Alleinerziehend mit 3 Kindern

Sexuelle Selbstbestimmung Gerade sitze ich in einem Café und bin am Arbeiten. Die Arbeit bringt Spaß und ich bin total versunken, ich kann mich super konzentrieren und komme unglaublich gut voran.

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Solche Momente sind sicher für jeden wertvoll, als 3-fache Mutter weiß ich sie aber ganz besonders zu schätzen. Plötzlich habe ich so ein komisches Gefühl, ich spüre etwas. Ich drehe mich um, ein vollkommen fremder Mann nähert sich mir von hinten, er bleibt direkt an mir stehen, er berührt mit seinem Oberkörper meinen Arm, ich kann ihn riechen. Ich gucke ihn fragend an, was er will bzw. was das soll. Er bleibt einfach stehen, wo er ist. Irgendwann meint er, das sähe interessant aus, was ich da mache. Wieder Pause. Er wolle nur mal genauer gucken. Er bleibt noch einen Moment länger stehen. Dann geht er.

Meine Konzentration ist dahin. Ich zittere und bin unglaublich wütend. Ich weiß nicht warum, seit ich denken kann, werde ich belästigt. Mit Anfang 20 – ungelogen – im Durchschnitt jeden Tag. Das bringt keinen Spaß.

Damals bin ich drei Mal die Woche zum Aerobic, meine Figur war entsprechend bombig, zwischendurch habe ich überlegt, mit dem Sport aufzuhören, mich nicht mehr zurecht zu machen, weil ich es an manchen Tagen nicht mehr ertragen konnte. (Womit ich nicht sagen will, dass es etwas mit dem Aussehen zu tun hat, ob man belästigt wird. Inzwischen ist mir klar, dass es weniger mit der Frau als vielmehr mit den Männern zu tun hat. Entsprechend ist es auch kein Kompliment, belästigt zu werden, im Sinne von „Freu dich doch, dass Männer dich attraktiv finden!“ Komplimente haben etwas mit (subjektiv empfundener) Attraktivität zu tun, Belästigung nicht. Belästigung geht um Macht. Der Typ im Café, er wollte mich nicht kennenlernen, er fand mich auch nicht toll.

Er fand sich toll. Ich denke, der Fehler war, dass ich ihn beim Reinkommen nicht bemerkt habe. Ich war in meine Arbeit versunken. Damit bin ich seinem Geltungsbedürfnis nicht gerecht geworden. Denn nachdem er sich endlich an seinen Platz gesetzt hat, ging die Show gegenüber seiner Begleiterin los, die übrigens herzlich über seinen Auftritt bei mir gelacht hat. Er hat ja vor einigen Jahren das super Start-up gegründet und dann für viel Geld verkauft, das letzte Jahr dann erstmal gar nichts gemacht, dass muss man sich halt mal gönnen und jetzt zieht er die nächste große Sache durch. Arme Sau! Zweifelsohne. Nur leider, wenn entsprechende Typen gewillt sind, die Grenze anderer Menschen zu übertreten, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, ist es schwer, sich dagegen zu wehren.

Eine Erkenntnis, die ich in dem Zuge gemacht habe, finde ich übrigens sehr interessant. Am meisten belästigt wurde ich in Zeiten, in denen ich gar keinen Blick für Männer hatte weil ich mich in einer Trennungsphase befand. Oder weil ich zum Beispiel im Kreis meiner Mädels, im Studium oder bei der Arbeit voll aufgegangen bin. Fast könnte ich den Eindruck bekommen, dass es Männer gibt, die es nicht aushalten können, einer Frau zu begegnen, deren Aufmerksamkeit sich gerade nicht voll und ganz und ausschließlich mit ihnen und ihrem Geschlecht beschäftigt. Und die sich zur Not mit verbaler und körperlicher Übergriffigkeit, bis hin zu Gewalt in das Bewusstsein eben jener Frau hinein drängen müssen.

Aber egal, wie ich mir das Ganze erkläre. Mein Arbeitstag ist im Eimer, mein kleines Zeitfenster geschlossen. Ich konnte es nicht vollständig nutzen, weil ich mich mit einem Mann auseinandersetzen musste, dessen Existenz mir bis dahin egal war, dessen Präsenz ich nicht wahrgenommen habe, bis er sie mir aufgedrängt hat. Manchmal frage ich mich, wo ich wohl beruflich stehen würde, wenn ich mich nicht seit meinem 10. Lebensjahr mit Belästigungen, Übergriffigkeiten und ihren körperlichen und psychischen Folgen auseinandersetzen müsste.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane von Hopfgarten

Meine Themenbereiche umfassen internationale Politik, Wirtschaft sowie Frauenrechte. Unten ein Link zu meinen Beiträgen auf EditionF.

Juliane von Hopfgarten

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