Die Inszenierung der Sicherheitspolitik

"Gefährder"-Debatte In der Debatte über den Umgang mit „Gefährdern“ wird das dahinterstehende Konzept nicht hinterfragt, dabei zeigt es die Logik sicherheitspolitischer Selbstbehauptung

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Merkel oder Schulz: Wer kann besser abschieben?
Merkel oder Schulz: Wer kann besser abschieben?

Foto: Omer Messinger/Getty Images

Debatten über den Umgang mit „Gefährdern“ sind allgegenwärtig. Stattdessen sollte das dahinterstehende Konzept infrage gestellt werden. Schließlich handelt es sich nicht um eine rechtliche Kategorie, sondern ein kriminalpolizeiliches Konzept, das zur Einstufung potentieller Sicherheitsrisiken aufgrund von Wahrscheinlichkeitsannahmen dient. Das Konzept veranschaulicht die Logik sicherheitspolitischer Selbstbehauptung.

Die Allgegenwärtigkeit von Gefährdern im sicherheitspolitischen Diskurs

In den TV-Duellen und Wahlkampfdebatten, bestückt aus einem überschaubaren Fundus an PolitikerInnen und ModeratorInnen, ist das Thema des Umgangs mit sogenannten Gefährdern fester Bestandteil. Parteiübergreifend wird Stellung bezogen und in großer Einigkeit für ein hartes Vorgehen plädiert. Spätestens seit dem Anschlag Ende 2016 am Berliner Breitscheidplatz ist diese Debatte allgegenwärtig. Die Behörden bräuchten mehr Befugnisse, um gegen die berüchtigten Gefährder vorzugehen. Schließlich sei doch Anis Amri – der Täter des besagten Anschlags – als ebensolcher bekannt gewesen.

Der Name Amri ist die argumentative Basis für Forderungen nach erweiterten staatlichen Repressionskompetenzen. Im Mai beschloss der Bundestag den Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, der u.a. vorsieht, sogenannte Gefährder leichter in Abschiebehaft nehmen zu können und sie zum Tragen einer elektronischen Fußfessel zu verpflichten (siehe BT-Drucksache 18/11546). Darüber hinaus wurde im bayrischen Landtag der Beschluss gefasst, Gefährder unbegrenzt einsperren zu können. Bislang bestand diese Option der Präventivhaft je nach Bundesland zwischen zwei und 14 Tagen. Unterdessen steht den Staatsschutzbehörden seit diesem Sommer eine neue Software namens RADAR-iTE zur Verfügung, die die Einstufung der Gefährlichkeit von Personen optimieren soll.

Besonders die Möglichkeit der Abschiebung von als Gefährdern eingestuften Menschen findet seit diesem Jahr vermehrt Anwendung. Für diese Form der präventiven Abschiebung gab es reichlich juristische Bestätigung vom Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht. Das Aufenthaltsgesetz lässt die Abschiebung von Personen, die „nachweislich eine besondere Gefahr“ darstellen und keinen deutschen Pass besitzen, jedoch schon länger zu (AufenthG §58a). Von den mehr als 600 als Gefährdern eingestuften Personen (größtenteils potentiellem islamistischem Terrorismus zugeordnet, siehe BT-Drucksache 18/11369) beträfe das circa 220 Personen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) präsentiert Zahlen, das Bundesinnenministerium (BMI) schlägt öffentlichkeitswirksam Alarm: Präventivhaft, Abschiebungen, Fußfesseln. Aber auch die Gegner restriktiver Maßnahmen berufen sich auf den Fall Amri und vor allem nehmen sie alle das Konzept des Gefährders unhinterfragt als gegeben. Gefährder gibt es also und sie sind ein riesiges Sicherheitsproblem – so ist es lagerübergreifend zu verstehen. Damit lässt sich im Mindesten wundervoll Wahlkampf betreiben. Allerdings ist diese Anbiederung an eigens geschürte Sorgen äußerst problematisch.

Was ist ein Gefährder?

Bei Gefährdern handelt es sich um ein Konzept der polizeilichen Verfolgung politisch motivierter Kriminalität, ohne gesetzliche Verankerung. Men-schen werden aufgrund sicherheitsbehördlicher Annahmen als Gefährder eingestuft. Nach polizeifachlicher Definition ist ein Gefährder eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO (Strafprozessordnung), begehen wird.“ (BT-Drucksache 18/11369, S. 2). Eine Arbeitsgemeinschaft der BKA- und LKA-Leiter legte diesen Begriff 2004 fest.

Was ein Gefährder ist, bleibt abstrakt; derzeit ist der Begriff vor allem gebräuchlich, wenn von (islamistisch-) terroristischen Bedrohungen die Rede ist. Juristisch sind diese Menschen unschuldig; es gibt keine Beweise, die eine Anklage oder Verurteilung bedeuten könnten; es gibt ja auch keine Tat. Der Rechtsstaat kann diese Personen nicht traditionell bekämpfen – möchte es aber. Und dazu befähigt er sich immer ausgeprägter.

Wer macht Menschen zu Gefährdern?

Diejenigen, die bestimmte Tatsachen bestimmen, die einen Menschen zum Gefährder machen und Maßnahmen der Gefahrenabwehr einleiten, sind die Kriminalpolizeien. Die Zuständigkeit verteilt sich je nachdem, wo ein solcher potentiell politisch motiviert Krimineller wohnt. Grundlage der Einstufung sind – sehr vage – alle Informationen, die der jeweiligen Polizeibehörde vorliegen. Und mit dem schon erwähnten neuen Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE soll die Einstufung objektiviert werden.

Die Gefährder-Einstufung ist eine subjektive Maßnahme, die durch Erfassung von Wahrscheinlichkeitsanhäufungen objektiviert werden soll. LKA umd BKA quantifizieren diese Wahrscheinlichkeitsannahmen in veröffentlichten Statistiken, die als Argumentationsgrundlage für politisches Handeln dienen. Diese Statistiken dienen wiederum als neue Grundlage der Gefährder-Einstufung: Sie geben in der inneren Logik des Gefährder-Konzepts Aufschluss darüber, welche Faktoren es wahrscheinlicher machen, dass eine Person potentiell straffällig wird. Die Gefährder-Einstufung erfolgt in Form der Definition einer Abweichung von einer gesellschaftlichen Norm des Ungefährlichen. Es wird ein bestimmtes Raster erstellt. Wenn eine Person die Merkmale a, b und c aufweist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie d tun wird, weil in der Vergangenheit ein bestimmter Anteil der Personen, die d getan haben, die Merkmale a, b und c aufwiesen.

Die Praxis des Rasterns reproduziert letztlich einen bestimmten Gefährdertypus, da in den Ermittlungen der Fokus auf bestimmte Merkmale gelegt wird. In Zeiten, in denen islamistischer Terrorismus Sicherheitsdiskurse dominiert, ist daher auch zu erwarten, dass aufgrund der Verflechtung von Risikofaktoren besonders viele islamistische Gefährder identifiziert werden. Die Fokussierung auf (präventive) Gefahrenabwehr im Bereich des islamistischen Terrorismus legt nahe, dass bei den Ermittlungen das Hauptaugenmerk auf Merkmalen wie Religionszugehörigkeit, Herkunft und Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppierungen und Vereinen liegt. Auch wenn für die tatsächliche Einstufung als Gefährder noch bestimmte Verhaltensweisen als Merkmale vorzufinden sein müssen, fallen in das Ermittlungsraster zunächst Merkmale, die (nett formuliert) den Verdacht des Racial Profiling bzw. der Ethnifizierung in der polizeilichen Praxis aufkommen lassen.

Die Logik sicherheitspolitischer Debatten

Der islamistische Gefährder nimmt seinen Platz in der sicherheitspolitischen Debattenführung nicht grundlos ein: Maßnahmen in diesem Politikfeld müssen schließlich mit der Störung der Ordnung gerechtfertigt werden. Die Ordnung wird durch ein Äußeres gefährdet – durch Verbrecher, Strafttäter. Aber auch durch Andersdenkende, andere kulturelle Prägungen. Analytisch betrachtet ist für Populismus in der ideologischen Dimension ein Volk-Eliten-Gegensatz konstitutiv. Diese Dimension ist für Sicherheitspolitik ebenso konstitutiv, bloß als Volk-Sicherheitsrisiko-Gegensatz. Das Äußere, Gefährliche, kommt so dann häufig in Gestalt von Migration. Das greift bei der gegenwärtigen Gefährder-Logik hervorragend. Und so kann in sicherheitspolitischen Diskursen – im Sinne populistischer Diskurspraxis – dramatisiert und emotionalisiert werden. Es werden Ängste geschürt, um Zustimmung für die eigenen Belange zu generieren. Und die eigenen Belange sind Kompetenzsteigerungen für staatliche Repressionsorgane.

So sehr es große, zukunftsrelevante Themenkomplexe gibt, mit denen sich (auch in Wahlkampfzeiten) auseinandergesetzt werden sollte, spätestens im Wahlkampf dominieren immer wieder populistische, sicherheitspolitische Gefährdungskonstrukte. Und so streiten sich Merkel und Schulz im nervtötenden TV-Duell vorwiegend darum, wer besser abschieben kann. Und immer muss es auch um Gefährder gehen. Schließlich war Anis Amri ja einer.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

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