Von der Dachterrasse in der siebten Etage blickt man auf die Skyline von Berlin: Der Fernsehturm, der Berliner Dom und das Rote Rathaus – Sehenswürdigkeiten, die jährlich Millionen Touristen anziehen, sind nur einen Katzensprung entfernt. Mitten in Berlin betreibt Benjamin Stanz* ein Hostel. An der Rezeption stapeln sich die Rucksäcke der Backpacker, gerade checkt eine Gruppe von Australiern ein. Über 340 Gäste sind momentan in dem Hostel zu Gast. Unter ihnen auch einige Flüchtlinge.
Berlin ist für viele junge Leute, die auf der Suche nach guten Elektropartys und Abenteuern sind, ein Sehnsuchtsort. Doch ist Berlin auch zunehmend zur Anlaufstelle für Flüchtlinge, die wegen gewaltsamen Konflikten im Nahen Osten und Nordafrika nach Deutschland kommen, geworden. Die Unterbringung von Flüchtlingen stellt die Behörden vor große Probleme. Die unter Druck und Eile errichteten Notunterkünfte sind schnell überfüllt. Wenn für die Flüchtlinge dort kein Platz mehr ist, müssen sie sich auf eigene Faust eine Unterkunft suchen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin-Moabit stellt ihnen dafür einen Übernachtungsgutschein aus.
Hostelmanager Benjamin Stanz sagt: „Wir haben seit letztem Herbst Geflüchtete im Haus, mal mehr, mal weniger. Zur Zeit kommen wir auf 15 Personen, die bei uns übernachten.“ Sie stammen hauptsächlich aus Syrien, aber auch aus Pakistan, Albanien und dem Irak. Im Hostel treffen zwei Welten aufeinander. Während es für die Backpacker darum geht, wo heute Nacht die beste Party steigt, haben die Flüchtlinge Fragen zu Ämtergängen.
Die Atmosphäre im Hostel ist trotzdem gut. Aber Benjamin Stanz gibt auch zu: „Das geht bei einer geringen Anzahl von Geflüchteten, die wir aufnehmen, aber wir könnten das nicht mit 50 oder 100 machen. Dann würde die Atmosphäre sich im Haus auf jeden Fall ändern.“ Stanz und seine Mitarbeiter haben sich gemeinsam dafür entschieden, Flüchtlinge aufzunehmen. Viele andere Hostels tun das nicht mehr. Besonders kleinere Herbergen können sich die Unterbringung nicht leisten, selbst wenn sie wollten. Schuld ist die Behörde. Die Abrechnungsstelle kommt mit der Bearbeitung nicht hinterher und die Hostels müssen Wochen auf ihr Geld warten. Vor Stanz liegt ein dicker Ordner mit Rechnungen. Bei einer gewissen Zahl von Flüchtlingen kann sich das Hostel in Mitte die Unterbringung noch leisten, aber kleinere Beherbergungsbetriebe können nicht auf ihr Geld warten, sie sind sonst vorher pleite.
Die Flüchtlinge erhalten vom Lageso einen Unterbringungsgutschein. Dieser gilt für ein bis zwei Monate. Mit ihm können bis zu 50 Euro pro Nacht in Rechnung gestellt werden. Mit diesem System brummt die Behörde den Hostels einen erheblichen Verwaltungsaufwand auf. Penibel genau muss aufgeschrieben werden, von wann bis wann der Flüchtling übernachtet hat. Wenn man aber davon ausgeht, dass das Hostel den Flüchtling nur über einen kurzen Zeitraum unterbringen kann und der Gutschein eigentlich noch länger gültig ist, steht Benjamin Stanz vor einem bürokratischen und moralischen Problem: Das Hostel braucht das Original der Kostenübernahme für die Abrechnung, aber ohne das Original kann der Flüchtling sich keine neue Unterkunft suchen. Für den Flüchtling bedeutet das: zurück zum Lageso, in die Schlange stellen, auf einen neuen Gutschein warten. Wenn sich das Hostel lediglich eine Kopie macht, riskiert es, auf den Kosten sitzen zu bleiben. „Ich bin auch nur Angestellter und muss mich eines Tages bei meinen Chefs der Hostelkette verantworten, warum wir hier diverse unabgerechnete Zimmer haben“, sagt Benjamin Stanz nachdenklich.
Das Hostel in Mitte hat trotzdem gerade fest zwei Vierbett-Zimmer für Flüchtlinge mit einer Kostenübernahme geblockt. Die meisten von ihnen wollen lieber unter sich bleiben und nicht alle zwei Nächte neue Touristen auf dem Zimmer haben. Das Hostel kommt diesen Wünschen entgegen und probiert, eine gewisse Intimsphäre sicherzustellen.
Die Unterbringung im Hostel ist teilweise für die Stadt günstiger als in einer Massenunterkunft. Wenn zum Beispiel eine Familie in einem der Apartments untergebracht werden kann, kostet das 80 Euro. Für alle. In solch einem Apartment war noch bis letzte Woche eine Familie aus Albanien untergebracht. Erst vor kurzem hatte die Frau ein Neugeborenes zur Welt gebracht.Doch nach einem Termin im Lageso kam die Frau weinend wieder. Obwohl ihre Kostenübernahme erst zwei Tage zuvor verlängert wurde, musste die Familie mit dem Baby in eine Massenunterkunft umziehen. Wenn Benjamin Stanz von der albanischen Familie erzählt, spricht aus ihm das pure Unverständnis darüber, wie mit Einzelschicksalen umgegangen wird: „Letztendlich scheint da eine recht willkürliche Verteilung stattzufinden. Früher haben wir noch hinterhertelefoniert, aber das machen wir inzwischen schon lange nicht mehr, weil wir beim Lageso eh keinen an die Strippe bekommen.“
Dafür scheint das Bezirksamt Mitte jetzt aktiv zu werden. Vor kurzem hat Stanz einen Brief erhalten. Auch das Amt habe die Problematik erkannt und wolle künftig Kontingente auf Zimmer mit den Hostels abschließen. Dass Benjamins Hostel schon seit letztem Jahr Flüchtlinge aufnimmt, scheint der Behörde nicht bekannt zu sein. Im letzten Absatz des Schreibens verweist das Amt bei einer weiteren Verschärfung der Unterbringungssituation auf die Möglichkeit der Beschlagnahmung nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG). Das erlaubt den Behörden im Falle einer Verweigerung der Kooperation den Hostels eine Zwangsunterbringung anzuordnen. Gebäude könnten so beschlagnahmt werden.
Soweit wird es im Hostel in Mitte nicht kommen. Sie nehmen Asylbewerber weiter auf. Auch wenn die Flüchtlinge für alle mehr Arbeit bedeuten, für die man am Ende nur mit einem Danke oder einem Lächeln belohnt wird. Benjamin Stanz und sein Team wissen darum. Und um die Probleme, die ihnen die unabgerechneten Zimmer und kostenlos vergebenen Frühstücksgutscheine vielleicht in Zukunft einbringen werden. Sie machen trotzdem weiter.
*Name von der Redaktion geändert
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.