Solidarität muss politisch werden

Asylpolitik In Berlin wurde diese Woche zur Errichtung eines sozialen Zentrums ein Haus besetzt. Die Botschaft ist klar: Die Solidarität mit Geflüchteten muss politisch werden

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Die dauerhaft besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg ist bereits zu einem Symbol im Widerstand gegen die Asylpolitik geworden
Die dauerhaft besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg ist bereits zu einem Symbol im Widerstand gegen die Asylpolitik geworden

Foto: Adam Berry/Getty Images

Der Winter kommt und noch immer sind die Zustände auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) unhaltbar. Noch immer müssen Geflüchtete im Freien warten und zum Teil auch im Park übernachten. Noch immer werden sie nicht mit dem Nötigsten versorgt."

Und deshalb wurde gestern ein leerstehendes Haus in Berlin-Neukölln (Anzengruberstraße/Karl-Marx-Straße) besetzt, mit dem Ziel ein Social Center for all zu gründen. Gerade in Berlin schreien die unhaltbaren Zustände, die zur Konstruktion einer Krise und Überforderung politisch und medial genutzt werden, nach genau solchen Aktionen, als „politische Antwort auf die prekäre Situation, in der sich viele Geflüchtete in Berlin befinden […]. Die Stadt schafft es seit Monaten nicht, den Menschen, die den lebensgefährlichen Weg in die “Festung Europa” auf sich genommen haben, auch nur minimale Versorgung zu garantieren."

Aber es geht um weit mehr: Es geht um die Schaffung selbstverwalteter Räumlichkeiten, die als Begegnungs- und Vernetzungsstätte für Initiativen und Geflüchtete genutzt werden sollen, die Schlafplätze bereitstellen, Raum für Rechtsberatung, Sprachkurse, sportliche Angebote und für Informationsveranstaltungen bieten; Räumlichkeiten zur Entstehung neuer Strukturen, abseits des staatlichen Versagens.

Was in diesem konkreten Fall für Berlin gilt, ist auf ganz Deutschland und die EU übertragbar. Der Staat, das sich als europäischen Hegemon zelebrieren will, verabschiedet Asylrechtsverschärfungen und heizt von Desinformation angetriebene Diskussionen an, stärkt neurechte Bewegungen wie Pegida, will die Ängste der BürgerInnen verstehen und füttert sie. Es wird keine Aufklärungsarbeit betrieben; progressiven, emanzipatorischen Ideen wird mit Schweigen oder – wie im Falle der Beendigung von Hausbesetzungen – Gewalt begegnet. Ein kapitalistischer Staat – besonders Deutschland – hätte die Möglichkeit, umfangreich in die schnelle Schaffung von Aufnahme- und Integrationsstrukturen zu investieren. Stattdessen wird das Geld vor allem in Ausgrenzungsmechanismen investiert, wie die jüngsten Beschlüsse der Regierung erneut beweisen. Von staatlicher Seite werden Helfende und AktivistInnen ausgenutzt, sich auf ihrem Engagement ausgeruht (kurzzeitig ließ sich viel von Willkommenskultur lesen) und zugleich in ihrer Arbeit blockiert.

Solidarität muss politisch werden. Das ist die Aussage, die wir deshlab aus Aktionen wie dieser Hausbesetzung ableiten müssen.

Natürlich wurde die Besetzung mittlerweile und nach nur zwei Stunden gewaltsam beendet, woraufhin die BesetzerInnen, welche teilweise festgenommen wurden, richtig schlussfolgern:

Die Stadt allerdings, die seit Monaten nicht willens ist, auch nur für die elementarsten Bedürfnisse von Refugees Ressourcen zur Verfügung zu stellen, will diesen Raum offenbar nicht. Rufen wir uns in Erinnerung: Diese Stadt, die Hunderte Menschen in den vergangenen Monaten dazu zwang, in Parks zu übernachten, will nicht, dass wir eine Notunterkunft schaffen. Diese Stadt, die keinen der hier ankommenden Refugees ausreichend über seine Rechte informiert und ihnen diese auch vorenthält, will nicht, dass wir einen Raum für Rechtsberatung schaffen. Diese Stadt, die sich selber nicht um die Versorgung von Flüchtlingen mit ausreichend Kleidung und Nahrung kümmert, will nicht, dass wir einen Raum schaffen, der für Helferinitiativen offen steht. Die Stadt, die den politischen Flüchtlingsgruppen den Oranienplatz und die Schule genommen hat, will nicht, dass wir einen politischen Ort des Austausches und der Diskussion schaffen.

Im September wurde in Berlin in der Englischen Straße in einem ehemaligen TU-Gebäude schon einmal ein solcher Versuch unternommen. Es sollten noch viele mehr werden. Überall. Denn es ist höchste Zeit, der Solidarität, die so viele Menschen mit Geflüchteten zeigen, politische Taten folgen zu lassen. Jetzt – zumal nach all den Asylrechtsverschärfungen der letzten Wochen – geht es um mehr, als dem Staat seine Arbeit abzunehmen, jetzt muss politisch gekämpft werden. Noch immer ist es notwendig, in die Erstaufnahmeeinrichtungen zu gehen, Spenden zu sammeln und zu verteilen etc. Aber das Engagement muss mit politischem Protest verbunden werden. Mit dem Aufbau eigener Strukturen, mit dem Aufbau einer Gegenmacht. Denn sonst wird die Solidarität erlöschen und sich die soziale Kälte durchsetzen, nicht nur in den Wintermonaten.

Wollen wir ein solidarisches Zusammenleben? Dann kann Verwertbarkeitsideologie und Abschottung nicht mit Passivität begegnet werden. Es gibt viel Leerstand in Deutschland. Allein in der hübschen ostdeutschen Stadt, in der ich lebe, gibt es unerträglich viele ungenutzte Gebäude. Und es gibt viele Menschen ohne festen Schlafplatz. Es gibt viel Platz in Deutschland. Und es gibt viele Möglichkeiten, Menschen bei der Grenzüberquerung zu helfen. Es gibt Möglichkeiten, die Krisenrhetorik, die über politische Lagergrenzen hinaus diskursive Hegemonie genießt, zu negieren und ihr den selbstverwalteten Aufbau von politischen Solidarstrukturen entgegenzusetzen.

Achja: Wer in Berlin ist, könnte sich überlegen, am Samstag anlässlich der Räumung des Social Centers zum Orianienplatz zu kommen: Samstag 28.11.2015 | 15 Uhr | Oranienplatz Berlin

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

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