getreten. Zwar war sie von 2002 bis 2006 stellvertretende Landesvorsitzende der SPD in Hamburg und soll sich intensiv an den Richtungsdebatten in der Partei beteiligt haben. Doch an öffentlicher Stellungnahme aus dieser von Intrige und Chaos geprägten Zeit ist von ihr kaum mehr überliefert, als dass sie die Bewerber um den Hamburger SPD-Vorsitz vor einem „Wettbewerb der Eitelkeiten“ warnte. Kein Wunder: Schließlich saß sie bei der IG Metall fest im Sattel, und eine wirkliche Machtperspektive hatte die Landespartei bis zur Rückkehr Olaf Scholz’ auch nicht. Doch jetzt ist Blankau plötzlich Senatorin. Warum eigentlich?
„Sie ist ein kleines Alphatier“
Das ist auch in der Hamburger SPD nicht jedem klar. Unbestritten ist, dass Blankau Führungsqualitäten mit ins neue Amt bringt. Sie gilt in der Partei als energisch, resolut und könne auch mal laut werden. „Sie ist ein kleines Alphatier“, sagt ein Genosse. Manche in der Partei spekulieren, dass das einer der Gründe sein könnte, warum Scholz sie berief. Er wolle eine Macherin, ins Fachliche könne sie sich schließlich einarbeiten. Zudem bekommt sie einen in der Sache erfahrenen Staatsrat an die Seite gestellt.
Trotzdem scheinen sich durch ihre Berufung die Schwerpunkte in der Umweltbehörde zu verschieben. Das Ressort wird abgespeckt. Der strittige Bereich Verkehr – man denke nur an den Jahrzehnte währenden Kampf um Tempo 30 auf der Stresemannstraße – wird der Wirtschaftsbehörde unter dem Ex-Präsidenten der Handelskammer, Frank Horch (parteilos), zugeschlagen. Als Hauptaufgabe für seine neue Senatorin nennt Scholz den Bau von 6.000 neuen Wohnungen pro Jahr. Klar, Umwelt spielt auch noch eine Rolle. Scholz will das Konzept der „Umwelthauptstadt Hamburg“ fortentwickeln. Doch aus der ersten Reihe ist das Thema damit nun entfernt.
Es dürfte noch andere Faktoren gegeben haben, die bei der Berufung Blankaus eine Rolle spielten. Einen davon hat der Vorsitzende der Hamburger CDU in der Bürgerschaft, Dietrich Wersich, schon ausgemacht. „Proporzsenat“, nennt er Scholz’ Kabinett – und liegt damit nicht ganz falsch.
In der Tat liest sich die Senatorenliste wie ein Personaltableau, das vor allem die Flügel in der SPD miteinander versöhnen soll. Gerade die deutlich positionierten Bezirksverbände Hamburg-Nord und Hamburg-Mitte sind sehr stark vertreten. Mitte ist traditionell eher rechts in der SPD einzuordnen – Vorsitzender ist nicht zufällig der bekannte Seeheimer Johannes Kahrs. Sein Vize, der bisherige Fraktionschef Michael Neumann, wird neuer Innensenator. Der Verband Nord hingegen gilt SPD-intern als sehr links. Es ist der Heimatverband von Jutta Blankau. Und auch der Bezirksvorsitzende Peter Tschentscher zieht als neuer Finanzsenator in die Regierung ein.
"Dankbar, dass er uns rettet"
Für manche in der Hamburger SPD ist der künftige Senat dann auch ein Zeichen dafür, dass Bürgermeister Scholz bereit ist, seinen Führungsstil zu ändern. Seit er nach der Bundestagswahl 2009 den SPD-Landesvorsitz übernahm, konnte er in der Partei schalten und walten wie er wollte. Diskussionen hätten kaum mehr stattgefunden, hört man aus Vorstandskreisen. Scholz’ Wille sei stets umgesetzt worden. „Wir waren einfach nur dankbar, dass er da ist und uns rettet“, sagt ein hochrangiger Genosse. Schließlich habe Scholz die chaotischen Zustände im Landesverband in den Griff bekommen und in kürzester Zeit den Machtwechsel erreicht.
Doch mit dem Erdrutschsieg bei der Bürgerschaftswahl änderte sich auch die Machtstatik in der Partei. Scholz kann sich zwar auf eine absolute Mehrheit stützen, doch die ist knapp. Wenn zwei Genossen ihm im Stadtparlament die Gefolgschaft verweigern, hat er ein Problem. Diese Situation gibt dem einzelnen Abgeordneten viel Macht. Scholz, so scheint es, versucht nun durch seine Senatsbildung die Flügel von Anfang an mit einzubinden – damit die in internen Kämpfen mehr als erprobte Hamburger SPD weiter still hält.
Jutta Blankau wird sich über Scholz’ Quotierungen nicht wundern. Sie weiß ihren neuen Chef durchaus einzuschätzen. Beide haben ihre politische Karriere bei den linken Jusos begonnen. Aber Scholz, so stellte Blankau einmal fest, sei nun mal „pragmatischer“ geworden. Das zeigt sich auch jetzt wieder.
Julian Heißler porträtierte für den Freitag zuletzt die Hamburger Politikerin Britta Ernst
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