Anschubhilfe für Schwarmintelligenz

Angriff Der Germanist Eric Jarosinski ist als @NeinQuarterly auf Twitter extrem erfolgreich. Auf der re:publica erklärte er, warum hinter seinen Witzen ein ernstes Ziel steckt

Das Thema Inklusion zog sich wie ein roter Faden durch die diesjährige re:publica. Nicht nur, weil man damit dem Vorwurf „die Netzgemeinde“ sei nicht aktivistisch genug, begegnen wollte, indem auf Masse statt Klasse setzt. Sonder auch, weil sich unter den Stichwörtern Europa und Netz ein ganzes Potpourri an relevanten Themen versammeln lässt. Oder, wie Markus Beckedahl es zusammenfasst: „Beides waren positive Utopien, die Brüche bekommen haben“.

Einer der größten wichtigsten Twitterakteure, der diese Brüche immer wieder thematisiert, sprach dann auch am Donnerstag auf der Bloggerkonferenz. Eric Jarosinksi, bekannt als @NeinQuarterly und gelernter Germanist aus den USA betreibt auf Twitter "Utopian Negation", ein Kompendium der utopischen Verneinung. Mit dem Neinsagen als Programm knüpft der gebürtige US-Amerikaner an Adornos negative Dialektik an und produziert täglich Aphorismen, die von ihrem scharfen Humor und einer kritischen Distanz leben – und die Retweets in die Höhe schnellen lassen.

Seine Tweets sind kultur- und gesellschaftskritisch, alltagstauglich und intellektuell zugleich. Und sie bedienen sich schamlos an den Eckpfeilern der europäischen Kulturproduktion. Es ist die Art von Humor, die auf Twitter gut funktioniert: klug, schmutzig, bebildert. Und sie widerlegen nebenbei jene Kritiker, die meinen, dass man auf 140 Zeichen nicht auch brillante Beobachtungen von sich geben kann.

Das allein jedoch würde hart am Kulturpessimismus kratzen, was so gar nicht zusammengeht mit dem schelmisch grinsenden Redner auf der Hauptbühne der Konferenz. Jarosinski stellte die entscheidende Frage gleich zu Beginn: „Wenn ich Nein sage, was sage ich dann? Und wie kreiere ich durch die utopische Verneinung eine Haltung?“ Europa funktioniert für den ehemaligen Assistenzprofessor für Germanistik nur über die gleichzeitige Hervorbringung von Europa. Gleichzeitig seien wir mit großen Fragen konfrontiert, globalen Problemen: Asylpolitik, Überwachung.

„Das ist ein langer Kampf und er wird viel Aufwand und Energie kosten“, prophezeite Jarosinski. „Wie bringt man die Leute dazu, am Ball zu bleiben?“. Es ist die Frage, an der sich im letzten Jahr Netzaktivisten und Journalisten die Köpfe zerbrochen haben. Die ganze Welt wird ausgespäht, demokratische Grundrechte von den eigenen Regierungen ignoriert – und die Bürger halten die Füße still, mehr noch, gähnen lustlos auf, wenn der Begriff "Überwachung" fällt. Wie kann man spannend von geklauten Daten erzählen? Wie von den vielzähligen Fluchtgeschichten nach Europa, ohne sich zu wiederholen und die Aufmerksamkeit des Publikums zu verlieren?

Jarosinkis Lösung ist einfach: Er übersetzte komplexe Themen in eine Sprache, die auf Twitter funktioniert und will sie damit anknüpfungsfähig machen für Menschen, die sich nicht unbedingt dafür interessieren. Humor und Kürze spielen dabei eine wichtige Rolle. "Dumme Hegelwitze können viel Kreativität freisetzen. Der Schwarm funktioniert durch dieses spielerische Element" erklärte er seine Methode. Es geht um Vernetzung und es geht um Inklusion.

Wie nachhaltig und wirksam sein Twitter-Engagement ist, stellte Jarosinski gegen Ende selbst in Frage. Damit hat er Recht, bedenkt man, dass Twitter erstens in Deutschland noch ein Nischenmedium ist, das zweitens ohnehin schon gut mit netzpolitischen Aktivisten bestückt ist und drittens dazu tendiert, sich in seiner eigenen Filterblase im Kreis zu drehen. Letztes Jahr forderter Sascha Lobo auf der re:publica, neue Begriffe zu erfinden um die Brisanz des Überwachungsangriffs deutlicher zu machen. Seitdem hat sich wenig getan.

Da ist es wieder, das Problem der Darstellbarkeit. Denn tatsächlich: Wer vermutet hinter dem Wort Netzneutralität schon einen politischen und ökonomischen Eingriff in sein Alltagsleben?, fragte auch Jarosinski von der Bühne. @NeinQuartely wird wohl nicht die Lösung hervorzaubern. Im besten Fall aber kann er der Schwarmintelligenz im Netz ein wenig Anschubhilfe geben. Im schlechtesten macht er Twitter ein bisschen unterhaltsamer.

Disclaimer: Die Auswahl der verlinkten Tweets von @NeinQuartely ist größtenteils seinem eigenen Vortrag entnommen

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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