Immer noch kein Grund zu feiern

Deutsche Einheit Bei den Einheitsfeierlichkeiten in Frankfurt in wenigen Tagen wird es auch Protest geben, um zu zeigen, dass es nichts zu feiern gibt. Die Gründe liegen auf der Hand

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Proteste gegen den Tag der Deutschen Einheit
Proteste gegen den Tag der Deutschen Einheit

Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Der Tag der Deutschen Einheit steht wieder bevor und die mit ihm verbundenen alljährlichen Feierlichkeiten, die dieses Jahr in Frankfurt stattfinden. Wie jedes Jahr sind große Reden und vor allem Volksfest geplant – sowie der organisierte Protest gegen die Feier. Gründe zum Protestieren und Stören gibt es genug, zumal das diesjährige Motto an Zynismus kaum zu übertreffen ist: „Grenzen überwinden“ lautet die Losung. Besonders angesichts der aktuellen Situation der vielen Flüchtlinge in und um Europa sowie der fortschreitenden Abschottungs- und Abschreckungsmaßnahmen inklusive der Grenzschließung zu Österreich kann das nur ein schlechter Witz sein. Wir können einen europäischen Entsolidarisierungsprozess und erstarkenden Nationalismus – auch in Deutschland – beobachten. Diese Entwicklung wird auch von einem vermeintlich wachsenden Hilfsbedürfnis, das mittlerweile immer mehr nationalistisch ausgeschlachtet wird, nicht in den Schatten gestellt werden. Aber der Stand des ursprünglichen Anlasses des Feiertags – die Wiedervereinigung – sollte einem ebenfalls zu denken geben. Zu groß sind die Differenzen zwischen „West“ und „Ost“, zu unsolidarisch verlief und verläuft der Einigungsprozess, in dem nach 25 Jahren noch nicht einmal das Lohnniveau angeglichen werden konnte. Die Schere zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft wächst stetig, der Niedriglohnsektor gedeiht, die Gesellschaft wird gespalten, Ressentiments werden befeuert, jede und jeder sucht und findet jemanden, der die Schuld an allem hat. Da kommt die Angst vor dem Fremden sehr gelegen. In der fortlaufenden Ausbeutungsoptimierung kann Nationalismus und Rassismus hervorragend gedeihen. Es stellt sich die Frage, welche Einheit am 3.Oktober überhaupt gefeiert wird.

Seit 1990 wird am 3. Oktober als Nationalfeiertag die Wiedervereinigung von BRD und DDR gefeiert. Der Mauerfall, den wahlweise Helmut Kohl, die Scorpions oder David Hasselhoff verursacht haben, war zwar am 9.November 1989, aber das Datum überschneidet sich dummerweise mit der Reichspogromnacht 1938. Da feiert es sich nicht so unverkrampft. Der 3.Oktober ist das von der Volkskammer beschlossene Beitrittsdatum der DDR. Deshalb bestimmt auf eine sehr deutsche Art ein bürokratischer Akt den Nationalfeiertag, auf den diese Republik begründet wird. Eigentlich sollte der Tag wohl eher Tag der Vereinnahmung heißen. Der eine Staat bestand weiter, der andere nicht, er wurde – nett gesagt – eingegliedert.

Seitdem werden eine nicht vorhandene Einheit und ein neues Wir-Gefühl propagiert, das jedes Jahr seine Party bekommt, mit großen Namen aus Landes- und Bundespolitik, Popsternchen und anderen SelbstdarstellerInnen. Politik und Party, ein feuchtfröhliches Dorffest in groß. Da geht es jedes Jahr um Tradition und Werte, um das, was WIR erreicht haben, es wird geprahlt und geheuchelt, über die Wiedervereinigung diskutiert und nostalgiert. Und für die Massen geht es eben um Spaß mit Livemusik, wie 2013 in Stuttgart mit Max Herre, während Winnie Kretschmann vom „Glücksfall“ Mauerfall oder Maultaschen sprach. Niveauvoll. Die Bundesländer präsentieren sich mit Klischées über sich, die sie sich aus den Fingern saugen, und natürlich werben auch Polizei und Bundeswehr für ihre Dienste in und an diesem tollen Land. Nebenbei geht die Polizei – um zu zeigen, was sie drauf hat – hart gegen linke AktivistInnen vor, schon im Vorfeld. Freiheitsentzug, auch das ist Deutschland.

Letztes Jahr in Hannover zogen aus Protest je nach Quelle 3000 bis 5000 Menschen mit Bengalos und Rauchbomben durch die Innenstadt und auf das große Bürgerfest. Nebenbei wurden ein paar Symbole des Systems mit Farbbeuteln attackiert wie die Agentur für Arbeit, auch der Bundeswehrstand wurde gestört. Das war wahrscheinlich die bislang aufsehenerregendste Störung der Einheitsfeierlichkeiten.

Warum werden die Glückseligen nicht einfach in Ruhe gelassen, wenn sie endlich wieder stolz sind? Nun ja, in einem Aufruf zum letztjährigen Protest heißt es: „Gefeiert werde Armut, Ausgrenzung und Leistungszwang, niedrige Sozialleistungen, Schikanen auf dem Amt, Abschottung Europas gegen Flüchtlinge und eine Gesellschaft, deren Wohnungs- und Bildungspolitik an kapitalistischen Interessen orientiert ist. All dies repräsentiere das vereinigte Deutschland“. Das Bündnis, von dem der Aufruf stammt, schrieb zudem: Während im Süden Europas die Gesundheits- und Sozialsysteme zusammengebrochen sind, Menschen wieder an Trivialkrankheiten sterben und massenhaft obdachlos geworden sind, weiß das deutsche Feuilleton zu verkünden, dass die Krise überwunden und die Sparprogramme erfolgreich gewesen seien. Wenn am dritten Oktober wieder einmal fast eine halbe Million Menschen zusammenkommen, um die deutsche Einheit zu begehen, wird mit der nationalen Selbstdarstellung und Selbstbeweihräucherung dieser Sieg über die Menschen gefeiert.“ Ganz genau deshalb wurde das unverkrampfte Deutschsein in Hannover massiv gestört.

Kein Grund zu feiern

Bei diesen Feierlichkeiten, die Millionen Euros kosten und hunderttausende BesucherInnen anziehen, blüht der Nationalismus auf, sowie jedes kleine Event zur nationalistischen Ausschlachtung reicht, sei es der Papst, Lena, Fußball-WM (Sommermärchen 2006 und Wir sind wieder Weltmacht 2014) oder eben der Einheitstag, an dem man so tut, als hätte es eine Wiedervereinigung gegeben. Für die Gebiete der ehemaligen DDR war die Wiedervereinigung fatal, wie immer noch zu merken ist. Statt blühender Landschaften kam die Vernichtung der Betriebe und Arbeitslosigkeit auf die Menschen zu, die vom Bösen befreit wurden. Dummerweise wurde weder nach dem 2. Weltkrieg noch bis heute in irgendeinem der beiden Teile (BRD und DDR) auch nur annähernd die Zeit des Nationalsozialismus überwunden und mit der Einigung ein neuer Patriotismus hervorgerufen, der sich immer häufiger geschichtsvergessen zeigt. Aber selbst der 8.Mai wird mittlerweile zum positiven Bezugspunkt. Deutschland hat nichts gelernt. Dank der Eurokrise ist Deutschlands Vormachtstellung in der EU manifestiert. Die „Flüchtlingskrise“ wird permanent umkonstruiert, Abschottung und Ausgrenzung betrieben, in Menschen erster und zweiter Klasse unterschieden und der Rest Europas gemahnt, doch endlich solidarisch zu sein, während hier der Mob hetzt, Häuser brennen und Menschen gejagt werden, sich in der Bevölkerung der Hass verbreitet. Deutschlands Zustand ist eine reine Katastrophe.

Das Bürgerfest zu 25 Jahren bürokratischer Wiedervereinigung wird dieses Jahr also drei Tage lang in Frankfurt gefeiert; zu den zentralen Feierlichkeiten sind natürlich auch Kanzlerin und Präsident anwesend, sowie ein paar internationale PolitikerInnen. Es werden eine Millionen BesucherInnen erwartet und die Kosten liegen wieder bei mehr als 3 Millionen Euro. Und vor allem ist mit erhöhtem Polizeiaufgebot zu rechnen, da in Frankfurt das Eskalationspotenzial hoch ist, nicht erst seit EZB-Protesten, und die Erinnerungen an Hannover 2014 noch nicht erloschen sind. Der Protest wird aber nicht nur aus dem linksradikalen Spektrum kommen, sondern auch von den Mauerbaufetischisten der Partei DIE PARTEI. Es ist nicht nur eine Demo, sondern auch musikalische Begleitung zu erwarten. Das diesjährige Motto „Grenzen überwinden“ macht Protest angesichts der gegenwärtigen politischen und sozialen Lage ja auch sehr leicht und notwendig. Im Festaktsprogramm werden Cro und Sarah Connor aber hingabevoll und wahrscheinlich dumm-patriotisch gegenansingen.

Wann werden denn die Grenzen überwunden, wie das Motto es prophezeit? Wann werden Menschen hier als Menschen akzeptiert, wann werden grenzen geöffnet, Menschen nicht dem Elend überlassen, Verarmung und Ausgrenzung gestoppt, Rassismus, Patriarchat und Untertanendenken Vergangenheit sein?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

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