Die Auslagerungspolitik der EU

Flucht Während tausende Menschen aufgrund versperrter Fluchtwege sterben, setzt die EU zunehmend auf Auslagerung des Grenzschutzes, um Flüchtende frühzeitig zu stoppen

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Die Auslagerungspolitik der EU

Foto: CSABA SEGESVARI/AFP/Getty Images

Seit dem Kentern eines Flüchtlingsbootes mit fast 500 Menschen, von denen der Großteil starb, vor der italienischen Insel Lampedusa im Oktober 2013 ist einige Zeit vergangen und das Sterben auf dem Mittelmeer hat nicht aufgehört, ganz im Gegenteil: Dieses Jahr kamen laut UNHCR schon mehr als 2.500 Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, ums Leben.

Das liegt vor allem an der Flüchtlingspolitik, auf die sich Kommission und nationale Staats- und Regierungschefs einigen können, abseits der immer wieder scheiternden Verhandlungen über Verteilungskonzepte. Flüchtenden wird der Weg auf europäisches Territorium immer stärker versperrt. Beachtlich ist an den aktuellen Entwicklungen besonders die maßlos gesteigerte Intensivierung der Auslagerung von Migrationssteuerung und Grenzschutz. Mittlerweile nimmt diese nämlich einen entscheidenden Platz in der gemeinsamen Flüchtlingspolitik ein.

Externalisierung - also Auslagerung - ist bei weitem nicht neu, sondern schon seit den 1990er Jahren und dem Start gemeinsamer Visapolitik ein Thema. Im Laufe der europäischen Integration, besonders ab dem Vertrag von Amsterdam, wurde sie in der strategischen Planung der EU-Migrationspolitik ein immer wichtigeres Thema. Mit dem Global Approach to Migration wurde schließlich die Integration von Migrationssteuerung in die Entwicklungspolitik festgelegt. Damit war ein bedeutender Schritt für in den vergangenen Jahren ins Leben gerufene Verhandlungsprozesse getan.

Seitdem folgten verschiedene Programme und Ideen zur Einbeziehung von Herkunfts- und Transitländern in die Migrationspolitik, stets mit Fokus auf Migrationsvermeidung bzw. effektiverer Selektion und der Unterteilung in legale und illegale, also verwertbare und nicht-verwertbare MigrantInnen. Von wirtschaftlichen Anreizen über Unterstützung im Grenzschutz und der Ausbildung von Sicherheitskräften bis zu vorverlagerten Asylverfahren in externen Zentren gab es verschiedenste Konzepte, meist auch mit Umsetzung. Besonders der Rabat-Prozess mit west- und nordafrikanischen Staaten und der Khartoum-Prozess, in den vor allem ostafrikanische Staaten involviert sind, verkörperten bislang die EU-Auslagerungspolitik, die sich durch eine Verschränkung mehrerer Politikfelder kennzeichnet. Besonders Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie entwicklungspolitische und außenwirtschaftliche Aspekte nehmen entscheidende Plätze ein. In diesem Jahr schreitet das Projekt der umfangreichen Auslagerung mit großen Schritten voran. Der Türkei-Deal, der bereits in erschütternder Offenheit das Vorhaben des Endes des individuellen Asylrechts und menschenrechtlicher Prinzipien umfasst, gehört dazu.

Vorverlagerter Grenzschutz und Abschiebungen

In Planung sind jedoch längst weitere Partnerschaften und Programme, die in absehbarer Zeit zur Umsetzung gelangen werden. Involviert sind besonders Staaten vom Horn von Afrika und aus dem Nahen Osten.

Einer der relevantesten Partner ist der Sudan, an dessen Regierung unter anderem „Fahrzeuge, Kameras, Ausrüstung und möglicherweise ein Flugzeug“ geliefert werden soll, zur Verbesserung der „Grenzinfrastruktur“. Der Start dieses Projekts im Rahmen des Better Migration Management ist für Sommer vorgesehen. Der Sudan wird als Dreh- und Angelpunkt des Schleusens und Menschenhandels betrachtet. Aber auch in den Staaten um den Sudan herum ist die EU aktiv um die Migrationserschwerung bemüht und möchte diese erweitern, so z.B. in Eritrea, dem Südsudan, Äthiopien und Somalia. Kriegsverbrecher und Diktatoren stellen auch in der gemeinsamen Migrationspolitik also kein Hindernis für sogenannte Partnerschaften dar. Die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) forcieren die Verneinung menschenrechtlicher Grundsätze, auf die man sich einst einigte, mit dem Ziel, Abschiebungen in die jeweiligen Länder zu steigern und die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden der Verfolgerstaaten auszubauen. So wird an den Khartoum-Prozess angeknüpft, der Ende 2014 begonnen wurde. Für die Hilfe bei der Wohlstandsabriegelung der EU ließe sich auch noch über weitere finanzielle Unterstützung nachdenken.

Außenwirtschaftliche Beziehungen und Rückübernahmeabkommen

Am 7. Juni veröffentlichte die Kommission eine weitere Strategie von Kommissionsvize Timmermann und der Außenbeauftragten Mogherini für Migrationspartnerschaften. Wie gewöhnlich geht es offiziell um Fluchtursachenbekämpfung, tatsächlich aber um Flüchtlingsbekämpfung bzw. Fluchtverhinderung mithilfe der Inklusion von Transit- und Herkunftsländern. Das Abkommen mit der Türkei dient dabei als Vorbild. Besonders am Herzen liegt – auch der Kanzlerin – die effektive Abschottung der Route Libyen-Italien. Anvisiert sind Abkommen mit Jordanien, Libanon (die beiden haben Priorität), Libyen, Tunesien, Niger, Mali, Nigeria, Äthiopien und Senegal. Damit geht es um Herkunfts- und wichtige Transitländer, in denen häufig nicht nur die Aufnahmesituation, sondern ebenfalls die Menschenrechts- und Sicherheitslage katastrophal sind, abgesehen von Konfliktsituationen und repressiven Regimen, die Menschen in die Flucht treiben. Geplant sind Hilfsgelder, Handelsabkommen, Visaliberalisierungen und technische Unterstützung als Tausch für die Migrationsbekämpfung. 8 Milliarden Euro wurden zunächst für die nächsten 5 Jahre veranschlagt. Zudem sollen im Herbst durch „private und öffentliche Investitionen […] bis zu 31 Milliarden Euro zusammenkommen“, laut Investitionsplan von EU-Migrationskommissar Avramopoulos. Weiter spricht er von bis zu 62 Milliarden Euro, die zusammenkommen könnten.

Es ist der EU einiges wert, dass Menschen dort bleiben, wo sie sind. Wer nicht mitmachen will, hat Negativkonsequenzen zu befürchten (z.B. Streichung von Entwicklungsgeldern). Alles, um irreguläre Migration möglichst weit entfernt von der EU zu bekämpfen und Rückübernahmeabkommen zu schließen. Aber – wie es meistens bei solchen Partnerschaften ist - legale Migration soll erleichtert werden, es sollen also auf bestimmte Weise Qualifizierte aus den Ländern abgesaugt und für den eigenen Markt verwertbar gemacht werden.

Halbherzig und unpräzise wird in der Pressemittteilung der Kommission dazu noch geschrieben, dass die EU „die Einführung einer weltweiten Neuansiedlungsregelung unter Federführung der Vereinten Nationen“ unterstützt, die zu einer gerechten Verteilung von Vertriebenen beiträgt und weiteren irregulären Migrationsströmen entgegenwirkt.“ Wie das auch nur ansatzweise funktionieren könnte, wird nicht ausgeführt und ist offensichtlich illusorisch bei Betrachtung der sicherheitspolitisch eingeengten Sicht europäischer Staats- und Regierungschefs so wie federführender EU-Kommissare.

Flüchtlingsbekämpfung gegen die Realität

Externalisierung ist mittlerweile eine führende Strategie zur Steuerung von Migration und Abriegelung (vorverlagerter) Grenzen. Ausgestaltet bedeutet das Flüchtlingsbekämpfung. Das geht auf Kosten von Menschenrechten und Menschenleben. Kennzeichnend ist die Kombination von sicherheitspolitisch motivierter Migrationspolitik und außenwirtschaftlichen Beziehungen. Neben der Bestimmung des Flüchtlings als potentielle Gefahr gilt das Interesse, neoliberale Wirtschaftspolitik inklusive der zugehörigen Konditionalisierungen und Drohungen durchzusetzen.Aber selbst Totalabschottung und ins unerträgliche gesteigerte Selektion nach eigenem Wunsch werden den globalen Realitäten nichts entgegensetzen können.Die migrationspolitische Logik ist fehlgeleitet und auf die Bestimmung einer Gefahr – des Illegalen – ausgelegt. So wird es nie Fluchtursachenbekämpfung und nachhaltige Entwicklungspolitik geben. Die Maßnahmen zur Auslagerung von Migrationssteuerung und Grenzschutz folgen dem Interesse, globale Problemlagen gewinnbringend vom eigenen Radar zu löschen. Und daran wird sich so schnell nichts ändern, weder durch die weiter steigenden globalen Fluchtbewegungen, noch durch Abkommen mit Despoten und Pseudoregierungen zerfallener Staaten wie Libyen, wo die anerkannte und für Verhandlungen eingeplante Regierung nicht annähernd über das ganze Land Kontrolle hat. Auf diese Weise werden Konfliktpotenziale reproduziert, gegebenenfalls sogar erhöht und damit auch die Probleme, die man sich vom Leib halten will.

Zusätzlich wird übrigens schon ein neuer, härterer, einheitlicherer europäischer Grenzschutz geplant, um diejenigen, die weiterhin allen Abschottungsversuchen trotzen können, an den direkten Außengrenzen im Anhang an die Militarisierungstendenzen des Grenzregimes festzusetzen und zurück ins Krisengebiet zu schicken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

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