Trotz Fahrerlaubnis kaum liberaler

Saudi Arabien Saudische Frauen dürfen nun selber Auto fahren. Ihre Rechte wurden damit jedoch kaum gestärkt, ganz zu schweigen vom Frauenbild in der Bevölkerung

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Foto: Fayez Nureldine/AFP/Getty Images

Seit nun einem Jahr (ab dem 24. Juni 2018) ist es der weiblichen Bevölkerung Saudi-Arabiens erstmalig in der Geschichte des Königreichs offiziell erlaubt, sich selbst hinter das Steuer eines Wagens zu setzen oder ihre ausländische Fahrerlaubnis in eine dort gültige umwandeln zu lassen. Für die streng konservative Monarchie des Islams handelt es sich bei dieser Entscheidung um ein epochales Ereignis.

Vor Juni 2018 war es saudi-arabischen Frauen vorgegeben, mit männlichen Verwandten mitzufahren oder einen Chauffeur zu beauftragen. Die Erneuerung des Gesetzes bedeutet für islamischen Frauen nun, frei entscheiden zu können, wann sie fahren möchten, was sie tun möchten und wann Sie zurückkommen möchten. Außerdem bietet die neue Regelung für Frauen die Möglichkeit, neue Berufe wie beispielsweise Chauffeurin zu ergreifen.

Für die saudischen Frauen ist diese Neuerung der Gesetze mit einem wahrgewordenen Traum vergleichbar. Bis vor einem Jahr war Saudi-Arabien das einzige Land der Welt, das Frauen selbstständiges Autofahren untersagte. Der Kampf der saudischen Frauen für das Recht auf einen Platz hinter dem Steuer dauerte mehr als ein Vierteljahrhundert an. Eine demonstrative Fahrt von 47 Aktivistinnen in einem Konvoi durch die Hauptstadt Riad im Jahr 1990 endete mit einer Festnahme.

Vergleichbare Aktionen gab es bereits des „Arabischen Frühlings“, doch auch diese konnten die Gesetze im Königreich nicht beeinflussen. Die Wende kam im vergangenen Jahr durch den Kronprinz Mohammed bin Salman. Dieser startete mit dem Reformprogramm namens „Vision 2030“ einen Versuch, Saudi-Arabien zu modernisieren.

Das Reformprogramm umfasst unter anderem mehr Rechte für Frauen, weshalb das Königshaus im September ein Ende des bislang vorherrschenden Fahrverbots für saudi-arabische Frauen ankündigte. Im Endeffekt handelt es sich dabei um volkswirtschaftliches Interesse, da diese Maßnahme mit einem wichtigen ökonomischen Aspekt verbunden ist. Frauen gelten im saudischen Königreich als gut ausgebildet und werden als kompetente Fachkräfte für den Arbeitsmarkt benötigt.

Demnach war der Umbruch mit großem Jubel verbunden. Die neue Freiheit am Steuer für die saudi-arabischen Frauen galt als Symbol für den Aufbruch des Königreichs in die Moderne. Dennoch ließen die saudischen Behörden bereits Wochen vor dem Stichtag des 24. Juni mehrere Aktivistinnen festnehmen, welche sich für das Recht auf Selbstbestimmung eingesetzt haben.

Unter ihnen auch die 28-jährige saudische Frauenrechtlerin Loujain al Hathloul. Der Kronprinz Mohammed bin Salman will mit diesen Festnahmen die Grenzen der Reformpolitik aufzeigen und auf die Tatsache aufmerksam machen, dass jegliche Veränderungen im Königreich der alleinigen Entscheidungsmacht des Palastes unterstehen. Eigenständige Ansätze werden unterbunden.

Mit dieser Vorgehensweise gegen die Aktivistinnen des Fahrverbots werden die Kernprobleme der saudi-arabischen Reformpolitik ersichtlich. Der 32-jährige Kronprinz möchte sein Königreich zwar in die Moderne führen, jedoch den gesamten Prozess selbst kontrollieren. Die Golf-Monarchien fürchten sich vor nichts mehr, als vor unabhängigen Massenbewegungen, wie jene im Zuge des arabischen Frühlings vor nunmehr sieben Jahren, die zum Fall der Machthaber in Tunesien, Libyen, Ägypten und im Jemen führten.

Der Kronprinz Mohammed bin Salman, nach seinen Initialen häufig nur kurz MBS genannt, möchte ein modernes Königreich, jedoch ohne Demokratie oder Eigenständigkeit seiner Bürger. In diesem Zusammenhang twittert der amerikanische Ex-Diplomat Gerald Feierstein, dass sämtliche Frauen und Männer, die politische Rechte im Land anstreben, verfolgt werden. Der beim Middle East Institute in Washington angestellte Feierstein spricht dabei von einem „neuen illiberalem Modell“.

Im Rahmen dieses neuen liberalen Modells stehen saudi-arabische Frauen nach wie vor in vielen Lebensbereichen in der Abhängigkeit von Männern. Beispielsweise ist es ihnen nur mit Erlaubnis eines männlichen Vormunds wie Ehemann, Vater oder auch Sohn erlaubt, das Königreich zu verlassen. Auch ein Bankkonto einzurichten ist nur mit deren Einwilligung möglich. Sogar für eine Heirat ist die Erlaubnis eines männlichen Verwandten erforderlich. Weitere Reformmaßnahmen, die den saudischen Frauen Vorteile verschaffen könnten, sind nicht vorgesehen.

Die Behörden Saudi-Arabiens möchten vermeiden, dass die neue Fahrerlaubnis für Frauen im Königreich als ein Signal für eine weiterführende Liberalisierung aufgefasst werden könnte. Der Kronprinz Mohammed bin Salman will klarstellen, dass die Freiheit für Autofahrerinnen einzig von der Gnade des Herrschaftshauses ausgeht. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP bezeichnet eine Aktivistin diese Tatsache folgendermaßen: Der Palast gibt, der Palast nimmt. Nach Angaben der US-Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch kam es noch kurz vor Eintritt der neuen Fahrerlaubnis für Frauen zur Festnahme zwei weiterer Frauenrechtlerinnen im Land. Die Regierungspresse stellt die festgenommenen Aktivistinnen dabei als Verräterinnen des Königreichs dar.

Möglicherweise sind diese Maßnahmen nicht zuletzt auch als eine Konzession ans politische Establishment zu verstehen, da die Modernisierungsreform des ehrgeizigen Thronfolgers bei den erzkonservativen Traditionalisten im Land auf starken Widerstand stößt. Insbesondere das rasche Tempo, mit dem die Reformmaßnahmen erwirkt werden, sorgt bei den Fundamentalisten für Aufruhr.

Wenn der Kronprinz seine Macht nicht nur beibehalten, sondern nachhaltig festigen möchte, gilt es vor allem auf diese Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Zwar findet der Thronfolger gerade unter der jüngeren Bevölkerung zahlreiche Anhänger (70% der Bevölkerung sind unter 30), jedoch weiß er genau, dass die Modernisierung des Landes rasch erfolgen muss. Anderenfalls könnten sich seine gesellschaftlichen Gegner gegen ihn wenden und versuchen, das Rad zurückzudrehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane von Hopfgarten

Meine Themenbereiche umfassen internationale Politik, Wirtschaft sowie Frauenrechte. Unten ein Link zu meinen Beiträgen auf EditionF.

Juliane von Hopfgarten

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