Kampf gegen Flüchtende und Menschenrechte

Grenzregime der EU Die Visegrad-Gruppe separiert sich, während EU und Frontex an den Außengrenzen durch die Kriminalisierung von Fluchthilfe letzte Abschottungshindernisse beseitigen.

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Kampf gegen Flüchtende und Menschenrechte

Foto: Christopher Furlong/Getty Images

Die Europäische Union als ein institutionelles Gebilde kann in seiner bisherigen Form nicht fortbestehen, noch weniger sollte von einer Wertegemeinschaft fabuliert werden. Ein überstaatliches Konstrukt mit teils supranationalen Strukturen verkraftet es nicht, mehr und mehr aus nationalistisch regierten Staaten zusammengesetzt zu sein, in denen kollektive Homogenität und nationalstaatliche Souveränität angestrebt und Antagonismen entworfen werden - wie derzeit besonders "die Flüchtlinge", ansonsten die EU an sich oder Angela Merkel, der vorgeworfen wird, gutherzig zu sein, nur weil ihr machtpolitisches Agieren im Umgang mit Geflüchteten rhetorisch nicht von grober Menschenverachtung durchdrungen ist. Im Gegensatz zu den von ihr mitgetragenen Abschottungsplänen an den EU-Außengrenzen; dazu später mehr.

Rechte Separierung innerhalb der EU

Mit der Visegrad-Gruppe - bestehend aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei, also den 4 nationalchauvinistisch und strukturell autoritär am meisten fortgeschrittenen EU-Staaten - hat sich die erste Staatenallianz von rechts innerhalb der EU gebildet. Und sie vergrößern die Allianz um Bulgarien und Nicht-EU-Mitglied Mazedonien, das im Zuge der Abschottung der Balkanroute eines der oder sogar DAS Schlüsselland und für die Achse der EU-Binnenabschottung ein vielversprechender Partner geworden ist.

Diese Gruppe findet ihre Einigkeit durch Isolierungsgelüste. Kürzlich erst verkündete Ungarns Präsident Viktor Orban, nach den Zäunen zu Serbien und Kroatien nun auch einen zu Rumänien errichten zu wollen. Die Visegrad-Staaten versuchen aus Empathie für den Nationalisierungskurs des Anderen eine gemeinsame Haltung und gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlingspolitik zu erlangen - gegen die EU. Und besonders gegen Griechenland, das sie schon letztlich aus der Rechnung gestrichen haben.

Orban bringt Ziel und Feindbestimmung auf den Punkt: Es soll "eine zweite Verteidigungslinie südlich von Ungarn" entstehen. Zur Verteidigung gegen die unbewaffneten Invasoren.

Aber auch wenn diese Staatengruppe im Sinne der Erlangung kultureller Hegemonie sich selbst als alleingelassen und emanzipatorisch gegenüber dem EU-Diktat verkauft und in z.B. Deutschland mit AfD und CSU Freunde im Kampf um ein Europa der Vaterländer findet, muss gar nicht erst vermutet werden, dass die Institutionen der EU weniger Anteil an der Bekämpfung von Flüchtenden und Menschenrechten hätten.

Restriktionen und Kriminalisierung - Kampf der Fluchthilfe

Am Donnerstag und Freitag findet in Brüssel ein EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs statt, bei dem massive Verschärfungen an den Außengrenzen und weitere asylpolitische Exklusions- und Selektionsmechanismen anvisiert werden. Die EU-Kommission liefert im Vorfeld schon die nötige argumentative Grundlage für zu erwartende Beschlüsse: So drängt sie auf die Wiederaufnahme von Dublin-Abschiebungen nach Griechenland (menschenrechtliche Bedenken und Überforderung bei der Aufnahme und Registrierung von Geflüchteten spielen wohl keine Rolle mehr) und die Einstufung der Türkei als sicheren Drittstaat. Diesen Schritt hat Griechenland bereits vollzogen.

Währenddessen wird die Kriminalisierung von Fluchthilfe konkreter: Nach der Militäroperation zur Schleuserkriminalisierung und Fluchtbekämpfung EUNAVFOR MED wird nun ins Detail gegangen. Auf Ägäis-Inseln werden gemeinsame Patrouillen der griechischen Polizei mit Frontexbeamten durchgeführt, deren Aufgabe es ist, Freiwillige und NGO´s, die neu ankommende Flüchtende retten und unterstützen, zu identifizieren und auf ihre rechtmäßige Akkreditierung zu überprüfen. Der Einsatzbereich von Frontex wird damit erweitert - ohne große mediale Skandalisierung.

Dabei wird unmissverständlich gegen humanitäre Hilfe vorgegangen, indem sie erschwert wird. Die griechische Küstenwache lässt Rettungsboote von Hilfsorganisationen nicht die Häfen verlassen, um Menschen in Schlauchbooten beim Erreichen der Küste zu helfen. Nur wenn sie von der griechischen Küstenwache darum gebeten werden, dürfen sie patrouillieren und retten. Trotz vieler Notfälle sind solche Bitten selten. Denn die Rettung ist nicht das Ziel von Frontex und den nationalen Küstenwachen. Ein spanischer Freiwilliger wurde festgenommen, nachdem er Fotos von einem holländischen Frotexboot im Hafen machte. Vorwurf: Spionage.

Rettungsarbeiten für NGOs sind gefährlich geworden. Der Rat der Europäischen Union hat vor, das Schleusen von MigrantInnen mit dem Begriff Menschenhandel gleichzusetzen. Dies wird künftig dazu führen, dass NGO's und Freiwillige, die bei der Rettung, Versorgung und Hilfe von den in Europa ankommenden MigrantInnen aktiv sind, kriminalisiert und sogar verhaftet werden. Was sie betreiben ist aktive Hilfe. Wenn Menschen aus dem Mittelmeer gerettet werden, ist es Fluchthilfe. Leben retten. Für die EU ist es nach der militärischen Kampfansage an organisierte Schlepper und der rhetorisch pauschalisierten Abstempelung von Fluchthilfe als organisiertes Verbrechen die konsequente Kriminalisierung auf dem Weg zur Verhinderung von Fluchthilfe.

Die ungestörte Missachtung der Menschenrechte

Die NGO's und Helfenden wären ja auch unangenehme Zeugen, wenn künftig völkerrechtswidrige Push-Backs (das Zurückweisen von Flüchtenden auf See) zum unverhüllten Alltag werden sollen. Es soll nicht geholfen werden, stattdessen sollen Abschottung und gesteuertes Sterbenlassen ungestört durchführbar sein.

Der im Eiltempo durchgesetzte Nato-Einsatz ist ein unmissverständliches Signal in diese Richtung. Bei dem Einsatz geht es konkret um das Zurückdrängen von Menschen. Und nächste Woche Dienstag gibt es den europäische Polizeikongress in Berlin, mit Frontexchef Fabrice Leggeri. Dann kann erneut über polizeiliche Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Flüchtenden und Behinderung von Helfenden debattiert werden.

Abgesehen von der Funktionsunfähigkeit des Dublin-Systems und der Aussetzung des Schengen-Abkommens offenbart sich das Desinteresse an der Beachtung menschenrechtlicher Konventionen. Sie einzuhalten oder bewusst zu brechen ist eine Sache politischer Opportunität. So kann deren Einhaltung schon gefordert werden, wenn es Staaten außerhalb der EU betrifft. Gleichzeitig lässt sich die EU bei ihrer Mission der militärischen und polizeilichen Vollabschottung aber nicht von solchen Dingen bremsen.

Und im Gegensatz zum Schießbefehl an der nationalen - also nahen - Grenze, lässt es sich von Deutschland aus viel leichter unterstützen, dass im Mittelmeer Menschen in den Tod getrieben werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

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