Der Mietpreiswahnsinn trifft Hilfebedürftige

Gesellschaft Eine Wohnung zu finden ist heutzutage schon schwer genug. Doch für Menschen, die auf barrierearme Wohnungen angewiesen sind, ist es fast unmöglich

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"Entschuldigung, ist hier noch frei?"
"Entschuldigung, ist hier noch frei?"

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Eine Wohnungsbesichtigung in der Großstadt unterliegt den gleichen Regeln wie bei einer Bewerbung für einen Arbeitsplatz. Das persönliche Auftreten muss seriös wirken, eine einwandfreie Auskunft der Schufa muss vorliegen, das Einkommen des Wohnungssuchenden entspricht dem Betrag von drei Monatsmieten und ein unbefristeter Arbeitsvertrag ist vorzuweisen. All dieses stellt sich bereits für den normalen Berufstätigen als schwierig dar. Geringverdiener haben da keine Chance und Familien mit wenig Geld sind ohne Hoffnung, eine passende Wohnung zu bekommen.

Barrierefreie Wohnungen? Teil des Geschäfts.

Viel schwieriger haben es allerdings Menschen in besonderen Lebenssituationen, wie zum Beispiel bei Schwerbehinderung. Barrierefreie Mietwohnungen für behinderte Menschen sind spärlich und kosten viel Geld. Denn besondere Ansprüche erfordern speziellen Wohnraum. Eine alleinerziehende Mutter, 37 Jahre, schildert folgendes:

"Ich benötige eine barrierefreie oder stufenlos erreichbare Wohnung, weil mein Sohn gehbehindert ist und im Rollstuhl sitzt. Das ist eine Wohnung im Neubau und demzufolge teuer. Wünschenswert für meinen Sohn wäre es, in seiner Lebenssituation finanzielle Unterstützung oder Hilfe bei der Wohnungssuche zu erhalten“.

Dieser Teil des Immobiliengeschäfts, der sich an Personen wie oben genannte Mutter richtet, ist heiß umkämpft. Denn nicht nur Personen mit Behinderung benötigen eine barrierefreie Wohnung. Auch der wachsende Personenkreis der älteren Menschen ist auf einen barrierearmen Wohnraum angewiesen. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund ergab eine Studie des Immobilienanbieters Terragon, dass 2,75 Millionen derartiger Wohnungen gebraucht werden. Die Autoren haben das Ziel, eine befriedigende Auswahl zu garantieren, indem sie insgesamt 4,2 Millionen Wohnungen barrierefrei auszustatten – rund zehn Prozent des gesamten Wohnungsmarkts.

Das Problem: Zurzeit stehen nur 800 000 derartige Wohnungen zur Verfügung. Diese Unzulänglichkeit bekommen die zuständigen Anlaufstellen zu spüren. Christine Braunert-Rümenapf, die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung berichtet, dass allein in Berlin schätzungsweise 41 000 Wohnungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität fehlen. Für diese Personen sind die Wohnungen nicht nur knapp, sie sind zu teuer. Frau Braunert-Rümenapf bemerkt, dass viele barrierefreien Wohnungen Neubauten sind (Beispiel barrierefreies Haus). Und die wurden in den letzten Jahren in Berlin hauptsächlich in der oberen Preisklasse gebaut.

Dabei muss barrierefreies Bauen gar nicht teuer sein. Die Terragon-Studie ergab, dass die Baukosten für Barrierefreiheit nur etwa ein Prozent betragen. Das sind bei 75 Quadratmeter Wohnfläche in kompletter Barrierefreiheit Mehrkosten von lediglich 1600 Euro.

Betreutes Wohnen? Nur am Stadtrand.

Auch Menschen, die betreutes Wohnen suchen, haben wenig Aussicht, eine Wohnung mit annehmbarer Miete zu finden. Ein Betroffener (schwerbehindert und pflegebedürftig) schildert seine Lage: Er lebt mit seiner Ehefrau seit 2005 im betreuten Wohnen. Seine Wohnung ist vergleichsweise zur ortsüblichen Miete als günstig einzustufen. Dazu kommen jedoch die höheren Nebenkosten für die ausführlichere Betreuung und die behindertengerechte Ausstattung der Wohnanlage. Sein Einkommen setzt sich aus Erwerbsminderungsrente, Wohngeld, Pflegegeld sowie Arbeitslosengeld I zusammen. Das Jobcenter versucht die Kosten seiner Unterkunft mit allen Mitteln zu mindern. Er soll mit seiner Frau umziehen – es gibt allerdings keine alternative Wohnung.

Die Eheleute empfinden es als schlimm, ihre gewohnte Umgebung hinter sich zu lassen und sich im neuen Umfeld eingewöhnen zu müssen. Die beträchtlichen Immobilienpreise und Mieten bei betreutem Wohnen belasten die Träger häufig ebenso wie die Mieter. Hinzu kommt, dass derartige Einrichtungen neuerdings immer öfter am Stadtrand gebaut werden. Die betroffenen Mieter müssen beschwerliche, weitere Wege in die Stadt in Kauf nehmen. Erst vor kurzem musste ein Seniorenheim in Berlin Mitte abgerissen werden, um teuren Geschäften und Neubauten Platz zu machen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane von Hopfgarten

Meine Themenbereiche umfassen internationale Politik, Wirtschaft sowie Frauenrechte. Unten ein Link zu meinen Beiträgen auf EditionF.

Juliane von Hopfgarten

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