Die Unausweichlichkeit der Wiederwahl

Donald Trump Die Neuauflage der Präsidentschaft Trumps steht bevor. Seine verbalen Eskapaden sind dafür nicht schädlich, sondern fördernd. Eine affekttheoretische Annäherung

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Foto: Mark Wallheiser/Getty Images

Donald Trump hat es wieder geschafft: Am Unabhängigkeitstag zog er wie so oft die geballte öffentliche Empörung der liberalen Öffentlichkeit und Medienlandschaft auf sich und damit viel Aufmerksamkeit. Man wirft ihm mal wieder Spaltung des Landes vor, ja eine Militarisierung der friedlichen Feierlichkeiten. Aber genau diese Momente mit breiter und aufgeregter öffentlicher Rezeption sind es, die er – vermutlich bewusst – ständig erzeugt, mit denen er seine Wiederwahl zum Präsidenten der USA absichert.

Die Einschwörung der stolzen Nation

Zwei Panzer flankierten die Bühne, von der Trump zu den in nationalistisch-stolzer Feierlichkeit badenden Massen sprach, als Monumente der expressiven Macht. Kampfflugzeuge flogen über das schaurige Geschehen. In seiner patriotischen, man kann es ruhig passender benennen: martialisch-nationalistischen Rede, rief der Präsident, gestützt durch die Kulisse, dazu auf, zum Militär zu gehen. In der Zeit wurde nicht zu Unrecht von einer „militärische(n) Machtdemonstration“ geschrieben.

Der Stolz der Nation – so das unmissverständliche Narrativ der Rede – fuße auf dem Militär als Triebkraft der US-Geschichte und als Quell des Heroischen, das Trump auch auf seine Person bezogen vor sich her trägt. Er predigt Einheit, schwört das Volk ein, versteht, den einigenden Bezug zu Gott herzustellen, erzählt vom gemeinsamen Traum, von den besten Soldaten auf der Erde. Sind diese die menschlichen Stellvertreter Gottes auf Erden? Diese Erhabenheit will er zumindest evozieren. Es ist eine Einschwörung der Nation auf Zusammenhalt, eine Einschwörung auf Trump, es ist eindrucksvoller Wahlkampf.

Die Vorwürfe und die Empörung sind laut und stark. Und ja, dieses Auftreten ist ein Bruch: Die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag sind normalerweise ein nationalistisches, groteskes Happening ohne Präsidenten, man redet es sich unpolitisch (was es in keinster Weise ist). Trump lässt eine neue Zeit anbrechen. Und genau darin steckt erneut eines der geschickten affektiven Spiele, die ihn so erfolgreich machen.

Trumps politisches Agieren ist grundsätzlich höchst affektiv, und es ist auch affizierend, weckt also bei seinem Publikum, zu dem auch wir gehören, tiefsitzende Affekte. So stößt er auf enorme, oft hysterische Ablehnung, aber so sichert er sich auch den politischen Erfolg. Das wird keiner der unzähligen demokratischen PräsidentschaftskandidatInnen verhindern können. Was macht ihn im Sprachspiel und seinem gesamten körperlichen Auftreten so stark?

Affekte und Politik

Der Philosoph Brian Massumi befasste sich in den 1995 bei der Konzeption seiner Affekttheorie im Aufsatz The Autonomy of Affect kurz mit Ronald Reagan. Massumis Gedanken zu diesem erzeugen sogleich Assoziationen zu Trump. Auch bei Reagan waren verbale Ausfälle und völlig inkohärente und abstruse geäußerte Gedankenmuster an der Tagesordnung und Ausgangspunkt für Gelächter, Witze und permanente, trashige Berichterstattung. Aber auch er wurde zweimal gewählt. Massumi erklärt, dass er gerade aufgrund, nicht trotz seiner zur Schau gestellten Unfähigkeit und Untauglichkeit so erfolgreich war. Reagan vertrat kein ideologisches Projekt, erzeugte aber ideologische, bündelnde Effekte. Seine Mittel waren affektiv. Dabei geht es nicht um Identifikationsprozesse und emotionale Verbundenheit. Reagan und Trump eint – gestützt durch eine gewisse Schwachsinnigkeit – die Politisierung ihrer Mimik und Ausdrucksweise, ihrer argumentationslosen Argumentation. Ja, Trump ist unqualifiziert und hat keine Agenda. Aber was in seinem Auftreten geschieht, ist die Übertragung von Bildern, besonders die mediale Übertragung und Vermittlung seines Auftretens. Über die Medien als Nervensystem vermittelt, reagieren die Körper der Menschen. Wir müssen nicht über politische Programmatik reden, sie spielt kaum eine Rolle.

Stimmungen oder hintergründige Grundaffekte, Matthew Ratcliffe spricht von existenziellen Gefühlen, die sich nicht auf konkrete Objekte beziehen, strukturieren vorbewusst unsere Handlungen vor, sie bestimmen, wie wir uns affektiv in der Welt verorten. Massumi erklärt, dass unsere physiologische Reaktion auf Bilder oder Darstellungen eine Lücke zwischen Inhalt und dem Effekt des Bildes verweist. Der Affekt steckt in der Intensität, also der Stärke und Dauer des Effekts. Die Intensität ist die Veränderung eines Zustands. Körper affizieren andere Körper und werden affiziert. Wir sprechen umgangssprachlich davon, jemanden zu reizen. Affekte sind Gefühle, bevor sie wahrnehmbar sind. Der Affekt verweist auf eine Lücke zwischen der bewussten Entscheidung, etwas zu tun und der tatsächlichen Entscheidung. Zwischen dem Beginn eines körperlichen Ereignisses und dem nach außen tretenden Ausdrucks gebe es eine fehlende halbe Sekunde, in der ungreifbar viel passiert, ungreifbar viele automatische körperliche Reaktionen, die abseits unseres Bewusstseins stattfinden.

Das Auftreten und der Ausdruck Donald Trumps bedienen genau dieses Feld der tiefsitzenden Affekte. Die Sympathie für ihn ist kaum erklärbar durch inhaltliche Herleitungen. Wie er die stolze Nation anspricht macht den Unterschied.

Twitter als Nervensystem politischer Mobilisierung

Trump auf Twitter ist der Schlüssel zu seinem Erfolg. Er versteht wie kein zweiter den Umgang mit Floskeln und reizenden Begriffen, die sich durch ständige Wiederholung einbrennen und sein Wir gegen den Rest der Welt kanalisieren und festigen. Die affektive Gemeinschaft wird mobilisiert. Donald Trump transformiert Twitter zum Nervensystem politischer Mobilisierung. Ein Tweet vom 11. Juli 2019 bringt sein Verständnis politischer Kommunikation und Mobilisierung auf den Punkt:

„The Fake News is not as important, or as powerful, as Social Media. They have lost tremendous credibility since that day in November, 2016, that I came down the escalator (…). When I ultimately leave office in six years (…), they will quickly go out of business for lack of credibility (...)“.

Er inszeniert die dauerhafte Polarisierung von Fake News und The Real Donald Trump. Twitter dient als neues Medium der Vermittlung zwischen Körpern, das von niemandem im politischen Betrieb bislang so effektiv genutzt wurde. Und ja, es mag daher wohl stimmen, wenn er anmerkt: „Many are saying I‘m the best 140 character writer in the world“. Besonders das Framing rund um Fake News hat affizierende Kraft zur Konstitution einer Gegenöffentlichkeit, nämlich der des wahren Amerika, gegen das falsche elitäre Amerika des etablierten Mediensystems. Trump kann sich als Kämpfer für die Wahrheit inszenieren, gerade wenn der gehasste Feind ihn ausnahmsweise mal nicht kritisiert oder ihm widerspricht: „The Economy is the BEST IT HAS EVER BEEN! Even much of the Fake News is giving me credit for that!“ (Tweet vom 2. Juli 2019). Seine superlativen Eigenbezeichnungen tun ihren Teil zum Erfolg des Präsidenten: „My I.Q. is one of the highest – and you all know it!“, „I will be the greatest job-producing president in American history“. Er macht Dinge nicht einfach gut, er ist grundsätzlich der Beste. Und außerdem: „I am least racist person there is“. Wer so genial ist, ist natürlich auch der beste Problemlöser: „Nobody but Donald Trump will save Israel“, „Nobody knows jobs like I do“, ISIS is still running around wild. I can fix it fast“. Und er weiß mit Vorwürfen umzugehen: „Nobody has more respect for women than Donald Trump!“.

Wer Twitter versteht, braucht keine Argumentation und keine Dekonstruktion der gegnerischen Vorwürfe. So ist Klimawandel einfach ein Projekt der Gegner: Er sei eine „expensive hoax!“, „total hoax!“, „bullshit“, „fictional“, „based on faulty science and manipulated data“. So schwört der Präsident das Volk auf sich ein, formt eine Gemeinschaft, eine affektive Gemeinschaft. Wichtig ist aber auch, dass er dieses Schauspiel mit übertriebener Machtdemonstration paart; Machtdemonstration, die keinen weiteren Zweck hat, als sein superlatives Ego zu festigen. Dazu gehört der von ihm versprochene und umgesetzte Handelskrieg mit China, sowie die Ambivalenz im Umgang mit dem Iran. Auf Twitter gibt es die harten Töne, die er in der Umsetzung dann nicht zu vollziehen mag. Aber was bleibt, was wirkt, sind seine großgeschriebenen Buchstaben. Am 23. Juli 2018 schrieb er bereits:

To Iranian President Rouhani: NEVER, EVER THREATEN THE UNITED STATES AGAIN OR YOU WILL SUFFER CONSEQUENCES THE LIKES OF WHICH FEW THROUOUT HISTORY HAVE EVER SUFFERED BEFORE.“

Auf Twitter ist er der entschlossene, harte Verteidiger der Nation, der die mächtige Stellung in der Welt hält und jederzeit zu großen Machtdemonstrationen bereit ist. Dieses Jahr folgten umfangreiche Erklärungen zum Verhältnis zum Iran, beinahe in militärische Auseinandersetzungen (bzw. klassischen Krieg) mündend.

Eine beeindruckende Twitter-Geschichte verfolgt Trump auch bezüglich des Verhältnisses zu Nordkorea. Er präsentiert sich als affektiver Diplomat der besonderen Art. Zuletzt schrieb er durch Affektpolitik große Geschichte. Am 3. Januar 2018 hieß es noch:

Kim Jong Un just stated that the „nuclear Button is on his desk at all times.“ Will someone from his depleted and food starved regime please inform him that I too have a Nuclear Button, but it is a much bigger & more powerful one“.

Per Tweet erzeugte er nun einen historischen Moment, indem er, als er gerade in Japan war und einen Besuch in Südkorea anstehen hatte, Kim Jong-Un per Tweet vorschlug, man könne sich doch treffen, an der Grenze, nur um mal Hallo zu sagen. Und Kim sagte zu. So standen sie in Panmunjom, der entmilitarisierten Zone. Und dann überschritt er die Grenze, betrat nordkoreanischen Boden. Als erster amtierender Präsident.

Die Wiederholung des Absurden

Das absurde Ereignis der Wahl Donald Trumps wird abgelöst werden vom absurden Ereignis der Wiederwahl. Affektpolitik entscheidet Wahlen, so funktioniert Politik. So funktionieren demokratische Repräsentationssysteme. Der Wiederholung des pompösen Wahlsieges steht nichts im Wege. Die aktuell guten Wirtschaftsdaten helfen gerade für starke Umfragewerte, aber wenn diese kein Thema mehr sind, wird er weiter vorne liegen.

Ähnlich verhält es sich mit Boris Johnson, der Ende Juli zum Premierminister Großbritanniens wird. Er ist größenwahnsinnig und verbreitet sinnlos Optimismus, der Brexit wird kommen, ohne Deal, kein Problem. Denn wie die USA für Trump ist Großbritannien für Johnson der schönste und wichtigste Platz auf der Erde. Und er der richtige Mann, um es zu großem Ruhm zu bringen. Ja, das ist alles unfassbar frustrierend und beängstigend.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

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