Die Strategie heißt Abschottung

EU-Türkei-Gipfeltreffen Mit den bisherigen Ergebnissen der Verhandlungen zwischen EU und Türkei wird der Kurs der Abschottung und Abschaffung des individuellen Asylrechts fortgeführt.

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Die Strategie heißt Abschottung

Foto: Dan Kitwood/Getty Images

Die Verhandlungen zwischen EU und türkischer Regierung über Regelungen zur Verhinderung der Flucht auf EU-Territorium laufen nun schon seit Oktober. Am Dienstag sollte es mal wieder bahnbrechende Beschlüsse geben. Die Türkei reiht sich als Verhandlungspartner ein in die Reihe west- und nordafrikanischer Regime, mit denen im Rahmen des Rabat-Prozesses verhandelt wurde und ostafrikanischer Staaten (aber auch z.B. Ägypten), mit denen im sogenannten Khartoum-Prozess verhandelt wird, alles mit dem Ziel der Externalisierung von Migrationskontrolle: Offenkundig unangenehme Regime, ein Mindestmaß an Autoritarismus herrscht vor, Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Pressefreiheit ist – nett gesagt – eingeschränkt und all diese Staaten scheinen als Verhandlungspartner unumgänglich zu sein.

Und alles im Sinne des Ziels, Migrationsbewegungen einseitig drastisch zu reduzieren – was explizit an den Seegrenzen noch nicht im Sinne der EU funktioniert. Nach dem erneuten Gipfeltreffen von EU und Türkei rückt noch deutlicher zum Vorschein als bisher: Die einzige tatsächliche flüchtlingspolitische EU-Strategie ist die Abschottung, wohingegen es um das individuelle Asylrecht immer schlechter steht. So müssen Menschen auch getrost einem Staat (in diesem Fall der Türkei) überlassen werden, in dem Menschenrechte offensiv missachtet werden. Es passt ja auch ins flüchtlingspolitische Profil der Union.

Keine Menschenrechte, kein Flüchtlingsschutz

Die türkische Regierung stellte in den Tagen vor dem Gipfeltreffen das europäische Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen mal wieder auf die Probe – abgesehen davon, dass dieses Schweigen bezüglich der andauernden und verschärften Repressionen für Oppositionelle und der Bekämpfung der kurdischen Bevölkerung reibungslos funktioniert: Die Stürmung der Zeitung Zaman durch die türkische Polizei löst zwar Empörung aus, schwächt aber keineswegs die Verhandlungsposition der Türkei. Da mag noch so viel über die „Gleichschaltung der Presse“ geschimpft werden.

Schon bevor türkische Grenzschützer kürzlich 9 Menschen erschossen, die in die Türkei wollten, prangerte Amnesty International die Erschießung und Verletzung flüchtender Menschen, die versuchten, die Grenzen zu überqueren, an. Das brutale Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte ist also auch nicht neu, und doch kam es kurz vor dem Gipfel erneut schockierend zum Vorschein.

Was ebenfalls im Vorfeld für strategisches Umdenken der europäischen Verhandlungsakteure hätte führen können, sind die Verlautbarungen aus der Türkei, auf Rückübernahmeabkommen der EU mit der Türkei ebensolche Abkommen zwischen der Türkei und Herkunftsländern Geflüchteter folgen zu lassen. Die schon lange anhaltende Planung über ein europäisch-türkisches Rückübernahmeabkommen wird nicht so einfach gebremst.

Wenn die Türkei mit Herkunftsländern (die Rede ist von 14 Stück) Rückübernahmeabkommen schließt, wird der Schutzanspruch flüchtender Menschen noch massiver negiert als ohnehin schon, denn so könnten diejenigen, die aus EU-Staaten in die Türkei abgeschoben werden, direkt weitergeschoben werden – nach Syrien, Afghanistan, Eritrea, Sudan oder sonstwohin in Krisen- und Kriegsregionen. Schon jetzt erhalten Geflüchtete in der Türkei keinen dauerhaften Schutz garantiert. Laut Pro Asyl-Rechtsgutachten dient das „türkische Asylgesetz nicht der Anwendung der GFK". Und schon vor dem Gipfeltreffen im November waren illegale Rückführungen nach Syrien Normalität ebenso wie die Masseninhaftierung von Geflüchteten.

In diesem Kontext fanden bisherige Verhandlungen zwischen EU und Türkei statt und das ist der Kontext künftiger Verhandlungen. Sie bedeuten nichts Gutes für den politischen Zustand der EU und für Geflüchtete.

Die Verhandlungen

Endgültige Abmachungen gibt es weiterhin nicht, nur weitere Vorhaben und Forderungen wurden geäußert und werden jetzt als Ergebnisse präsentiert. Der nächste EU-Gipfel am 17. und 18. März ist also der nächste Termin, auf den der Blick gerichtet werden muss. Die Umsetzung des Aktionsplans von November ist ein zentrales Thema. Hervorgehoben ist seither, dass die Türkei 3 Milliarden Euro Finanzhilfe bekommt, wenn es die EU-Außengrenze in der Ägäis effektiv schützt, mit der griechischen Marine und nun auch mit Nato-Unterstützung. Nun fordert die Türkei weitere 3 Milliarden Euro bis 2018. Aber schon heute setzt die Türkei EU-Forderungen teilweise fleißig um, wie sich an der aktiven Verhinderung von Überfahrten in die EU zeigt.

Die jetzt geäußerten Umverteilungspläne konkretisieren die Etablierung neuer Mechanismen der Migrationskontrolle und –abwehr, indem die Türkei irreguläre MigrantInnen von den griechischen Inseln zurücknimmt (Kosten trägt die EU) und im Gegenzug die EU „für jeden zurückgebrachten Menschen einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling legal“ aufnimmt, was als Eins-zu-Eins-Formel bezeichnet und von der EU-Verhandlungsführung als Ende irregulärer Migration in die EU zelebriert wird. Großzügig hält die Bundeskanzlerin „es für möglich, dass die EU die geplante Vereinbarung mit der Türkei über syrische Flüchtlinge auf Iraker ausdehnt.“ Das ist eine üble Verneinung des individuellen Asylrechts, wenn derart selektive Mechanismen etabliert werden.

Der quasi-humanitäre Teil der Verhandlungen – nämlich die finanziellen Hilfen für Griechenland (und andere betroffenen Außengrenzstaaten wie Italien) - ist ein Nothilfe-Paket, das bis 2018 ein Volumen von 700 Millionen Euro haben soll; für dieses Jahr sollen es 300 Millionen Euro sein. Im Kontext der Sorge vor einer humanitären Krise in Griechenland wird mal wieder Entschlossenheit suggeriert bezüglich der im vergangenen Jahr beschlossenen Umverteilung von 160.000 Geflüchteten aus Italien und Griechenland. Bisher sind nicht einmal 1.000 Menschen im Rahmen dieses Kontingents verteilt worden und eine erhöhte Bereitschaft in den Mitgliedstaaten zeichnet sich nicht ab.

Im Kontext von Kontingenten, mangelnder Solidarität und Binnengrenzschließungen findet sich der Traum von der Rückkehr zu einem funktionierenden Schengen-Raum in Verbindung mit effektiverem Außengrenzschutz. So solle bis Ende des Jahres wieder ein Schengen-Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen bestehen. Da das schon allein vielen EU-Staaten nicht gefällt mit Blick auf Migrationsbewegungen, wird gleichzeitig über mehr Außengrenzschutz geredet, der Kernstrategie oder auch einzigen Strategie europäischer Flüchtlingspolitik.

Frontex soll mehr Grenzschützer anfordern, Europol soll verstärkt gegen Menschenschmuggel kämpfen und an der Schließung der Balkanroute soll sich offenbar nichts ändern, auch wenn auf Forderung Merkels nicht von „geschlossenen“ Grenzen gesprochen wird; sie kritisierte die nationalen Alleingänge ja. Stattdessen sind die irregulären Bewegungen „zu einem Ende gekommen“. Dass dies im Kontrast zum Wunsch eines funktionierenden Schengen-Raums steht, muss wohl kaum erläutert werden. Dass Frontex an der mazedonischen und albanischen Grenze bei der Abschottung helfen soll, konkretisiert nur Entwicklungen der Grenzabschottung.

Im Zuge der geplanten Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger wird auch von EU-Beitrittsverhandlungen gesprochen; das erscheint eher wie eine formale Notwendigkeit ohne mittelfristige Bedeutung. Von Seiten der Türkei muss diese Forderung gebracht werden, wird aber im Gegensatz zum Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen nicht eine tatsächliche Bedingung für den Verhandlungsverlauf darstellen. Der EU-Standpunkt dazu ist bis auf weiteres, die Türkei als strategischen Partner zu handhaben.

Die Folgen: Abschottung ja, Asylrecht nein

Jetzt wird besonders von Angela Merkel hervorgehoben, man habe endlich legale Aufnahmemechanismen in Aussicht. Jedoch als Tauschgeschäft für massenhafte Rückschiebungen. Menschen werden immer noch auf die gefährlichen Seerouten getrieben, sie werden sich eventuell wieder verschieben, mehr nicht. Und außerdem – das scheint manch einem nicht mehr bewusst zu sein – sind nicht nur SyrerInnen auf der Flucht. Legale Wege nur für SyrerInnen bedeuten einfach nur noch massivere Selektion und pauschale Abweisung.

Es bleibt dabei: Die einzige flüchtlingspolitische EU-Strategie heißt Abschottung und vom individuellen Asylrecht hat man sich verabschiedet. Und seien pauschale Rückweisungen noch so rechtswidrig. Menschen müssen das Recht und die Möglichkeit haben, auf europäischem Boden Asyl zu beantragen. Dieses Recht wird mit den Ergebnissen des Gipfeltreffens vom 7. März nicht nur in Frage gestellt, sondern abgelehnt.

Ein funktionierender Schengen-Raum steht nicht in Aussicht. Nach der Schließung der Balkanroute werden sich die Wege nur erneut verschieben, denn trotz jeglicher Abschottung werden Menschen die Überfahrt auf EU-Territorium überleben. Und was geschieht dann? Weitere Staaten schließen ihre Grenze? Das ist jedenfalls wahrscheinlicher als die Zukunft eines Europas der Freizügigkeit. Und gegen den großen Feind der EU – die Schlepper – ist damit überhaupt nichts ausgerichtet. Es kann nur immer wieder betont werden: Restriktive Grenzpolitik begünstigt bzw. verursacht die Notwendigkeit von Fluchthilfe und letztlich eben auch von organisiertem, kommerziellen Menschenschmuggel.

Es werden politische Illusionen verfolgt, allen voran die einer EU, die von globalen Problemlagen nur das wahrnimmt, was sie will. Wenn Migration auf europäischer Ebene thematisiert wird und Innenministerien die entscheidende Rolle bei Verhandlungen tragen, werden einfach innenpolitische Konzepte miteinander konfrontiert – nationale, innenpolitische Konzepte. Eine europäische Lösung kann daraus nicht erwachsen. Mit der einseitigen innen- und sicherheitspolitischen Brille werden die Differenzen europäischer Migrationspolitik mit den Menschenrechten nicht ab-, sondern ausgebaut. Der Aufbau des Hotspot-Systems in Italien und Griechenland gilt als unumstößlich richtiger Weg, trotz oder wegen aller Mängel bezüglich Asylverfahren und Menschenrechten und das massenhafte Sterbenlassen im Mittelmeer soll stillschweigend auch andauern. Einen Tag vor dem Gipfel ertranken mindestens 25 Menschen in der Ägäis.

Und als nächstes dürfen dann womöglich weitere Drohnen in der Migrationskontrolle mitwirken. Aufspüren, aufgreifen, zurückschieben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

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