Müdes Lächeln

Witzlos Egal ob Medien oder Politiker, zu viele versuchen sich in Satire – und scheitern
Ausgabe 42/2018
Man muss nicht jedes Humorlevel teilen. Man tut eher gut daran, es nicht zu tun
Man muss nicht jedes Humorlevel teilen. Man tut eher gut daran, es nicht zu tun

Foto: Manan Vatsyayana/AFP/Getty Images

Am Sonntagmittag, als ganz Deutschland von aktuell fälligen Wahlentscheidungen in Bayern Einblick in die Lage der Nation erwartete, entdeckte Boris Palmer seine humoristische Seite. Auf Facebook verbreitete der Grünen-Politiker und Tübinger Oberbürgermeister eine „Eilmeldung“: „Merkel und Seehofer stellen Ämter zur Verfügung“, stand dort. Beide wollten „einen Neuanfang für Deutschland, Bayern und die Union ermöglichen“.

Als Quellenangabe nannte Palmer „dpa/BP“. Letzteres sollte für Boris Palmer stehen und deutlich machen, dass es sich hier eben nicht um eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur handelte, sondern um: Satire.

An dieser Stelle ist laut ungeschriebenem deutschen Publizistengesetz Kurt Tucholsky zu zitieren. Dieser beziehungsweise sein Alter Ego Ignaz Wrobel schrieb im Januar 1919 im Berliner Tageblatt „Was darf die Satire? Alles.“ Entsprechend kommentierte dpa-Chefredakteur Sven Gösmann Palmers Posts mit: „Jeder blamiert sich eben in einer freien Gesellschaft im Rahmen des Rechts, wie er möchte.“ Angesichts der aktuellen Debattenlage, die die Glaubwürdigkeit von Medien anzweifelt, hätte er sich jedoch mehr Verantwortungsbewusstsein von einem Politiker gewünscht.

Neulich verbreitete der Nachrichtensender n-tv die Meldung, dass 290 Kulturschaffende in einem offenen Brief Horst Seehofer zum Rücktritt aufforderten, weil er die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung gefährde und Deutschlands Ansehen im Ausland schade. Der Text des Tweets lautete „Die üblichen links-grün-versifften Künstler haben sich zusammengetan und fordern den Rücktritt #Seehofers.“ Auf Rückfragen, was zur Hölle das denn solle, folgte die Antwort „Ironie am Abend – erquickend und labend.“ Später wurde der Tweet jedoch gelöscht, weil die Ironie „nicht verstanden bzw. schlecht durchgeführt“ worden sei.

Tucholskys Zitat von der Satire, die alles darf, steht am Ende seines Textes. Zu Beginn hingegen heißt es: „Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.“ In anderen Worten: Satire sollte schon auch schlau und lustig sein. Die bestehenden Gedankengerüste einmal ordentlich durchrütteln. Wenn man ihre sozialmedialen Auftritte als Messlatte setzt, lachen Boris Palmer und der verantwortliche Redakteur von n-tv vermutlich auch über ertrinkende Katzenbabys, schmelzende Gletscher oder Mario Barth. „Männer. Frauen. Kennste. Höhö.“

Dieses Humorlevel muss man nicht teilen. Man tut eher gut daran, es nicht zu tun, wenn Sie mich fragen. Doch so wie Gösmann von der dpa schreibt, ist es in einem Land mit Meinungs- und Redefreiheit auch erlaubt, unlustige und dumme Sachen zu verbreiten. Man muss es nur selbst verantworten können. Und das ist das Problem dieser Satire-Versuche. Politiker und Medien leiden gerade beide an einem denkbar miesen Image. Ihnen wird unterstellt, nicht die Wahrheit zu sagen, miteinander zu kungeln, private Interessen zu verfolgen. Wie dem begegnet werden und by the way unsere schnuckelige Gesellschaftsform Demokratie erhalten bleiben soll, ist eine der großen Fragen dieser Zeit und bedarf einer ernsthaften Debatte, die manche auch führen. Palmer und n-tv war diese Fallhöhe offensichtlich schnurz, als sie ihre schlechten Witze machten. Dürfen sie das? In jedem Fall. Schlau ist es nicht.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden