Sichere Jobs zahlen keine Miete

Corona Die Maßnahmen der Regierung angesichts der Corona-Pandemie helfen der Wirtschaft, aber lassen Beschäftigte im Stich. Diese brauchen keine Jobsicherheit, sondern Geld

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Die Leute brauchen Hilfe – mehr als die Firmen
Die Leute brauchen Hilfe – mehr als die Firmen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die EU plant im Angesicht der Corona-Krise ein Konjunkturpaket, um die Wirtschaft zu stützen und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt zur Begründung, dass wir „mitten in einer der tiefsten, wenn nicht in der schwersten Wirtschaftskrise, die wir je erlebt haben“ seien. Dieses Narrativ wird von allen Seiten bestätigt oder verschärft, so sei Europa nun das „Epizentrum“ und die – wie es die WHO erklärt – Corona-Pandemie mit der spanischen Grippe von 1918 vergleichbar. Auch die Bundesregierung beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie (laut WHO) und zeigt dabei, wie schnell politisches Handeln im Parlamentarismus möglich ist, wenn der Wille denn besteht. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind sich einig in ihrer Zufriedenheit mit den Maßnahmen der Regierung. Gerade diese Reaktion ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten.

Kredite und Kurzarbeit – elitäre Prioritäten

Was wurde beschlossen? Unternehmen erhalten erleichterten Zugang zu Kurzarbeit, ihnen wird unbegrenzte Kredithilfe zugesagt und sie bekommen die Möglichkeit, anstehende Steuerzahlungen aufzuschieben. Ja, Unternehmen wird damit wirklich geholfen. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann erklärt seine Befürwortung für diese Maßnahmen damit, „dass Menschen jetzt in einer solchen Situation Angst vor Arbeitsplatzverlust haben. Dem müssen wir entschieden begegnen und zeigen, dass wir auch in einer solchen Krisensituation handlungsfähig sind, ihnen Sicherheit geben können.“ Unternehmen bekommen Finanzhilfen und erleichterten Zugang zu (temporärer) Kurzarbeit, sodass Löhne nicht gezahlt werden müssen. Gewerkschaften begrüßen diese Maßnahmen, weil sie das Narrativ der Arbeitsplatzsicherheit nicht in Frage gestellt haben wollen.

Kurzarbeit, die ab April nun flexibilisiert wird, bedeutet, dass die vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit in einem Betrieb, wenn es zu Arbeitsausfall kommt, sodass die ArbeitnehmerInnen weniger oder gar nicht arbeiten. Die legitimationsstiftende Begründung für Kurzarbeit ist natürlich, dass somit Kündigungen vermieden werden sollen. Der Verdienstausfall der Beschäftigten wird jedoch nur teilweise ausgeglichen – mit Ersatzleistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeitergeld). Gerade in der jetzigen Zeit kommt es in manchen Branchen und Regionen allerdings zu temporären Betriebsschließungen, also dem kompletten Ausfall von Arbeit. In solchen Fällen gilt „Kurzarbeit Null“, es gibt keine verringerte Arbeit, sondern gar keine. Finanziell heißt das: man bekommt gerade einmal 60% der Nettoentgeltdifferenz (plus Sozialversicherungsbeiträge), im Falle von „Kurzarbeit Null“ gibt es also nur 60% des Nettolohns (bzw. 67% für Menschen mit Kindern).

Wer regulär 40 Stunden in der Woche arbeitet, bekommt so noch 24 Stunden bezahlt, wer aber – und an dieser Stelle wird es existenzgefährdend – nur in Teilzeit beispielsweise vertraglich nur 20 Stunden in der Woche arbeitet, bekommt so nur 12 Stunden bezahlt. Die politische Prioritätensetzung auf Hilfe für Unternehmen ist unmissverständlich elitär und veranschaulicht die systemimmanente Ignoranz gegenüber der lohnarbeitenden Bevölkerung oder ganz einfach der gesellschaftlichen Realität.

Sichere Arbeitsplätze zahlen keine Miete

Wir brauchen keine Jobsicherheit, sondern Geld. – Kurzarbeit sichert Jobs, aber diese werden zu gering bezahlt. Das ist ganz simpel heruntergebrochen das Problem. Dietmar Bartsch erklärt, in der Finanzkrise 2008 seien es „insbesondere die Kurzarbeit und die Konjunkturprogramme“ gewesen, „die tatsächlich hilfreich waren.“ Ebenfalls bemerkt er, es sei „äußerst gefährlich für die Volkswirtschaft, wenn es größere Einbrüche in der Massenkaufkraft gibt.“ Diese Äußerungen aus der Partei DIE LINKE sind erschreckend vorsichtig angesichts der Entwicklungen.

Gerade im Dienstleistungssektor ist die Aussicht auf längere Perioden von Kurzarbeit (auch Kurzarbeit Null) alarmierend. Städte und Länder untersagen öffentliche Veranstaltungen, also sind Theater, Kinos und gastronomische Einrichtungen geschlossen, Konzerte, Vorträge, Messen usw. finden nicht statt und daran hängen die Existenzen vieler ArbeitnehmerInnen und Selbstständiger. Und wir reden hier von Jobs im Niedriglohnsektor, Jobs, die häufig in Teilzeit mit niedrigen Studenvolumina ausgeübt werden. Bereits die kurzfristige Konsequenz ist, dass Menschen ihre Miete nicht mehr zahlen können.

Es gibt in Deutschland einen Mindestlohn, der seit 2020 bei 9,35€ Brutto liegt. Dass dieser per Kurzarbeit untergraben wird, stürzt Menschen in den Ruin. Wir befinden uns ohnehin in einer Situation, in der verstanden werden muss – aufgrund der allgemeinen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt – dass die Höhe des Mindestlohns sich danach richten muss, dass dieser für Teilzeitbeschäftigte existenzsichernd und sozialverträglich ist. Das ist derzeit schon nicht der Fall. Die faktische Einkommenssenkung durch Kurzarbeit muss politisch angegriffen werden – sei es durch eine Garantie voller Lohnfortzahlung oder durch ein Grundeinkommen. Unbeschränkte Finanzhilfen für Unternehmen bedeuten, dass so etwas definitiv möglich wäre.

Auch die Gewerkschaften dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass Vollzeitstellen nicht mehr der Normalfall sind (und gerade Frauen sind statistisch gesehen vor allem in Teilzeitjobs, also massiv benachteiligt und gefährdet). Und Realität ist auch, dass Jobs auf Mindestlohnniveau keine Seltenheit sind, vor drei Jahren waren es 1,4 Millionen Jobs, die das betrifft, davon der Großteil Mini- und Teilzeitjobs. Es sei hier nur am Rande erwähnt, dass fast 4 Millionen Beschäftigte nicht einmal Mindestlohn bekommen.

Krisenmanagement auf Kosten Anderer

Die Erzählungen, die von Politik und Wirtschaft derzeit verbreitet und in der Öffentlichkeit gelobt werden, bedeuten ein Krisenmanagement auf Kosten Anderer, nämlich auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. Mit existenzsichernden und sozialverträglichen Maßnahmen hat das nichts zu tun. Arbeitgeber und Politik beweisen hier ihre Blindheit und (systemische) Unfähigkeit, soziale Verantwortung zu übernehmen. Angelehnt an einen Buchtitel von Stefan Lessenich wird wohl die Auffassung vertreten „Neben uns die Sintflut“.

Corona im Kapitalismus bedeutet Existenzangst. Arbeit und Kapital stehen sich offen gegenüber, wie es nicht oft in dieser Plakativität zu sehen ist. Die bürgerliche Gesellschaft leugnet mit den Maßnahmen, die die Bundesregierung getroffen hat, die sozialen Ungleichheiten in Deutschland und die unterschiedlichen Lebenslagen, in denen sich die Menschen befinden, mit anderen Worten: die Klassenlagen. Es gibt eine Partei im Bundestag, die so etwas doch eigentlich abfedern will – DIE LINKE. Bleibt abzuwarten, ob sie dies auch tatsächlich tun will.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

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