Seine Majestät, der OB

Hamburg Olaf Scholz dominiert die Stadtpolitik nach Belieben, vor der Wahl im Februar muss er die Opposition nicht fürchten. Aber seine Pläne wirken klein
Ausgabe 04/2015

Locker wirkt er immer noch nicht. Olaf Scholz tritt hinter dem grauen Rednerpult hervor. Gerade hat er gut 150 Zuhörern in der Aula des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Hamburg-Ohlsdorf erklärt, was die SPD in den vergangenen vier Jahren alles richtig gemacht hat. Nun sind die Bürger dran. Andere Wahlkämpfer würden jetzt ihr Jackett ablegen, womöglich die Ärmel hochkrempeln. Bei Scholz bleibt dagegen sogar der obere Knopf seines dunklen Anzugs mit dezenten Nadelstreifen geschlossen. Er weiß, was die Hamburger von ihm erwarten – nicht den sozialdemokratischen Kumpeltyp, sondern den ernsthaften Verwalter ihrer Stadt. Auf viel Kritik muss Scholz sich nicht gefasst machen, während er, eine Hand in der Hosentasche, von einem Fuß auf den anderen tritt. „Ich bin seit 25 Jahren in Hamburg“, sagt ein älterer Mann, „und ich bin froh, dass unser Oberbürgermeister Olaf Scholz heißt.“ Applaus im Saal. Scholz erlaubt sich ein kleines Lächeln. „Danke für die Frage“, antwortet er.

Oberbürgermeister ist natürlich falsch. Erster Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg ist der Titel, den Olaf Scholz nun schon seit vier Jahren führt. Und sollte den Hamburgern nicht der Himmel auf den Kopf fallen, wird sich daran auch in den nächsten fünf Jahren nichts ändern. Die Umfragewerte der SPD für die Bürgerschaftswahl am 15. Februar liegen stabil bei über 40 Prozent, zwei Drittel der Hamburger sind mit dem Senat zufrieden. Scholz‘ persönliche Zustimmungswerte liegen noch höher. Über 70 Prozent bewerten seine Arbeit positiv. Angesichts dieser Stimmung wirkt Scholz’ traditionsreicher Titel fast schon zu klein. König Olaf I. wäre wohl auch nicht falsch.

Nun sind monarchistische Anwandlungen den stolzen Hamburger Republikanern natürlich fremd, trotzdem strahlt zumindest das Rathaus einen majestätischen Glanz aus. Schnitzereien und Ölgemälde zieren die Wände, ein Saaldiener rückt humorlos die Porzellantassen mit dem Bürgermeisterwappen auf die protokollarisch korrekte Position des schweren Holztisches, an dem Scholz zum Gespräch empfängt. Lange braucht er nicht, um auf seine Erfolge zu sprechen zu kommen. Starke Wirtschaft, neue Arbeitsplätze, tausende neue Wohnungen, auch im Sozialbereich. Flächendeckende Betreuungsangebote, kostenlose Kitaplätze und keine Studiengebühren mehr. Die SPD habe an der Macht schlicht ihr Wahlprogramm abgearbeitet, so Scholz. „Am Anfang war das für die Opposition etwas verwirrend. Sie hat uns mehrfach vorgehalten, wir würden uns stur und borniert an unsere Wahlversprechen halten“, sagt er, „darüber habe ich mich immer gefreut. Ich glaube, die Bürger finden das ziemlich gut.“

Mit dieser Art macht Scholz seinen Gegnern im Wahlkampf das Leben schwer. Nicht nur, dass es keine Wechselstimmung in der Stadt gibt – den Herausforderern fehlen allein schon die Themen, um die SPD unter Druck zu setzen. „Fundamentalkritik ist schwierig, aber es gibt viele Probleme in der Stadt“, sagt Dietrich Wersich. Der Spitzenkandidat der CDU sitzt in seinem Büro im linken Flügel des Rathauses. Vom Pomp ist hier nichts zu spüren. Anstatt auf einem handgezimmerten republikanischen Thron, sitzt Wersich auf einem modernen, hellblauen Sessel. Sein Büro ist schlicht gehalten. Vom Sideboard überblickt ein Stoffglücksschwein das Zimmer, an der Wand hängt ein Lebkuchenherz mit der CDU-Zuckeraufschrift. Nominell ist Wersich Scholz‘ Herausforderer. Er kann auf eine steile Karriere in der Hamburger Politik zurückblicken. Unter den CDU-Bürgermeistern von Beust und Ahlhaus war er Sozialsenator, nach dem Bruch von Schwarz-Grün auch Zweiter Bürgermeister. Vor vier Jahren, als die CDU fast um die Hälfte abstürzte, wurde er Fraktionschef in der Bürgerschaft. Trotzdem ist er in der Stadt nicht gut bekannt. Nur 16 Prozent würden ihn zum neuen Bürgermeister wählen. Die Hamburger Morgenpost verspottete ihn als „Wer?sich“.

Die schlafende Schönheit

Dass es der Stadt so gut gehe, sieht Wersich vor allem als Verdienst von Scholz‘ Vorgängern. „Die SPD hatte noch gar nicht genügend Zeit, um die Stadt zu ruinieren“, sagt er. Stattdessen fahre Scholz jetzt die Erfolge ein, die die CDU angeschoben habe. Viel Neues sei in den vergangenen Jahren nicht dazu gekommen. „Ich sehe die Gefahr, dass Hamburg wieder einschläft“, sagt er, „wir waren einmal Weltstadt – aber das sind wir schon lange nicht mehr.“ Früher sei der Hafen noch das Tor zur Welt gewesen, heute komme man von jedem Flughafen weiter. „Wir dürfen nie wieder selbstgefällig werden“, so Wersich.

Tatsächlich fehlt dem Hamburger Wahlkampf bislang das große Thema. Scholz’ Programm lässt sich mit „weiter so“ ganz treffend zusammenfassen. Sogar bei der Olympiabewerbung der Stadt, anderswo hochumstritten, liegen die Parteien nicht weit auseinander. Höchstens beim Thema Verkehr knirscht es ein wenig. Die einen wollen die Busse beschleunigen, die anderen versprechen wieder einmal eine Stadtbahn. Aber kann das wirklich alles sein, worum es bei einer Wahl in der zweitgrößten Stadt Deutschlands geht? Das klingt dann doch mehr nach Oberbürgermeister.

„Schon Helmut Schmidt hat Hamburg eine ,schlafende Schönheit‘ genannt“, sagt Katharina Fegebank. Sie ist Vorsitzende und Spitzenkandidatin der Hamburger Grünen. „Die Stadt fühlt als Nabel der Welt, aber sie ist gleichzeitig ein bisschen veränderungsresistent.“ Auch sie wünscht sich, dass Hamburg sich „etwas mehr zutraut“. Damit meint sie keine neuen Großprojekte – dafür sorgt die grandios gescheiterte Elbphilharmonie, die von der Hafencity aus vor Hybris warnt. Sie wolle lieber zehn kleinere Projekte angehen, die etwa das Zusammenleben verändern könnten. „Mehr in Köpfe statt nur in Kaimauern investieren“, nennt Fegebank das.

Der Spruch ist nicht neu, doch er scheint anzukommen. In Umfragen stehen die Grünen bei guten 14 Prozent. Allerdings ist sich bislang nur gut die Hälfte ihrer potenziellen Wähler sicher, ihr Kreuz tatsächlich bei den Grünen zu machen. Fegebank kennt diese Situation. 2011 waren die Zahlen ähnlich. Damals brachen die Grünen die Koalition mit der CDU und wollten mit der SPD zusammengehen. Doch nach Neuwahlen wartete die Oppositionsbank. Die SPD holte die absolute Mehrheit. Die Grünen hatten sich verzockt. Jetzt hoffen sie, dass es dieses Mal zum Regieren reicht. Scholz hat schon angekündigt, zuerst mit den Grünen sprechen zu wollen, sollte er einen Partner brauchen. Das klingt nett, bringt die Grünen aber in eine Zwickmühle. Schließlich attackiert man einen Koalitionspartner in spe lieber nicht zu hart. Und warum sollte man grün wählen, wenn am Ende sowieso Scholz steht?

Dieses Dilemma trifft auf fast alle Oppositionsparteien zu. Lediglich eine Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei hat der Bürgermeister ausgeschlossen. Am wenigsten Rücksicht müsste wohl die FDP nehmen. Entspannt kann sie den Wahlkampf aber trotzdem nicht angehen. Eine Regierungsbeteiligung nach dem 15. Februar wäre nur die Kirsche auf der Sahne – für die Partei geht es ums nackte Überleben. Nicht nur in Hamburg. Auch die Bundes-FDP braucht mal wieder einen Sieg.

Katja Suding lässt sich diesen Druck nicht anmerken. Sie sitzt bei ihrem Stammitaliener nahe des Rathauses. Ihre Gnocchi fasst sie kaum an. Die Partei ist früher als die anderen in den Wahlkampf gestartet. Noch im vergangenen Jahr präsentierte Suding ihr erstes Wahlplakat. Es zeigte sie im schwarzen Rollkragenpulli versehen mit dem Slogan: „Unser Mann für Hamburg“. Das provozierte einiges an Spott, aber eben auch Aufmerksamkeit.

Die hatte die Partei auch bitter nötig. Vor Weihnachten stand sie in Umfragen bei mickrigen zwei Prozent. Ein monatelanger Machtkampf zwischen Suding und der ehemaligen Landesvorsitzenden Sylvia Canel lähmte die FDP. Canel trat schließlich aus und gründete mit anderen Abtrünnigen ihre eigene Partei. Seitdem läuft in der Hamburger FDP alles bei Suding zusammen. Aus der Not, dem fehlenden beherrschenden Oberthema, versucht die Partei eine Tugend zu machen. Sie führt einen Personenwahlkampf mit Suding an der Spitze – wie schon 2011, als sie die Liberalen nach sieben Jahren APO zurück in die Bürgerschaft führte. „Ich will, dass wir unser Ergebnis vom letzten Mal verbessern“, so Suding. So weit scheint es noch nicht zu sein, doch die Umfragen zeigen wieder aufwärts. Derzeit steht die FDP bei vier Prozent. Der Wiedereinzug scheint möglich. „Ich bin sehr zufrieden, wie der Wahlkampf bisher angelaufen ist“, so Suding. Thematisch will sie mit moderner Wirtschaftspolitik und einem Kampf für das Gymnasium punkten. Dauerbrenner eben.

In memoriam Schill

Scheinbar also alles klar in Hamburg. Doch was, wenn die Stimmung plötzlich kippt? Die Anschläge von Paris haben einigen Wahlkämpfern bereits Sorgenfalten auf die Stirn geworfen – insbesondere als kurz darauf ein Brandanschlag auf die Hamburger Morgenpost verübt wurde. Auch sonst ist es in den vergangenen Monaten nicht immer ruhig geblieben. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Kurden und Salafisten, die Polizei verhängte in St. Pauli großflächige „Gefahrengebiete“ und kontrollierte zahlreiche Menschen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Flüchtlinge, die die Stadt aufnimmt. Obwohl ihre Integration vielerorts besser gelingt als in den 90ern, birgt das Thema Konfliktpotenzial. Gegen drei Flüchtlingsheime wird geklagt, jeder fünfte Hamburger findet, dass es jetzt schon zu viele Menschen aus Krisengebieten in der Stadt gebe. In Hamburg, wo die Schill-Partei 2001 knapp 20 Prozent holte, sind das Warnsignale. „Hamburg hat eine Tradition, dass Parteigründungen in diesem Segment viel Zulauf haben“, warnt Grünen-Spitzenfrau Fegebank. Die AfD steht in Umfragen bei fünf Prozent.

„Wir müssen die Befürchtungen der Bevölkerung ernst nehmen, egal ob wir sie für berechtigt halten oder nicht“, sagt Jörn Kruse. Der emeritierte Volkswirtschaftsprofessor sitzt am Esstisch in seiner Eppendorfer Altbauwohnung. Die Regale hinter ihm stehen voll mit der Literatur des Bildungsbürgers. Goethe, Lenz, Houellebecq, aber auch Geschichts- und Kunstbände. Kruse hat die AfD mitgegründet – wegen der Euro-Rettung. Bernd Lucke kennt er schon lange. Im Wahlprogramm für Hamburg spielt die Währung allerdings keine Rolle. Man habe sich auf Landespolitik konzentrieren wollen, so Kruse.

Der breiten Öffentlichkeit wurde der AfD-Mann bekannt, als nach den Anschlägen ein Video kursierte, in dem er sagt, die Angriffe seien früher gekommen, als er „gehofft“ habe. Ein Versprecher, den er sofort korrigierte, doch der Eindruck passte ins Bild einer Partei, die in Hamburg gegen die Intendantin eines Theaters klagt, das sechs Lampedusa-Flüchtlinge in einer Kunstaktion aufnahm, und die auf ihrer Landesliste zwei ehemalige Schill-Parteigänger auf vorderen Plätzen führt. Auch Dirk Nockemann, nach Schills Rauswurf 2003 für die Partei Innensenator, darf sich Hoffnungen auf einen Sitz in der Bürgerschaft machen. Kruse hat damit kein Problem. „An die Schill-Zeit werde ich auch nicht gerne erinnert“, sagt er. Aber Nockemann sei ein respektabler Mann und die Unterbringung der Flüchtlinge im Theater schlicht illegal.

Als rechts will Kruse nicht gelten. Früher war er in der SPD, dann wählte er FDP. Er zählt sich zum wirtschaftsliberalen Flügel der AfD – mehr Lucke als Petry. Hetze gegen Flüchtlinge kommt ihm im Gespräch nicht über die Lippen. „Meine Partnerin und ich haben gerade Pullover und Handtücher für Asylbewerber gesammelt“, erzählt er. Trotzdem: Innere Sicherheit ist für die AfD wichtig. „Ich befürchte, dass etwas passieren wird“, sagt er. Diese Angst mache er auch in der Bevölkerung aus. Er sei aber skeptisch, dass die AfD daraus viele Stimmen ziehen könnte. Schließlich habe die SPD aus dem Schill-Schock gelernt und mache konsequent die rechte Flanke dicht. Und so reiht sogar die rechte Protestpartei sich in König Olafs loyale Opposition ein. Die Gefahr der Majestätsbeleidigung scheint gebannt.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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