Koalition im Kampf gegen Willkommenskultur

Deutsche Asylpolitik Während Bilder von deutschen Bahnhöfen, an denen Flüchtlinge herzlich empfangen werden, um die Welt gehen, will die Große Koalition das Asylrecht verschärfen

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Koalition im Kampf gegen Willkommenskultur

Foto: Adam Berry/Getty Images

Momentan wird mithilfe der vielen flüchtenden Menschen ein neuer Maßstab gesetzt in der Zurschaustellung angeblicher Überlastung, um das Gerede von einer „Flüchtlingskrise“ zu legitimieren. Jahrelange Fehlplanung wird nun genutzt, um überrascht zu tun und repressive Politik als überforderte Hilfsbereitschaft zu inszenieren. Angesichts dessen, das ein kleiner Teil der in Ungarn gelandeten Flüchtlinge per Zug nach Deutschland weiterfahren konnte, wird nicht nur in deutschen Medien ein Bild der Willkommenskultur gepriesen, demnach Ungarn und die ganze EU ihren restriktiven flüchtlingspolitischen Kurs entgegen deutschen Maßstäben betreiben würden, als sei hier ein Beispiel für humanitäre Flüchtlingspolitik zu finden.

Ganz im Gegenteil ist beispielsweise das Dublin-System eine quasi deutsche Erfindung und dessen Umsetzung ist eines der Hauptanliegen der Bundesregierung. Das propagierte Vorbildverhalten Deutschlands besteht aus ehrenamtlich Engagierten und antirassistischen Netzwerken und es ist spürbar, wie die Hilfsbereitschaft in Deutschland wächst; die politischen EntscheidungsträgerInnen wirken dem genauso wie die Europäische Kommission und der Europäischen Rat seit vielen Jahren entgegen. Auch offizielles Bedanken bei den Ehrenamtlichen kann das Vorgehen der Bundesregierung nicht beschönigen.

Nun beschlossen die Partei- und Fraktionsvorsitzenden aus Union und SPD sowie Fachminister in der Nacht zum Montag eine Erhöhung der Mittel für den Umgang mit Geflüchteten im Bundeshaushalt für 2016. Auch wenn sich einige Maßnahmen oberflächlich als halbwegs förderlich präsentieren, finden diese in einem viel zu geringen Ausmaß statt und vor allem entpuppen sich die meisten Programmpunkte als Fortführung des bisherigen selektiven Kurses. Mit dem Ziel „Fehlanreize“ zu beseitigen, sollen für 2016 die Mittel um 3 Milliarden Euro erhöht werden, zudem sollen die Länder und Kommunen noch 3 Milliarden erhalten, für dieses Jahr stellte der Bund gerade einmal 1 Milliarde zur Verfügung. Im Oktober sollen Bundestag und Bundesrat die geplanten Maßnahmen, die im Folgenden bewertet werden, beschließen.

Investitionen in die Aufnahme- und Integrationspolitik?

Der soziale Wohnungsbau und die günstige Bereitstellung von Immobilien für die Kommunen sollen vorangetrieben werden, um Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Das ist eine dringend notwendige Maßnahme, um Geflüchteten menschenwürdige Behausung zu ermöglich. Auch der Bau von Flüchtlingsunterkünften soll gefördert werden, wozu die KfW 300 Millionen Euro investieren will. Zur kurzfristigen Unterbringung mag das Schaffen von Gemeinschaftsunterkünften sinnvoll sein, jedoch sollte der Fokus doch eher auf sozialen Wohnungsbau und Dezentralisierung gelegt werden, anstatt Menschen in Sammelunterkünften festzuhalten. In Bezug auf die Winterunterbringung von Flüchtlingen will der Bund den Ländern und Kommunen unter die Arme greifen, um Zeltlager zumindest im Winter zu vermeiden, was aber keine grundsätzliche Abkehr von der Zeltunterbringung bedeutet. Es sollen Kapazitäten für 150.000 winterfeste Plätze geschaffen werden, bei den Kosten und der Bereitstellung will der Bund mithelfen. Aber selbst wenn tatsächlich 150.000 Plätze geschaffen werden bis zum Winter, stellt sich die Frage ob das auch reichen würde.

Um der jahrelangen Fehlplanung entgegenzuwirken, möchte die Regierung mehr Ehrenamtliche in die Flüchtlingshilfe bringen und beim Bundesfreiwilligendienst 10.000 neue Stellen schaffen, die auch dringend gebraucht werden. Der Bund verlässt sich bezüglich der Flüchtlingshilfe offenbar gänzlich auf das Ehrenamt, anstatt konsequent staatliche Aufnahmestrukturen zu schaffen. Zumindest soll aber mehr Geld für Sprachkurse verwendet werden und das Leiharbeitsverbot für Asylsuchende und Geduldete auf 3 Monate gekürzt werden. Sowohl das BAMF soll zur Bearbeitung von Anträgen mehr MitarbeiterInnen bekommen als auch das Jobcenter zur Jobvermittlung an Flüchtlinge.

Zur Unterbringung sind also durchaus ein paar kleine Schritte geplant und auch der Arbeitsmarktzugang wird geringfügig erleichtert. Viel zu spät und dafür viel zu zögerlich soll nun minimal in die Aufnahme von Flüchtlingen investiert werden.

Abschreckung und Ausgrenzung

In dem Maßnahmenpaket wird klargestellt, dass es sich bei der jüngsten Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn um eine Ausnahme handelte und damit einhergehend werden die anderen EU-Mitgliedsstaaten ermahnt, die Dublin-III-Regelungen einzuhalten, so dass weiterhin Asylsuchende in den Außengrenzstaaten steckenbleiben. Die Forderung einer solidarischen und fairen Verteilung erscheint wie eine überflüssige Floskel, nachdem vor Kurzem zu beobachten war, wie wenig Solidarität und Bereitschaft zur Flüchtlingsaufnahme bei den Regierungen der EU-Staaten zu finden sind. Außerdem wird der Zweck dieser Forderung durch den Verweis auf das Dublin-System auch sichtbar: Deutschland möchte wenn dann nur kurzfristige Aufnahmemöglichkeiten schaffen und sieht eine weitere Flüchtlingsaufnahme nur sehr begrenzt vor, während sich die EU-Grenzstaaten mehr kümmern müssen. Im Zuge der Forderung eines einheitlichen EU-Asylrechts wird erkennbar, dass es sich um ein Asylrecht nach deutschem Muster handeln soll, inklusive einer einheitlichen Liste sicherer Herkunftsländer. Bisher steht Deutschland dabei nämlich in schlechtem Licht mit seiner Pauschalablehnung von Balkanflüchtlingen, während andere Länder Roma aus diesen Staaten als gruppenspezifisch verfolgt anerkennen. Wer noch Teil dieser EU-Liste sicherer Herkunftsländer sein müsste, wird direkt gezeigt: Kosovo, Albanien und Montenegro werden zu sicheren Herkunftsstaaten, so dass Asylsuchende aus diesen Staaten problemlos abgeschoben werden können. Die Ausgrenzung von Menschen aus diesen Staaten wird intensiviert: Sie sollen gar nicht mehr aus den Erstaufnahmeeinrichtungen auf die Kommunen verteilt werden, sondern bis zum Ende des Verfahrens bis zu 6 Monate dort verharren. Die Residenzpflicht soll dementsprechend auch wieder verlängert bzw. eingeführt werden. Sobald die Abschiebung beschlossen wurde, sollen Sozialleistungen reduziert werden. Diese ausgrenzenden Pläne sind auch nicht damit zu beschönigen, dass Menschen aus den angeblich sicheren Balkanstaaten Möglichkeiten der legalen Migration bekommen, wenn sie einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz vorweisen können.

Die Idee, in der Erstaufnahme statt Bargeld mehr auf Sachleistungen zu setzen, ist entwürdigend und verfassungswidrig. Das scheint die Große Koalition nicht zu interessieren. Somit wird den Geflüchteten einmal mehr ein Stück Selbstbestimmung genommen und ein normaler Alltag geschweige denn Integrationschancen abgesprochen. Die Idee, bei der Bundespolizei 3.000 neue Stellen zu schaffen, dient offenkundig nur der Flüchtlingsabwehr und Abschreckung.

Im Großen und Ganzen zielen die Maßnahmen der Koalition darauf ab, Geflüchtete weitgehend auszugrenzen, selbst der Zugang zu Deutschkursen bleibt noch beschränkt und die Erlangung eines sicheren Bleiberechts bleibt ein langwieriger Prozess. Die Integration in die Gesellschaft wird von staatlicher Seite hingegen weiter erschwert, wie über Sachleistungen statt Geld und der Residenzpflicht. Damit stellt sich die Große Koalition gegen alles, was als Willkommenskultur bezeichnet werden kann und damit auch gegen die steigende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Regierungsvertreter wie Sigmar Gabriel versuchen bereits, die Solidarität nationalistisch auszuschlachten, dabei lässt er außer Acht, dass er in keinster Weise Teil dieser Willkommenskultur ist, sondern durch jahrelange falsch motivierte Asylpolitik einer der Brandstifter, ein Förderer der Leute, die er nun als „Pack“ bezeichnet. Die große Hilfsbereitschaft in Teilen der Bevölkerung muss sich schnell nicht nur mit Willkommens-Transparenten an Bahnhöfe stellen und in Erstaufnahmeeinrichtungen Kleider verteilen, sondern sich klar gegen diese Politik der Bundesregierung stellen und für Aufnahme- und Integrationspolitik eintreten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

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