Keine Zeit für Gelassenheit

Aufstieg der AfD Dem Aufstieg der AfD mit Verharmlosung entgegenzutreten, ist gefährlich und unangemessen. Jetzt muss entschlossen gegen die Wiederholung der Geschichte gekämpft werden.

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Der Aufstieg der AfD bei den Wahlen vom Sonntag fällt noch erheblicher aus, als nach Prognosen zu befürchten war. In allen drei Ländern wird dadurch die Regierungsbildung massiv erschwert, abgesehen davon, dass die Auswirkungen dieses nun auch parlamentarischen Vormarsches des neurechten Sprachrohrs fatal sind. Wenn die gesellschaftliche Entwicklung auf dieser Spur bleibt, wird die Konsequenz bei den nächsten Wahlen zum Beispiel ein falsches Aufeinanderzukommen der CDU und der AfD sein, das in Koalitionen enden wird. Währenddessen werden MigrantInnen, PolitikerInnen und AntifaschistInnen immer häufiger und brutaler angegriffen, Rechtsextreme geben sich als Wahlbeobachter aus.

In den Reaktionen auf die Ergebnisse der Landtagswahlen ist so einiges zu finden,was in der jetzigen Lage überhaupt nicht hilft, sondern unkonstruktiv, beschönigend und blind ist. Beispiel dafür ist die Montagsausgabe der taz, die „85% bleiben cool“ titelt und die rechtschaffenen BürgerInnen hervorhebt, die NICHT AfD wählen. Es ist jetzt schon erwähnenswert, dass es Menschen gibt, die nicht die AfD wählen. Alles andere gebündelt wird der AfD als Gegenentwurf präsentiert und damit der Mainstream und die Einheitspartei, die von AfD und Pegida angeprangert werden, aus dem linksgrünversifften Lügenpressenwirrwarr bestätigt. Bravo.

Eine konservativ-bürgerliche Einschätzung, die Probleme kleinreden will, stammt von Bernd Ulrich bei Zeit-Online, der ein Schema anwendet, das historisch etwas herbeigeführt hat, das im Programm der AfD Sachsen-Anhalt als 12-jährige Unglückszeit abgetan wird. Was stellt er fest, angesichts der Ergebnisse der Wahlen?

Wenn fundamentale Dinge geschehen, dann suchen die Menschen den Weg in die Demokratie und nicht den Weg aus ihr heraus.

Wie bitte? Eine antidemokratische Partei erreicht in drei weiteren Bundesländern zweistellige Ergebnisse und fordert den parlamentarischen Betrieb heraus und dennoch wird an steigender Wahlbeteiligung der Weg in die Demokratie festgemacht? Aber die Verklärung der jetzigen Situation hat in dem Kommentar von Bernd Ulrich noch weitere Höhepunkte:

Das Votum der Wähler zur Politik der Bundesregierung lautet: ja, mit einigen Ermahnungen. Zwei Drittel haben im Durchschnitt der drei Bundesländern für jene Parteien gestimmt, die die relativ liberale Flüchtlingspolitik von Angela Merkel unterstützen oder eine noch liberalere vertreten.“

Grundproblem dieser Aussage: Die Illusion einer liberalen Flüchtlingspolitik, die es in der BRD seit Wiedervereinigung faktisch nie gab und die in den letzten Monaten massiv verschärft wurde; die Abschaffung des individuellen Asylrechts ist nicht liberal. Zudem missachtet der Autor, dass in Sachsen-Anhalt eine CDU um Ministerpräsident Haseloff weiterhin stärkste Partei ist, die dem AfD-Kurs teilweise nicht allzu fern ist und im Lager der Obergrenzbefürwortung angesiedelt ist, also nicht auf der Linie dessen steht, was fälschlicherweise Merkels Politik genannt wird. Die AfD dabei derart zu marginalisieren ist mittlerweile mehr als nur unangebracht.

Neoliberaler Rechtsextremismus

Die Programmatik der AfD ist völkisch und marktradikal. Völkischer Kapitalismus ist in Deutschland ja historisch ein durchsetzungsfähiges Konzept. Rechtsextreme Interessen und industrielle Interessen gehen gerne Hand in Hand und laufen letztendlich auf die Ausgrenzung der Massen hinaus. Die Leute, die zur Macht verhelfen, müssen später dafür büßen. Wenn man den massiven Wahlkampf der AfD beobachtet, scheint es ja auch schon antidemokratische Pakte mit dem großen Kapital zu geben, oder woher kommt das ganze Geld für den Wahlkampf?

FREIE BÜRGER SEIN, KEINE UNTERTANEN, steht ganz oben im neuen Grundsatzprogramm. Aber nein, das ist nicht ernst gemeint, sondern dient nur weiterer Agitation der eigenen Opfer. Stattdessen geht es um mehr Überwachung: Innere Sicherheit über alles. Bloß in die Wirtschaft soll staatlich nicht so viel eingegriffen werden, Wettbewerb soll bessere Leistungen bringen, Erbschaftssteuer abgeschafft werden und Sozialleistungen gekürzt. Die Bekämpfung jeglicher emanzipatorischer Errungenschaften und Forderungen ist fester Bestandteil, auch Abtreibung soll verboten werden, man konzentriert sich auf den Kampf gegen Muslime, setzt sich für mehr Militär ein, weiß, dass es den Klimawandel nicht gibt, und möchte Staatsmedien aufbauen.

Grausige Aussichten

In Sachsen-Anhalt ist eine Dreierkoalition nötig, es könnte CDU-SPD-Grüne werden. Opposition wäre dann eine starke AfD und eine mäßige Linke; die AfD könnte den angeblichen Mainstream, die Einheitsparteienblöcke in wirr zusammengesetzten Koalitionen nutzen und die Koalition zum Scheitern bringen. Noch absurdere Koalitionen brauchen wir hier nicht zu durchdenken. Klar ist: Jegliche Koalition GEGEN die AfD kann letztlich verschwörerisch ausgeschlachtet werden. Aber mehr ist es nicht, was mehrheitsfähige Konstellationen eint. Es sieht schlecht aus.

In Rheinland-Pfalz könnte die SPD mit FDP und Grünen knapp eine Koalition bilden. Ein absurdes Bündnis, aber noch glaubwürdiger als eine Große Koalition von Dreyer und Klöckner. Jedoch gibt es genau dafür durchaus Zuspruch aus SPD und CDU. Die AfD wäre die dominante Oppositionskraft. Im Land des Grünen Ministerpräsidenten wird ein grün-schwarzes Bündnis womöglich an der CDU scheitern, weil sie damit als klarer Verlierer dastehen würde. Grün-SPD-FDP könnte es dann schon eher werden, so seltsam es klingt. Die Koalitionen werden beliebig, profitieren wird die AfD auf allen Ebenen.

Es ist auch völlig unerheblich, dass der Großteil der AfD-WählerInnen aus Protest seine Kreuze bei den Rechten setzte, denn die Landtagseinzüge sind real, mit all ihren Folgen und dem steigenden Einfluss der AfD. Schon ohne großspurig parlamentarische Beteiligung hat die AfD die Bundespolitik mitbestimmt. Das wird jetzt stärker. Und es ging NICHT um die Flüchtlingspolitik, egal was die Wahlentscheidungen beeinflusst hat; und das Bestehende wurde auch nicht bestätigt, wie es Kommentatoren jetzt fabulieren. Diese Gelassenheitsproklamierungen, die vom bürgerlichen linksliberalen Spektrum bis zu klassisch Konservativen erscheinen, sind völlig fehl am Platz. Denn es sieht richtig übel aus.

Stand heute, nach sieben Monaten Flüchtlingspolitik, nach mehr als einer Million neuer Migranten, nach unzähligen EU-Gipfeln mit viel Uneinigkeit: Die Wucht der Geschichte hat die Deutschen erschüttert, aber nicht umgehauen. Die Zivilgesellschaft hält stand.“

An dieser Äußerung Bernd Ulrichs ist so vieles so furchtbar falsch und haltlos, dass es eines gesonderten Kommentars bedürfte, um sich angemessen damit auseinanderzusetzen. Sieben Monate Flüchtlingspolitik. Mehr als eine Million Migranten. Die Wucht der Geschichte… Wenn weiterhin SO agiert wird, trifft die Wucht der Geschichte dieses Land und diesen Kontinent schon bald. Dann aber wirklich.

Jetzt muss offensiv antifaschistisch agiert werden und dabei muss klar sein, dass Marktradikalität mit Nationalismus und Rassismus hervorragend zusammenpasst, immer noch. Das war früher so, das ist jetzt so. Die CDU wird früher oder später mit der AfD paktieren, wenn der Kampf gegen die Wiederholung der Geschichte nicht entschlossen geführt wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

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