"Rädchen im System"

Stasi Im Freitag-Salon spricht Linken-Politikerin Kerstin Kaiser über ihre Vergangenheit als Stasi-IM - und ihren Umgang damit

Von dem sprichwörtlichen Zauber, der allen Anfängen angeblich inne wohnt, ist in Potsdam nichts mehr zu spüren. Seit Ministerpräsident Matthias Platzeck sich dazu entschloss den Koalitionspartner auszutauschen und von nun an mit der Linken zu regieren, ist das politische Brandenburg wie gelähmt. Der Grund: Kurz nach der Machtübernahme wurde bekannt, dass in der sowieso schon als von der Stasi-Vergangenheit einiger Mitglieder belasteten Linken-Fraktion noch weitere ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter saßen, die ihre Zusammenarbeit mit dem Spitzeldienst vor der Wahl nicht öffentlich gemacht hatten. Es folgte harsche Kritik – nicht nur von der Opposition.

Kerstin Kaiser ist einen anderen Weg gegangen. Die Vorsitzende der Linken-Fraktion im Brandenburgischen Landtag bekannte sich früh zu ihrer Vergangenheit als IM. Im Gespräch mit Freitag-Verleger Jakob Augstein berichtete sie im dritten Freitag-Salon im Berliner Ballhaus Ost von ihrem politischen Werdegang – und dem Umgang mit ihrer Biografie.

„Es ist etwas, das mich begleitet“, sagt Kaiser gleich zu Beginn. Sie habe nichts vertuscht oder verheimlicht, sondern sei früh in die Offensive gegangen. Kaiser war 1979 als IM angeworben worden. Sie sollte ihre Kommilitoninnen während ihres Studiums in Leningrad bespitzeln. Bis 1984 arbeitete sie mit dem MfS zusammen. Die genauen Umstände hat sie auf ihrer Webseite dokumentiert.

Kaiser versucht im Gespräch nicht zu relativieren. „Wenn ich Menschen treffe, die in der DDR im Gefängnis gesessen haben, dann weiß ich, dass auch ich die politische Verantwortung dafür trage. Ich war ein Rädchen im System, das die Maschine am Laufen hielt“, sagt sie.

Andere in ihrer Fraktion hatten mit dieser Erkenntnis bisher Probleme. So bedurfte es öffentlichen Druck, damit Linken-Abgeordnete Renate Adolph nach ihrer Enttarnung im November ihr Landtagsmandat zurück gab. Ihr Kollege, der ebenfalls enttarnte Gerd-Rüdiger Hoffmann, trat zwar aus der Linken-Fraktion aus, seinen Sitz in Parlament behielt er allerdings. Er wird ihn auch weiter behalten können. Einmal gewählt kann ein Abgeordneter nicht mehr aus dem Landtag geworfen werden.

Genau deshalb sagt Kaiser, sei sie offen mit ihrer Stasi-Vergangenheit umgegangen: „Wenn ich mich den Wählern stelle, dann müssen die alles über mich wissen.“ Ihre Wählern honorieren diese Offenheit. Bei der letzten Wahl zog sie das dritte Mal als direkt gewählte Abgeordnete ins Potsdamer Parlament ein. Trotzdem müsste sie auch Opfer bringen.

1994 hätte sie in den Deutschen Bundestag einziehen können. Doch als ihre Mitarbeit beim MfS bekannt wurde, forderte auch die eigene Partei sie auf ihr Mandat nicht anzutreten. Kaiser verzichtete schließlich. Und auch in Brandenburg blieben ihr einige Türen verschlossen.

Als die rot-rote Regierungsbildung anstand, stieg der Druck auf Platzeck Kaiser nicht zur Ministerin zu machen. Um die Koalition nicht zu gefährden, verzichtete die Linke schließlich darauf, Kaiser ins Kabinett zu entsenden. Sie blieb Fraktionschefin – und zeigte sogar Verständnis: „Die Regierung vertritt das ganze Land – und viele SPD-Wähler wollen nunmal nicht von mir vertreten werden.“

In Brandenburg hofft man nun, dass der Spuk der ersten Regierungstage jetzt vorbei ist. Um keine unangenehmen Überraschungen mehr befürchten zu müssen, beschloss der Landtag jüngst ein Gesetz, nachdem alle Abgeordneten bei der Birthlerbehörde überprüft werden sollen. Doch auch wenn dabei keine neuen Fälle ans Tageslicht kommen sollten: Rot-Rot wird es schwer haben, wieder fahrt aufzunehmen.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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