Jenseits der Alltagsrassismen

Zivilgesellschaft Die Ablehnung in Deutschland gegenüber Asylsuchenden nimmt nicht überall zu. Viele Flüchtlingsunterstützer finden immer neue Wege, um zu helfen – wie zuletzt in Berlin

Vergangenes Jahr gingen zeitweise 25.000 wütende Leute auf die Straße. Sie nannten sich "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" und verbreiteten sich rasant von Dresden in andere Städte. Pegida war eine Anti-Islam Bewegung und protestierte gleichzeitig gegen Flüchtlinge und Asylbewerber – manchmal auch mit Gewalt. Die Bewegung fußte auf einem fundmentalen Misstrauen der Leute von der Straße gegen die politische Klasse. Ob man das teilt oder nicht, so drückte sich darin eine tief sitzende Skepsis gegenüber der Parteienpolitik und den Medien aus. Lügenpresse lautet das böse Wort.

Bei vielen Anhängern spielte dabei eine Unsicherheit über die eigene existenzielle Lage und materielle Sicherheit eine Rolle. Viele, die in Dresden auf die Straße gegangen sind, vertreten ein simples Weltbild, geprägt von der Angst vor Asylmissbrauch und Verteilungsproblemen. Das sollte man ernst nehmen – aber die vergangenen Tage und Wochen zeigen ebenso: Deutschland ist nicht Pegida. Die Gesellschaft zeigt nicht nur ihre ätzende, pöbelnde Fratze des hässlichen Deutschen, sie hat auch ein freundliches, ein ziviles Gesicht.

Jeden Tag wächst die Bereitschaft, aus der Gesellschaft heraus aktiv zu werden. Sei es das Bellevue di Monaco, eine Münchener Initiative ebenso wütender, aber fröhlicher Flüchtlingsunterstützer, oder die Internetplattform „Flüchtlinge Willkommen“, die Heimatvertriebene an Wohngemeinschaften vermittelt, oder der Videokünstler Louis von Adelsheim, der mit dem kleinen Ort Adelsheim im badisch-fränkischen Bermudadreieck mit irakischen und syrischen Asylbewerbern arbeitet (und tanzt) – überall im Land stößt man auf trotzige und mutige Willkommensheißer, die bereit sind , das Klima für Flüchtlinge zu verbessern.

Manchmal sind es spontane Wutanfälle – etwa wenn in Berlin eine hochgerüstete Sozialbürokratie nicht in der Lage ist, Hunderte und Tausende von Flüchtlingen vor der Erstaufnahmenstelle bei 38 Grad mit genug Wasser zu versorgen. Familien mit Kindern und Kleingruppen campten vor der Behörde und suchten Schutz auf schattigen Grünflächen. Das Amt war diesem Ansturm nicht gewachsen, die Lage vor Ort chaotisch. Da meldete sich die Zivilgesellschaft via Twitter und ganz real. Nicht die Flüchtlinge wurden zur Ursache der Problematik erklärt, sondern die Bürger erkannten das Versagen der Behörde. Die Initiative „Moabit hilft“ rief dazu auf, Nahrungsmittel, Trinkwasser und Bekleidung vorbei zubringen. Etliche Freiwillige folgten dem Aufruf. Die Organisatoren waren überwältigt ob der Resonanz, teilweise mussten Helfer wieder weggeschickt werden. Nur das Eis durfte dann noch durchgereicht werden.

Rassismus und Fremdenhass sind eine Mischung aus Dummheit, Angst und unfähiger Bürokratie. Zivilcourage und Hilfsbereitschaft hingegen ein Mix aus Wut, Neugier und dem Wissen, dass der Staat nicht immer das leisten kann, was wir von ihm erwarten. Wer glaubt, dass der Staat und die Kommunen allein die Integration von Hunderttausenden Menschen auf der Flucht bewerkstelligen können, der irrt. Bürokratie ist nicht fähig, Empathie zu erzeugen, sie kann nur durch Menschen und Initiativen entstehen und findet in Hilfsaktionen ihren Ausruck.

Sie beweisen, und nur sie: Was in Dresden auf den Straßen passiert ist, zeigt nur einen kleinen Querschnitt. Existenzangst und Ausländerfeindlichkeit sind kein bundesdeutsches Phänomen. Die Zivilgesellschaft wächst weiter. Zum Glück.

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