Am Sonntag bemühte sich Matthias Wissmann demonstrativ um Normalität. Er rühmte das erneute Besucherplus bei der Internationalen Automobil-Ausstellung. Diese gute Nachricht konnte Wissmann, Präsident des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA), am Ende einer turbulenten Woche verkünden. Zum VW-Skandal wollte er hingegen nichts mehr sagen. Eine Einladung in die ARD-Talkshow Günther Jauch zu diesem Thema schlug Wissmann aus – Jauch war sichtlich verärgert darüber.
Der VDA-Präsident ist ein höflicher Mann. Das Macho-Gehabe, das viele Vertreter der Automobilbranche an den Tag legen, ist ihm fremd. Seine Methode heißt Bescheidenheit und Unscheinbarkeit. Zu Terminen in Berlin fährt der oberste deutsche Autolobbyist gerne mal mit dem Fahrrad. Doch hinter der freundlichen Fassade betreibt er knallharte Interessenpolitik. Nicht umsonst gilt die deutsche Automobilindustrie als stärkste Lobby Europas. Die Verbindungen zur Politik sind traditionell hervorragend.
Seit acht Jahren führt der 66-Jährige den Automobilverband. Den Großteil seines Lebens aber hat Wissmann in der Politik zugebracht. 1949 in Ludwigsburg geboren, trat er 1965 in die Junge Union (JU) und drei Jahre später auch in die CDU ein. Dort legte er eine steile Karriere hin. Zehn Jahre führte er die JU, mehr als dreißig saß er im CDU-Bundesvorstand. Er brachte es zu einer der führenden Figuren im mächtigen Landesverband Baden-Württemberg. 1976 zog er erstmals in den Bundestag ein und behielt sein Mandat bis 2007, als er zum VDA wechselte. 1993 berief Helmut Kohl ihn in die Bundesregierung, zunächst als Forschungsminister, bald stieg Wissmann jedoch zum Verkehrsminister auf und blieb es für fünf Jahre. Mit ihm damals am Kabinettstisch: Angela Merkel. Noch heute haben beide einen kurzen Draht zueinander. Selbstverständlich sind sie per Du.
Die Automobilbranche versteht es immer wieder, Vertraute aus Merkels Orbit für sich zu gewinnen. Volkswagen verpflichtete vor drei Jahren Merkels ehemaligen stellvertretenden Regierungssprecher Thomas Steg als Cheflobbyisten. Der Berliner Repräsentanz des Konzerns steht Michael Jansen vor, der früher das Büro der CDU-Vorsitzenden im Konrad-Adenauer-Haus leitete. In der Repräsentanz der Daimler AG hat Eckart von Klaeden seinen Schreibtisch, bis 2013 Staatsminister im Bundeskanzleramt. Auch der Draht zu BMW ist gut. Die drei Haupteigentümer des Münchner Autobauers spendeten nach der Bundestagswahl 2013 insgesamt 690.000 Euro an die CDU. In den folgenden Jahren wiesen die Rechenschaftsberichte der Regierungsparteien Großspenden von BMW und Daimler aus.
So viel Nähe zahlt sich aus. Seit Wissmann den VDA führt, konnte er einiges für dessen Mitgliedsunternehmen herausholen. Als 2008 im Zuge der Pleite der Investitionsbank Lehman Brothers die Wirtschaft einbrach, erhöhte Wissmann den Druck auf die damals regierende schwarz-rote Bundesregierung und setzte die Abwrackprämie durch, einen Zuschuss von 2.500 Euro für Kunden, die sich einen Neuwagen zulegten und dafür ihren mindestens neun Jahre alten Wagen verschrotten ließen. Stolze fünf Milliarden Euro stellte die Große Koalition für die Maßnahme bereit – nach wenigen Monaten war das Geld komplett abgerufen. Zusätzlich durften sich Kunden über eine Befreiung von der Kfz-Steuer für mindestens ein Jahr freuen.
Besonders groß wird der Druck auf die Regierung aus der Automobilbranche, wenn es um Umweltauflagen geht. Für Mercedes, BMW und Co. sind sie besonders gefährlich, da die großen Limousinen im Luxussegment aus deutscher Produktion zwar weltweit einen guten Ruf genießen, allerdings wegen ihrer Größe nicht gerade sparsam daherkommen. Da können neue Auflagen, etwa aus Europa, der Branche das Leben durchaus schwer machen. So sah eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2011 eigentlich vor, dass alle Hersteller den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeuge bis 2020 auf 95 Gramm pro Kilometer reduzieren sollen – ein Kraftakt für die deutschen Hersteller.
Wissmann und Co. sorgten dafür, dass die Richtlinie verwässert wurde. An der Stelle eines konkreten Grenzwertes steht heute eine prozentuale Reduktion des CO2-Ausstoßes, die sich am Gewicht des Autos orientiert. Das heißt: Schwere Limousinen dürfen weiter mehr CO2 ausstoßen als leichtere Wagen. Ein Erfolg für die deutsche Autolobby, den auch die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung ermöglicht hatte. Wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) anhand von Akten aus dem Bundeswirtschaftsministerium nachweisen konnte, schrieben die Interessenvertreter ganze Passagen des neuen Gesetzes selbst.
Auch als das 95-Gramm-Ziel im Sommer 2013 festgezurrt und für ab 2020 verpflichtend erklärt werden sollte, schlug Wissmann Alarm. In einem Brief an die „liebe Angela“ beschwor er die Gefahr für die deutsche Automobilindustrie, die durch „willkürlich gesetzte Grenzwerte buchstäblich kaputt“ reguliert würde. Die Bundeskanzlerin ließ sich überzeugen und rief den damaligen EU-Ratspräsidenten, Irlands Ministerpräsidenten Enda Kenny, an, um das Thema kurzfristig noch von der Tagesordnung des anstehenden EU-Gipfels zu streichen. Die Opposition schäumte – doch der VDA hatte sich wieder einmal durchgesetzt.
Wissmann würde das natürlich nicht so sagen. Lieber spricht er davon, auf Argumente zu setzen und Win-win-Situationen für Politik und Wirtschaft herzustellen. Auch aktuell hat er wieder viel zu tun – und nicht nur wegen des VW-Skandals: Der VDA zählt zu den lautstärksten Befürwortern des Freihandelsabkommens TTIP. Und auch da gilt es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
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