War ich gut?

Personal Lobbyisten und Politik sind oft aufs Engste miteinander verwoben – und niemand kann die Netzwerke kontrollieren

Christian Weber hat es geschafft. Jahrzehnte arbeitete der Vizepräsident des Interessenverbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV) daran, die Politik zu beeinflussen. Jetzt hat er sogar die Chance, selber Politik zu machen. Denn demnächst wird Weber seinen Schreibtisch bei der PKV räumen und einen neuen Arbeitsplatz im Gesundheitsministerium beziehen – als Chef der Abteilung Politische Grundsatzfragen. Minister Philipp Rösler (FDP) macht ausgerechnet den bisherigen Toplobbyisten zu einer der zentralen Figuren seines Hauses. Künftig wird Weber die geplante Gesundheitsreform mitverhandeln. Sein jetziger Arbeitgeber dürfte zufrieden sein.

Gesetze in Deutschland werden zwar von den 622 gewählten Abgeordneten des Bundestags beschlossen. Doch mit am Tisch sitzen fast immer auch die Lobbyisten der zahlreichen Verbände. Sie vertreten die Interessen ihrer Mitglieder. Das geschieht ganz offen bei den Expertenanhörungen im Bundestag, bei dezenten Hintergrundgesprächen in einem der vielen Restaurants im Berliner Regierungsviertel oder direkt in den Abgeordnetenbüros. Rund 5.000 Lobbyisten gibt es in Berlin – acht mal so viele wie Bundestagsabgeordnete.

Lobbyismus ist ein Teil der Demokratie. Es gehört zum System, dass Branchen sich frei zusammenschließen können, damit ihre Stimme gehört wird. Zum Problem wird Lobbyismus dann, wenn er Interessen durchsetzt, die der Allgemeinheit schaden oder wenn er sich unlauterer Mittel bedient. Die Millionenspende eines Hotelunternehmers an die FDP im Vorfeld der Mehrwertsteuersenkung auf Hotelübernachtungen ist so ein Beispiel. Die Einflussnahme auf die Politik dauert oft Jahre – und keine Zeit ist besser dazu geeignet als ein Regierungswechsel.

Neubesetzung der Macht

In der Zeit nach der Wahl werden traditionell die Ministerien durchgelüftet. Spitzenbeamte mit dem falschen Parteibuch verlieren ihren Posten und werden ersetzt durch Parteifreunde – und manchmal eben auch durch Lobbyisten. Genauso wie 1998 Rot-Grün die Ministerien von schwarz-gelbem Personal befreite, vertreibt die neue Regierung nun die letzten Sozialdemokraten von den Schaltstellen der Macht.

So kam auch Christian Weber an seinen neuen Posten. Seine Stelle als Abteilungsleiter hatte bis zur Wahl Ulrich Tilly inne, einer der engsten Berater von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Die neue Leitung im Haus wollte ihn nicht mehr, Tilly musste gehen. Und der Lobbyist Weber, der schon in den Neunzigern kurz für die FDP tätig war, kam. Doch es gibt noch andere Beispiele.

Da wäre etwa Rolf Steltemeier. Seit Dezember ist er der Leiter des Pressereferats beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Er ist damit direkt Minister Dirk Niebel (FDP) unterstellt. Entsprechende Berufserfahrung bringt Steltemeier mit. Er kennt sich im Bereich internationale Beziehungen aus. So arbeitete er als persönlicher Referent für den ehemaligen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer (FDP), und als Büroleiter von Außenminister Klaus Kinkel. Er war Vize-Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag und schließlich Sprecher der Berliner Landes-FDP. Mit Niebel verbindet ihn eine langjährige Freundschaft.

Diener zweier Herren?

Doch seine guten Kontakte in die Politik nutzte Steltemeier nicht nur im Dienste der Öffentlichkeit. Im Jahr 2001 gründete er mit seinem Geschäftspartner Sven Rawe die Politikberatungsfirma Steltemeier Rawe. Die Firma führt für ihre Kunden Gespräche mit Politikern und versucht, sie von den Interessen ihrer Mandanten zu überzeugen. Bis 2004 war der FDP-Mann Geschäftsführer der Agentur. 2008 verkaufte er seinen Anteile an Sven Rawe.

Trotzdem riss die Verbindung nicht ab. Nach Informationen des Freitag war Rolf Steltemeier auch nach seiner Ausbezahlung immer wieder für Steltemeier Rawe tätig. Die Agentur räumt „punktuelle“ Aufträge an den ehemaligen Teilhaber ein. Zuletzt sei Steltemeier im September 2009 für sie tätig gewesen. Der Link auf Steltemeiers Webseite, der zum spartanischen Onlineauftritt der Agentur führt, verschwand allerdings erst im Dezember – kurz bevor er die Stelle im Ministerium antrat.

Die Liste der Kunden, die Steltemeier Rawe über die Jahre beriet, liest sich nicht wie ein Empfehlungsschreiben für den Dienst im Bereich Entwicklungshilfe. Dazu gehört ein Kunde aus der Pharma-Branche, ein großer Tabakkonzern, sowie eine Firma aus der Glücksspiel-Branche. Die Agentur wollte sich zu ihren Kunden nicht äußern.

Auch Rolf Steltemeier selbst wollte gegenüber dem Freitag keine Angaben zu den Kunden machen, die er in seiner Zeit bei der Agentur beraten hat. Diese seien auch dem Ministerium nicht bekannt. „Mich hat niemand danach gefragt“, sagte er. Den Link von seiner Webseite habe er entfernt, um den „klaren Schnitt“ zwischen seinen Lebensphasen deutlich zu machen.

Außerdem betont der Ex-Lobbyist, sein ehemaliger Arbeitsbereich überschneide sich nicht mit den Interessen seines jetzigen Arbeitgebers, dem BMZ. Zweifel an dieser Darstellung sind jedoch angebracht. Im Regierungsviertel hält sich hartnäckig die Spekulation, das BMZ solle in Zukunft eher in Richtung eines Außenwirtschaftsministeriums umgebaut werden. Niebels Aussage, das BMZ sei nicht das „Weltsozialamt“, passt jedenfalls dazu. Aber auch jetzt schon ist es für Pharma- oder Tabakunternehmen sicher nicht von Nachteil, einen kurzen Draht zur Spitze des BMZ zu haben.

Perfekte Drehtür

Doch nicht nur die FDP hat ihre Sündenfälle. Bereits kurz nach dem Regierungswechsel wurde bekannt, dass der neue CDU-Umweltminister Norbert Röttgen die Abteilung „Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen, Strahlenschutz und nukleare Ver- und Entsorgung“ mit einem Mann besetzen will, der sich bestens sowohl in der Welt der Politik als auch in der der Lobbyisten auskennt: Gerald Hennehöfer.

Schon einmal, zu Zeiten der letzten schwarz-gelben Koalition bis 1998, war er Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit – damals unter Umweltministerin Angela Merkel. Nach dem Regierungswechsel verlor er unter Jürgen Trittin (Grüne) seinen Posten. Doch Hennehöfer fiel weich. Er wechselte zu dem Energiekonzern Viag (heute Eon), den er früher als Beamter kontrollierte. Als Eon-Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik verhandelte er mit Rot-Grün den Atomausstieg. 2004 wechselte er zur Kanzlei Redecker. Nach Informationen der Frankfurter Rundschau betreute er dort als Mandanten auch das Helmholtz-Zentrum München, bis 2008 Betreiber des Atomlagers Asse.

Nun ist Hennehöfer also zurück in der Regierung. Die Reaktion der Opposition auf die Personalie ist erstaunlich verhalten ausgefallen. Es sind eher die Politiker der zweiten oder dritten Reihe, die ihre Empörung in die Öffentlichkeit tragen. Die Spitzenpolitiker wissen hingegen: Der nächste Regierungswechsel kommt bestimmt.

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