Als ich im Asylcamp am Oranienplatz ankomme regnet es. Ibo, einer der Organisatoren und „supporter“ wie es im Camp heißt, begrüßt mich am Infostand. Überall hängen handgeschriebene Zettel. Wir brauchen Kleiderbügel, steht darauf, oder Essenausgabe um 19 Uhr. Neben den Schlafzelten gibt es ein Essenszelt mit einer Küche und eines für die Finanzgruppe, wo die Spenden verwaltet werden.Dazwischenlaufen Kinder umher. Um eine Feuerstelle sitzen etwa zehn Leute und unterhalten sich, in der Ecke gibt es einen Toilettenwagen. Auf der Mitte des Platzes bleibt eine Frau mit ihrem Fahrrad stehen, ihr Kind verschwindet zwischen den Zelten.
Es sind nicht viele Menschen da, aber die Stimmung in ist unruhig. „Es ist gerade viel los“, erklärt Ibo. Ein Teil der Protestierenden ist am Dienstag vor dem Brandenburger Tor in Hungerstreik getreten. Direkt vor der amerikanischen und französischen Botschaft. Noch in derselben Nacht kam die Polizei um den Platz zu räumen, das Zelt wurde einfach hochgehoben und weggetragen, doch die Asylbewerber, im Campjargon „refugees“ genannt, hatten sich geweigert zu gehen und letztlich ihre Stellung behauptet. Drei der Protestler wurden Donnerstagnacht verhaftet, am Freitag fand eine Protestaktion für ihre Freilassung statt.
Die übrigen Hungerstreikenden sind entschlossen zu bleiben. Auch bei einsetzender winterlicher Kälte und ohne Pappen, Schlafsäcke oder sonstige Utensilien, um sich vor dem Wetter zu schützen – es ist ihnen polizeilich untersagt. Sie wollen bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt sind: Abschaffung der Residenzpflicht, Abschiebestopp und keine Lagerunterbringung. Das sind die drei zentralen Forderungen der Gruppe. Des weiteren wird für Arbeitserlaubnis und schnellere Bearbeitung der Asylanträge gekämpft. Begonnen hatte die Aktion mit einem einzelnen Zelt am nahe gelegenen Berliner Heinrichplatz und einem Protestmarsch von Würzburg Ende September nach Berlin sowie einer Großdemonstration. Vergangene Woche starteten zehn Aktivisten außerdem eine Aktion vor der nigerianischen Botschaft, wobei einige von ihnen vorläufig festgenommen wurden und von der Polizei verletzt wurden - es liegt nun eine Anklage wegen Körperverletzung vor.
Zulauf und Unterstützung
Im Asylcamp am Oranienplatz sind die meisten der Aktivisten zusammengekommen und erhalten täglich Zulauf. Von Leuten, welche die Aktivitäten unterstützen wollen, Schlafsäcke bringen, Essen spenden sowie weitere Flüchtlinge, die aus ihren Heimen aus dem Umland anreisen. Und sie erhalten Mithilfe von Vereinen wie Förderverein Karawane e.V., Pro Asyl oder dem Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz, welcher die Duldung des Camps bis auf weiteres bestätigt hat. Wie sich das Leben dort mit sinkenden Temperaturen jedoch gestalten soll, ist unklar.
Das Leben im Camp läuft auch abgesehen davon nicht immer reibungslos. In der heterogenen Gruppe treffen, trotz gemeinsamer Forderungen, Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen aufeinander. Viele haben sich nach Nationalitäten auf die Schlafzelte aufgeteilt. Einige Flüchtlinge kommen tagsüber aus ihren Heimen aus Berlin und Brandenburg in das Camp – je nachdem, inwiefern ihnen die Residenzregelungen der Heime sogenannte „Urlaube“ gestattet. Divergierende Interessen zeigen sich etwa im Essenzelt: Einige der Sudanesen fordern, dass Lebensmittel eingekauft werden, an die sie gewöhnt sind. Andere verstehen nicht, warum auch die Unterstützer mit Essen versorgt werden – das Geld ist knapp.
Für die Familien im Camp ist die Versorgung ihrer Kinder wichtig – sie haben deshalb etwa nicht am Hungerstreik teilgenommen und sind mit ihnen am Oranienplatz geblieben. So wie Yusef. Er ist mit sechs Monaten der jüngste Refugee im Camp. Ich treffe ihn mit seinen Eltern im Plenumszelt, wo die Aktivisten täglich am frühen Abend zusammenkommen und über Zusammenleben und das weitere Vorgehen diskutieren. Yusef ist bester Laune. Als Ibo ihn auf den Schoß nimmt, strahlt er mich an und gluckst fröhlich, es geht ein Lächeln durch die Sitzbänke. Man kennt sich. Heute Abend wird Yusef wieder mit seinen Eltern in das Heim in Schönefeld zurückfahren, obwohl die Sicherheitssituation dort prekär ist. Viele fühlen sich dort nicht mehr sicher, seit es in den letzten Wochen Angriffe auf das Heim gegeben haben, erzählt ein Iraner.
Ein Kraftakt
Eine kleine Heizung brummt laut in dem blau-weiß gestreiften Zelt, etwa vierzig Leute scharren sich auf Bierbänken möglichst nah um die Mitte und beraten, wer die Moderation und die Übersetzung in die verschiedenen Sprachen übernimmt. Deutsch, Türkisch, Farsi und Englisch sind gefragt. Es wird diskutiert wie die Spendengelder verteilt werden sollten und über die Situation in Schönefeld berichtet. Wie ist die aktuelle Lage der Hungerstreikenden am Brandenburger Tor, will ein Unterstützer wissen. Die Organisation und Koordination der Bewegung ist ein Kraftakt – trotzdem hören alle aufmerksam zu, überall sitzen Grüppchen zusammen und helfen sich mit den Übersetzungen. Letztlich haben alle ein gemeinsames Ziel: Sie möchten die prekären Lebensumstände von Asylbewerbern verbessern.
Plötzlich entsteht Unruhe vor dem Zelt. Der RBB ist da und möchte eine Stellungnahme auf Deutsch über die Ziele der Bewegung für die Abendnachrichten. Eine der Moderatorinnen des Plenums empört sich: Wie kann der Sender von den Flüchtlingen die in ihren Heimen nicht einmal Deutschunterricht erhalten, erwarten deutsch zu sprechen? Am Ende positionieren sich dennoch mehrere von ihnen mit ihren Kindern für das Bild. Eine junge Frau aus dem Camp liest die Ziele von einem Blatt Papier vor. Mediale Unterstützung ist wichtig für die Bewegung, darüber sind sich alle im Klaren.
"Ruf' meine Mama an!"
Hatef, ein junger Iraner der bereits recht sicher Deutsch spricht, hält sich etwas Abseits dieser Szenerie. Und erklärt sich bereit, mit mir zu sprechen. Über sein Leben im Camp und seine Geschichte in der Illegalität. Wir vereinbaren, uns wöchentlich zu treffen. „Was machst du heute Abend noch?“, fragt er mich, und stampft von einem Bein auf das andere. Es ist kalt. „Ich gehe nach Hause“, antworte ich. „Und du?“, frage ich, obwohl ich merke, dass die Frage eine Normalität suggeriert, die es in seinem Leben wahrscheinlich nicht gibt. Vielleicht will er später noch ans Brandenburger Tor, sagt er. Andere sind bereits losgezogen. „Wenn ich nicht wiederkomme, ruf' meine Mama an“, hatte einer der Aktivisten Ibo zum Abschied scherzend zugerufen. Am Samstag demonstriert Hatef mit anderen gegen die Angriffe im Lager Waßmannsdorf in Schönefeld. Treffpunkt 12 Uhr, hat er mir spät abends in einer Rund-sms geschrieben. Und zum Abschied gesagt: „Hoffentlich bis nächste Woche.“
An dieser Stelle startet ab kommender Woche eine regelmäßige Reportage über Hatefs Leben in und vor dem Flüchtlingscamp.
>> Mehr Informationen über die aktuelle Lage des Protestes und Camps gibt es auf
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.