So tolerant ist Europa

LGBT-Rechte weltweit und insbesondere in Europa stehen auf dem Prüfstand

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Wien ist bunt
Wien ist bunt

Foto: Alex Halada/AFP/Getty Images

In weltoffenen Metropolen gehen Queer-Communities bereits mit gutem Beispiel voran und zeigen, wie es überall aussehen sollte. Das moderne Europa und insbesondere die EU stehen für Multikulturalität, Freiheit und Toleranz. Besonders Aspekte bezüglich der LGBT-Gemeinschaft (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) kommen in den letzten Jahren immer häufiger ins Gespräch und die Gleichstellung ist sowohl gesellschaftlich als auch politisch ein wichtiges Thema. Doch ist die Toleranz in Europa flächendeckend?

Mit dem „Queer“-Begriff gehen innerhalb Europas die Hauptstädte der Schwulenbewegungen mit einher. Direkt denkt man als Deutscher an Köln oder Berlin und bezüglich Urlaubsorten beispielsweise an Gran Canaria. An diesen Orten hat Homosexualität einen festen Platz in der Gesellschaft und ist mitunter kaum mehr wegzudenken.

Städte als besondere LGBT-Hochburgen

In Europa gibt es in vielen Ländern derartige Zentren, die eine langjährige Prägung durch die LGBT-Community erfahren haben. So zählt beispielsweise Amsterdam als „homosexuelle Hauptstadt Europas“ – nicht besonders überraschend, wenn man die allgemeine Liberalität des flachen Landes und die Sex-positive Einstellung der niederländischen Metropole bedenkt.

In vielen weiteren Großstädten Europas gibt es große LGBT-Gemeinden, die sich erhöhter Akzeptanz erfreuen. In über vierzig Städten allein in Deutschland wird alljährlich der „Christopher Street Day“ gefeiert. Die „Berlin Pride“ gehört darunter zu den bedeutendsten Pride-Paraden auf der Welt. Dies fügt sich nahtlos in die grundlegende Weltoffenheit ein, die unsere Hauptstadt ausmacht. Auch München ist eine Hochburg mitten im CSU-konservativen Bayern und bietet besonders im Glockenbachviertel eine unterstützende Gemeinschaft.

Ein Leitbild für den respektvollen Umgang miteinander ist auch Dänemark – die pulsierende Hauptstadt Kopenhagen mit ihren modernen und liberalen Vierteln Vesterbro und der Freistadt Christiania ist ein internationales Vorbild für Toleranz. Die politische Lage in Dänemark ist beispielhaft, was sich im ganzen Land bemerkbar macht: Auch in Aarhus und an den Stränden bei Amager ist jede Orientierung willkommen.

Es gibt noch viele weitere nennenswerte Orte: In London lebt beispielsweise die größte Gemeinschaft von Schwulen und Lesben in ganz Europa. Clubs, Bars und Theaterkollektive bieten ein vielfältiges Programm für Gäste jeglicher sexuellen Ausprägung und sind feste kulturelle Größen der Themsestadt. Ähnliches gilt für die katalanische Hauptstadt Barcelona und die weltbekannte „queere“ Feierszene auf Gran Canaria. Und auf der anderen Seite des Ozeans sind San Francisco, New York, New Orleans, Toronto und São Paulo Paradebeispiele für eine gelungene LGBT-Integration in die Kultur einer Metropole. Die bunte brasilianische Stadt ist Gastgeber des weltgrößten Pride-Umzuges, der mittlerweile jährlich über vier Millionen Besucher verzeichnen kann.

Europa auf dem Toleranz-Prüfstand

Europa ist im Durchschnitt toleranter als andere Kontinente. So landen beispielsweise gleich 13 europäische Nationen auf den zwei höchsten Rängen des Spartacus Gay Travel Index, einer Liste, die alle Länder der Welt anhand ihrer LGBT-Freundlichkeit bewertet. Die drei Top-Plätze teilen sich neben Spitzenreiter Kanada Portugal und Schweden, ebenfalls mit der Höchstwertung von zehn Punkten. Auch die anderen skandinavischen Länder wie das bereits genannte Dänemark und bekannte Reiseziele wie Malta oder Spanien, folgen auf dem Fuße mit nur einem Zähler weniger.

Doch die geographische Nähe und Verbundenheit innerhalb der EU schafft es nicht immer, auch Toleranz zu verbreiten: Polen liegt weit abgeschlagen auf Rang 83, unter anderem gemeinsam mit Botswana und Kasachstan. Wenig überraschend ist auch, dass der Vatikan ebenfalls deutlich unter dem westlichen Durchschnitt abschneidet.

Politische Situation und gesellschaftliche Realität

Auch in Deutschland ist nicht alles so rosig, wie es beim Blick auf die schwulenfreundlichen Metropolen scheint. Die Queer-Gemeinde steht immer noch Anfeindungen und politischen Benachteiligungen gegenüber, die mit der sozialen Akzeptanz in unseren Metropolen selbst nicht mithalten können. Der Gay Travel Index quantifiziert die Summe dieser beiden Faktoren. Nur Länder, in denen sowohl die politisch-rechtliche Situation als auch die tatsächliche Akzeptanz in der Gesellschaft überdurchschnittlich gut sind, landen auf den oberen Plätzen. Aufgrund der konservativen Gleichberichtigungsgesetze bezüglich Transgender und einer noch leicht negativen Grundhaltung gegenüber Schwulen und Lesben schafft es Deutschland so nur in die viertbeste Kategorie.

Alleine die Tatsache, dass bestimmte Städte insbesondere mit LGBT in Verbindung gebracht werden, zeigt, dass es noch Nachbesserungsbedarf im Rest des Landes gibt. Hier muss die Politik ansetzen und beispielhaft Gleichstellung und Akzeptanz für alle garantieren. Doch so lange wir diese Ziele nicht vollständig erreicht haben, sind derartige Orte ein gutes Vorbild. Sie tragen ein positives Bild von Weltoffenheit und Liberalität nach außen, und motivieren weitere Städte, es ihnen gleich zu tun.

Work in Progress

Der internationale politische Fokus auf Gleichstellungs-Themen nimmt immer mehr Fahrt auf und macht Hoffnung auf Besserung. Die Öffentlichkeit ist dazu gezwungen, sich offen mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Diskurse werden weitgehend toleranter, auch wenn religiöse und konservative Stimmen weiterhin dämpfen. So geschieht dies auch im republikanisch regierten Amerika – dennoch wurde selbst dort vor kurzem Jared Polis als Gouverneur von Colorado vereidigt. Der 43-jährige Amerikaner lebt offen als einer der wenigen hochrangigen Politiker in den USA in einer homosexuellen Ehe.

Auf internationaler Ebene hat auch die EU kürzlich der LGBT-Gemeinde den Rücken gestärkt. Letztes Jahr wurde beschlossen, dass EU-Mitgliedsstaaten bei Ermessung des Aufenthaltsrechtes alle rechtmäßigen Eheschließungen anerkennen müssen, auch wenn diese im betreffenden Land nicht geschlossen werden könnten. Dies ermöglicht zwar immer noch nicht die gleichgeschlechtliche Heirat in allen EU-Ländern – Verbesserungsbedarf besteht also noch – aber es ist immerhin ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane von Hopfgarten

Meine Themenbereiche umfassen internationale Politik, Wirtschaft sowie Frauenrechte. Unten ein Link zu meinen Beiträgen auf EditionF.

Juliane von Hopfgarten

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