Von Schuld und Verantwortung

Häusliche Gewalt „Es ist nicht ihre Schuld. Er ist es, er allein. Er allein trägt die Verantwortung für sein Handeln. Er ist es. Egal, was sie vorher gemacht, was sie vorher gesagt.

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..Er hat zugeschlagen, er trägt die Verantwortung dafür.“

Es wird immer wieder betont, wie wichtig es ist, Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, nicht die Schuld für das zu geben, was passiert. Das ist richtig, die Schuld liegt einzig und allein beim Täter, also beim Schlagenden. Und selbst wenn die Frau selbst auch zugeschlagen hat, ist das kein Argument für den Mann, zurück zu schlagen.

Auch sollte niemand Frauen, die viel zu lang bei ihrem schlagenden Mann geblieben sind, Vorwürfe machen. Jede Frau, die gegangen ist, ist unglaublich stark. Denn häusliche Gewalt baut sich auf. Die Frau wird zuvor systematisch verunsichert, geschwächt, isoliert, in Abhängigkeit gebracht. Erst wenn die Frau „bereit dazu ist“, also der Schlagende sich sicher ist, dass sie so geschwächt, abhängig und verunsichert ist, dass sie trotz der Schläge bei ihm bleibt, erst dann kommt es in der Regel zur Gewalt.

Ich denke aber trotzdem, dass es wichtig ist, dass jede Frau, die häusliche Gewalt erlebt hat, sich auch mit ihrem Beitrag auseinandersetzt und die Verantwortung für ihren Anteil an der Situation übernimmt. Okay, bevor ihr wütend und schockiert aufhört zu lesen, wartet, was ich meine:

Eine Freundin von mir hat lange, sehr lange gebraucht, bis sie verstanden hat, dass ihre Ehe von Gewalt geprägt war, dass sie ein Opfer häuslicher Gewalt war. Und das, obwohl sie regelmäßig von ihrem Mann geschubst wurde, bespuckt und Gegenstände durch die Wohnung flogen. Selbst nach der Scheidung hat es noch fast zehn Jahre gedauert, bis sie verstanden hat, dass das alles Gewalt war. Das ist schon verrückt. Obwohl ihr Mann sie grauenvoll behandelt hat, so schlimm, dass sie es irgendwann nicht mehr ausgehalten hat und die Scheidung verlangt hat, konnte sie sich nicht eingestehen, dass sie das Opfer häuslicher Gewalt geworden ist. Nun sollte man denken, es ist gut, dass sie das erkannt hat und das Erlebte damit auch verarbeiten kann. Sicherlich ist es das und sicherlich ist diese Erkenntnis auch die Voraussetzung, dass sie in einer neuen Beziehung nicht wieder das Gleiche erleben wird.

ABER!

Und hier kommt ein riesiges, wichtiges Aber. Sie hat nie die Verantwortung für sich und was damals passiert ist übernommen, dafür, dass sie sich das all die Jahre hat gefallen lassen. Sie hat nicht versucht herauszufinden, warum sie es zugelassen hat, sich in einer manipulativen, gewalttätigen, ihr Selbstbewusstsein zerstörenden Beziehung zu verlieren. Sie hat lediglich erkannt, sie war das Opfer – eine wichtige Erkenntnis – und das war’s. Das Problem daran: Sie ist seit dem immer das Opfer und aus ihrer Sicht kann sie nichts ändern. Alle anderen müssen sich ändern, müssen sich so verhalten, dass es sie nicht verletzt, nicht demütigt und nicht beleidigt. Denn all das hat sie sich all die Jahre gefallen lassen, damit ist jetzt Schluss. Sie ist jetzt stärker und zeigt ihre Grenzen auf! Adressat des Ganzen? Ihre Kinder!

Plötzlich werden, aus ihrer Sicht, ihre Kinder zum Täter. Schreien sie ihre Mutter an, werden sie ignoriert, schließlich hat meine Freundin sich all die Jahre genug anschreien lassen, das muss sie sich nicht mehr bieten lassen. Reden ihre Kinder nicht respektvoll genug mit ihr, gibt es Ärger, denn sie will sich nie wieder respektlos behandeln lassen. Sie ist mehr wert, als solch eine Behandlung. Sind ihre Kinder nicht zuverlässig, vergessen sie Termine ihrer Mutter, Besorgungen, die sie machen sollten, verlegen sie die Sachen der Mutter, sofort erinnert sie sich daran, dass sie sich nie wieder ignorieren lassen wollte, dass ihre Bedürfnisse wichtig sind und Beachtung verdienen. Entsprechend groß war der Ärger, den die Kinder bekamen. Was sie bei all dem nicht merkte. In dem festen Vorsatz, nie wieder Opfer zu sein, wurde sie zum Täter! Zum Täter gegenüber ihren Kindern. Denn Kinder schreien mal rum, sind respektlos, sind unzuverlässig und vergessen ihre Umwelt, sie verbummeln die Sachen ihrer Mutter und hören nicht richtig zu. Man nennt das Pubertät!

Deswegen denke ich, die Schuld, die der Täter hat, muss beim Täter bleiben. Aber die Verantwortung für das, was man selbst in der Hand hat, muss man übernehmen! Ansonsten wird die Spirale aus Manipulation, Abwertung, Demütigung und Gewalt nicht durchbrochen. Im „besten“ Falle verändern sich nur die Rollen. Das Opfer wird zum Täter und schafft damit neue Opfer.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane von Hopfgarten

Meine Themenbereiche umfassen internationale Politik, Wirtschaft sowie Frauenrechte. Unten ein Link zu meinen Beiträgen auf EditionF.

Juliane von Hopfgarten

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