So sieht Fortschritt aus

Betrug Die Gesellschaft sieht Steuerhinterziehung nicht mehr als Kavaliersdelikt an. Das ist gut so
Ausgabe 06/2014
Keine Schuldgefühle?
Keine Schuldgefühle?

Foto: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

Zumindest für einen Satz in ihrem Verteidigungsschreiben muss man Alice Schwarzer dankbar sein: „Auch mein persönliches Unrechtsbewusstsein hat sich an dem Punkt erst in den letzten Jahren geschärft“, schreibt Deutschlands bekannteste Feministin mit Blick auf die Hundertausende Euro, die sie seit den 80er Jahren vor dem Finanzamt in der Schweiz versteckt hatte. Soll heißen: Jahrzehntelang konnte sie an ihrem Betrug nichts Falsches finden. Und genau das ist das Problem.

Erst Klaus Zumwinkel und Uli Hoeneß, dann Theo Sommer, Alice Schwarzer und nun der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz: Sie alle zeigen das gestörte Verhältnis der Eliten zum Steuerrecht. Sie haben den Staat um viel Geld betrogen – ohne eine Spur von Schuldgefühlen. Der Staat selbst freilich schaute lange wohlwollend weg. Kein Wunder, dass das Schweizer Nummernkonto in besseren Kreisen offenbar lange zum guten Ton gehörte.

Gestörtes Gerechtigkeitsempfinden

Doch der Wind hat sich gedreht. Die öffentliche Empörung über Verfehlungen und Privilegienschinderei ist in den vergangenen Jahren in die Höhe geschnellt. Christian Wulff musste zurücktreten, weil er sich zu gerne einladen ließ. Den Journalisten wurde die reduzierte Bahncard gestrichen. Und für die nicht angemeldete Putzfrau erntet man heute selbst unter Freunden kein aufmunterndes Augenzwinkern mehr.

Das zeigt, dass das Gerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft zutiefst gestört ist. Die Hartz-Reformen haben von der breiten Öffentlichkeit große Opfer gefordert. Die Einkommenseliten können deshalb heute auf kein Verständnis hoffen, wenn sie sich durch ihren Betrug aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stehlen.

Steuerbetrug ist ein asozialer Akt. Der Täter oder die Täterin enthält dem Staat Mittel für gesamtgesellschaftliche Aufgaben vor. Dahinter steckt neben Gier wohl oft auch das Gefühl, besser zu wissen, wofür Geld eingesetzt werden sollte, als die dahergelaufenen Politiker im Haushaltsausschuss. Deshalb betonen die Erwischten so gern ihr soziales Engagement oder gründen eine Stiftung. Trotzdem ist der Betrug im Kern überheblich und demokratieverachtend.

Öffentlicher Druck

Bedeutet die Selbstanzeige von Alice Schwarzer nun, dass bei den Steuerbetrügern ein Umdenken stattgefunden hat? Sicher nicht. Ja, die Zahl der Selbstanzeigen ist im Laufe des vergangenen Jahres in die Höhe geschnellt. Aber der Grund dürfte wohl eher die gestiegene Gefahr sein, erwischt zu werden.

Die öffentliche Demütigung des Klaus Zumwinkel jagte bereits im Jahr 2008 Schockwellen durch die Villenviertel der Republik. Auch Uli Hoeneß fand sein Gewissen erst wieder, als er den Stern auf seinen Fersen wähnte. Das zeigt, wie wichtig die Drohung der Öffentlichkeit ist, um für mehr Steuerehrlichkeit zu sorgen. Der Kauf von Kontodatensätzen durch Ermittlungsbehörden übt hier den notwendigen Druck aus, um die Ansprüche des Staates auch durchzusetzen.

Denn wer entdeckt wird, dem hilft auch die eigenartige rechtliche Konstruktion nicht mehr, dass Steuerhinterzieher keine zusätzliche Strafe fürchten müssen, wenn sie sich denn selbst anzeigen. Für keine andere Straftat gibt es eine vergleichbare Regelung und der sogenannte kleine Angestellte, dem die Steuer direkt vom Lohn abgezogen wird, kann sich dem Fiskus überhaupt nicht entziehen. Der berüchtigte Paragraf 371 bedeutet Oberschichtenrecht. Deshalb gehört er abgeschafft. Auch dafür, dass dieses Thema nun wieder auf der Tagesordnung ist, kann man Alice Schwarzer wirklich dankbar sein.

Dieser Artikel erscheint in Ausgabe 06/14 vom 06.02.2014

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Julian Heißler

War auch mal beim Freitag

Julian Heißler

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden