Achim Mentzel darf endlich singen. Oliver Kalkofe ist mit einer Handschelle an der Bühnenecke festgekettet, während der MDR-Quotenheld durch die Stuhlreihen schreitet und johlt: "Ooooh, wie ist das schön." Das Publikum in der ausverkauften Theaterfabrik in Leipzig klatscht im Takt. Kalkofe kramt Spreewaldgurken hervor, fängt an, Mentzel damit zu bewerfen, der sich davon kein bisschen aus der Ruhe bringen läßt. "Ooooh, wie ist das schön." Kalkofe bewirft nun die Zuschauer, die freudig nach den Gurken greifen. ("Die wurden aufgegessen, nicht zurückgeworfen", wird sich Kalkofe nach der Show auf Facebook wundern.)
Erwartet seltsam mutet es an, wenn Mediensatiriker Oliver Kalkofe zusammen mit seinem Lieblingsopfer, dem "zottigen Urviech, das beim Hundefriseur keinen Termin bekommen hat", Volksmusikstar Achim Mentzel, auf einer Bühne steht. Das Konzept des abendfüllenden Programms: Alte Folgen der Sendung Kalkofes Mattscheibe, in denen er Mentzel "verscheißert" (O-Ton Mentzel), werden auf Großleinwand gezeigt, dazwischen versucht sich das Hassliebespaar in Unterhaltung. Kalkofe schiebt den Hitparaden-Moderator an den Stuhl gefesselt und geknebelt auf die Bühne, "damit der ja nicht singt", was er bekanntermaßen später dann doch tun wird. Im Dialog erzählen beide Anekdoten, zeigen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenfotos von Mentzel mit der schon immer selben Frisur, und Kalkofe macht seine Witze.
Als es noch Familien gab
"Großes Gernsehen" nennt sich diese Veranstaltung. Eine Hommage an gemeinsame Fernsehabende, wie sie damals in Wohnzimmern stattfanden, in denen sich die ganze Familie versammelte, um unterhalten zu werden, erklärt Kalkofe und fügt an: "Damals, als es noch Familien gab."
Damals ist hier großes Thema. Damals in der DDR, als der Achim keine Spielerlaubnis beantragen musste ("es war nicht alles schlecht"), und damals in den Neunzigern, als Kalkofe noch der unverschlüsselte Rebell der Fernsehunterunterhaltung war. Die meisten der Anwesenden dürften sich zumindest an ein Damals noch erinnern.
Es ist nicht ganz klar, wer weswegen hier ist. Die älteren, denen gelegentlich ein "Achim"-Ruf entrutscht und die schon fröhlich im Takt klatschen, wenn nur Ausschnitte aus Achims Hitparade gezeigt werden, lachen auch über Kalkofes Witze. Und die jüngeren Kalkofe-Fans, die die eingeblendeten Gags nahezu auswendig kennen, singen fröhlich Achims Lieder mit. Lustig ist die Veranstaltung für alle Beteiligten, weil Achim Mentzel zwar bestens das Klischee des bedröppelten Zonis verkörpert, über den alle Witze machen, er selbst aber am lautesten lacht, so dass auch seine Anhänger beruhigt einstimmen können. Und um bei Liedern wie "Liebling schnall’ die Hose fest" mitzusingen, braucht man einfach nur eine gewisse Menge an Alkohol oder Abgebrühtheit, da kennen Kalkofe-Fans keinen Schmerz.
Die beiden unterschiedlichen Entertainer sind ein eingespieltes Team. Standen schon zusammen für Mattscheibe-Spezial-Ausgaben und andere Sketche vor der Kamera, aber dies ist ihre erste gemeinsame Tour. Eine Tour durch den Osten des Landes: Dresden, Chemnitz, Potsdam, Erfurt, Cottbus, Halle, Magdeburg oder Berlin stehen auf den Plan, teilweise sind die Hallen ausverkauft. Es wird Zusatzvorstellungen geben. Wegen der großen Nachfrage sogar in Hamburg, Westdeutschland.
Auch in Leipzig ist jeder Stuhl besetzt. Das Konzept des deutsch-deutschen Zusammenfernsehens geht auf. Sitcom-like kommen die Lacher an den richtigen Stellen, nur statt vom Band vom Nebenmann. Kalkofe zeigt Filmchen aus dem DDR-Spezial seiner Mattscheibe, danach singt der ganze Saal mit ihm und einem Dynamo-Dresden-Fan im Chor: "Erüsch Miehlke is homosächsuell." Und Honecker?, fragt Kalkofe und antwortet in imitiertem Sächsisch selbst: "Der is och homosächsuel."
Witze über sächselnde Ossis und DDR-Führungskräfte funktionieren in Sachsen mindestens so gut wie in Bayern, zumal hier ein kleiner Dynamo-Fan noch ein "Ach, weeßte noch, früher? Wie wir da aussahen!"-Nostalgiegefühl auslöst.
Und dann dürfen die Zuschauer Fragen stellen: Was sie schon immer über Kalkofe/Mentzel wissen wollten. Dank des Improvisationstalents beider ein gelungener Einschub, denn zwischenzeitlich wirkt die dreistündige Show recht einstudiert.
Mentzel und Denzel
Jemand fragt, ob Mentzel nun auch mit Rainald Grebe auf Tour gehe, der ihn in seinem Lied Brandenburg besingt. Mentzel freut sich: "Das muss man ja auch erstmal bringen, den Washington Denzel auf Achim Mentzel zu reimen." Und bekundet Hoffnung: "Wenn Kalkofe mich im Westen bekannt gemacht hat, dann schafft das der Grebe vielleicht in Hollywood."
Eine heftig winkende Frau will wissen, ob die beiden auch in einem Bett schlafen. Kalkofe erzählt etwas von Achims Gurke, über die er lieber nichts wissen wolle. Dann die Frage: Wird es neue Folgen von Kalkofes Mattscheibe geben? "Ich würde ja gerne, aber keiner will das zeigen", bedauert der Kritiker, der derzeit für TV Spielfilm eine Kolumne über die Abgründe des deutschen Fernsehens schreibt. "Bei Pro Sieben müssen die ja auch so viel anderes Wichtigeres senden. Model sucht Idioten und ähnliches." Es gäbe also noch genug, dem sich Kalkofe im Fernsehen zuwenden könnte, wie auch eine live dargebrachte Mattscheibe-Vorstellung über den "Werde glücklich-Tag" auf ProSieben zeigt. Doch nun stellt er seine Sketche ins Internet, auf Tubekalk.
Viele seiner Fans werden damit leben können, gilt es doch längst als schick, keinen Fernseher zu besitzen. Und Kalkofe liefert unzählige Gründe mehr, sich auch keinen mehr anzuschaffen. Genau wie Mentzel, den man in einem Ausschnitt der RTL2-Show Let’s dance in rosafarbenen engen Hosen Discofoxschritte üben sieht. Was einst Gegenstand von Kalkofes Spott geworden wäre, wirkt heute, da das Fernsehen seine Aura verliert, wie ein Abgesang. Und alle klatschen mit.
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